Begriff der französischen Conseils ist daher der eigentlich organische Ausdruck der Selbstverwaltung in Frankreich; indem er die freie Be- theiligung des Einzelnen durch Wahl und Wählbarkeit an der Voll- ziehung zuläßt, hemmt er dennoch diese Vollziehung durch das Verwal- tungsorgan nicht, da er nur den Rath zu geben hat. Auf diesen Rath aber hat er ein gesetzliches Recht; in diesem gesetzlichen Rechte ruht seine Selbständigkeit; aber mit dem Rathe ist auch das Recht fast immer erschöpft; die Differenz, welche zwischen der bloß berathenden und vollziehenden Gewalt liegt, füllt, müssen wir sagen, der Gedanke aus, daß ein vernünftiger Rath von der betreffenden Behörde gewiß gehört werden wird, während andererseits da, wo die wirkliche Voll- ziehung diesem Organe verliehen wurde, auch die Verantwortlichkeit der Vollziehung gegenüber der Gesetzgebung aufhören müßte. Von diesen Sätzen aus liegt nun die Consequenz nahe, daß ein solcher Nath, eben weil er nirgends stört, auch allenthalben sehr heilsam wirken und das Gefühl der Selbstverwaltung auf allen Punkten anerkennen muß. Es ist daher leicht verständlich, daß man allerdings zuerst das System der Conseils an die Stelle der Selbstverwaltungskörper setzte und statt der Landschaften, Kreise und Gemeinden drei Arten von Conseils aufstellte, welche neben den Behörden, dem Prefet, sous-prefet und Maire hingestellt, den Organismus der eigentlichen Selbstverwal- tung in innigster Verschmelzung mit der Behörde bilden; daß man dann den Gedanken festhielt, auch die Verwaltung als Ganzes unter einen solchen Rath zu stellen und so den Conseil d'Etat schuf; und daß man endlich auch den Funktionen der einzelnen Verwaltungs- zweige gleichartige Conseils zur Seite gab, gleichsam ein Collegial- system neben dem Ministerialsystem. So ist allmählig -- denn diese letzte Gruppe der Conseils hat sich erst langsam ausgebildet und ist zum Theil noch immer in weiterer Fortbildung begriffen -- ein, die ganze Administration umfassendes und durchdringendes organisches System von Conseils entstanden; und dieses System vonConseilsist die französische Selbstverwaltung.
Es ist daraus nun zuerst klar, daß neben einem solchen Princip und System das Versammlungs-, Vereins- und Petitionsrecht als Element der Selbstverwaltung fast verschwinden muß, obwohl sie for- mell in allen Constitutionen und zuletzt noch in der Constitution von 1852 Art. 43 aufrecht gehalten sind (s. oben). Die formelle Selbstän- digkeit der französischen Administration, die sich nicht einmal den Ge- richten unterwirft, kann sich noch viel weniger den Volksversammlungen unterwerfen. Die Verantwortlichkeit der Minister aber ist ja ohnehin durch ihre Gewalt über die ganze Verwaltung begründet und durch die
Begriff der franzöſiſchen Conseils iſt daher der eigentlich organiſche Ausdruck der Selbſtverwaltung in Frankreich; indem er die freie Be- theiligung des Einzelnen durch Wahl und Wählbarkeit an der Voll- ziehung zuläßt, hemmt er dennoch dieſe Vollziehung durch das Verwal- tungsorgan nicht, da er nur den Rath zu geben hat. Auf dieſen Rath aber hat er ein geſetzliches Recht; in dieſem geſetzlichen Rechte ruht ſeine Selbſtändigkeit; aber mit dem Rathe iſt auch das Recht faſt immer erſchöpft; die Differenz, welche zwiſchen der bloß berathenden und vollziehenden Gewalt liegt, füllt, müſſen wir ſagen, der Gedanke aus, daß ein vernünftiger Rath von der betreffenden Behörde gewiß gehört werden wird, während andererſeits da, wo die wirkliche Voll- ziehung dieſem Organe verliehen wurde, auch die Verantwortlichkeit der Vollziehung gegenüber der Geſetzgebung aufhören müßte. Von dieſen Sätzen aus liegt nun die Conſequenz nahe, daß ein ſolcher Nath, eben weil er nirgends ſtört, auch allenthalben ſehr heilſam wirken und das Gefühl der Selbſtverwaltung auf allen Punkten anerkennen muß. Es iſt daher leicht verſtändlich, daß man allerdings zuerſt das Syſtem der Conseils an die Stelle der Selbſtverwaltungskörper ſetzte und ſtatt der Landſchaften, Kreiſe und Gemeinden drei Arten von Conseils aufſtellte, welche neben den Behörden, dem Préfet, sous-préfet und Maire hingeſtellt, den Organismus der eigentlichen Selbſtverwal- tung in innigſter Verſchmelzung mit der Behörde bilden; daß man dann den Gedanken feſthielt, auch die Verwaltung als Ganzes unter einen ſolchen Rath zu ſtellen und ſo den Conseil d’État ſchuf; und daß man endlich auch den Funktionen der einzelnen Verwaltungs- zweige gleichartige Conseils zur Seite gab, gleichſam ein Collegial- ſyſtem neben dem Miniſterialſyſtem. So iſt allmählig — denn dieſe letzte Gruppe der Conseils hat ſich erſt langſam ausgebildet und iſt zum Theil noch immer in weiterer Fortbildung begriffen — ein, die ganze Adminiſtration umfaſſendes und durchdringendes organiſches Syſtem von Conseils entſtanden; und dieſes Syſtem vonConseilsiſt die franzöſiſche Selbſtverwaltung.
Es iſt daraus nun zuerſt klar, daß neben einem ſolchen Princip und Syſtem das Verſammlungs-, Vereins- und Petitionsrecht als Element der Selbſtverwaltung faſt verſchwinden muß, obwohl ſie for- mell in allen Conſtitutionen und zuletzt noch in der Conſtitution von 1852 Art. 43 aufrecht gehalten ſind (ſ. oben). Die formelle Selbſtän- digkeit der franzöſiſchen Adminiſtration, die ſich nicht einmal den Ge- richten unterwirft, kann ſich noch viel weniger den Volksverſammlungen unterwerfen. Die Verantwortlichkeit der Miniſter aber iſt ja ohnehin durch ihre Gewalt über die ganze Verwaltung begründet und durch die
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Begriff der franzöſiſchen Conseils iſt daher der eigentlich organiſche
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tungsorgan nicht, da er nur den Rath zu geben hat. Auf dieſen Rath
aber hat er ein geſetzliches Recht; in dieſem geſetzlichen Rechte ruht
ſeine Selbſtändigkeit; aber mit dem Rathe iſt auch das Recht faſt
immer erſchöpft; die Differenz, welche zwiſchen der bloß berathenden
und vollziehenden Gewalt liegt, füllt, müſſen wir ſagen, der Gedanke
aus, daß ein vernünftiger Rath von der betreffenden Behörde gewiß
gehört werden wird, während andererſeits da, wo die wirkliche Voll-
ziehung dieſem Organe verliehen wurde, auch die Verantwortlichkeit der
Vollziehung gegenüber der Geſetzgebung aufhören müßte. Von dieſen
Sätzen aus liegt nun die Conſequenz nahe, daß ein ſolcher Nath, eben
weil er nirgends ſtört, auch allenthalben ſehr heilſam wirken und
das Gefühl der Selbſtverwaltung auf allen Punkten anerkennen
muß. Es iſt daher leicht verſtändlich, daß man allerdings zuerſt das
Syſtem der Conseils an die Stelle der Selbſtverwaltungskörper ſetzte
und ſtatt der Landſchaften, Kreiſe und Gemeinden drei Arten von
Conseils aufſtellte, welche neben den Behörden, dem Préfet, sous-préfet
und Maire hingeſtellt, den Organismus der eigentlichen Selbſtverwal-
tung in innigſter Verſchmelzung mit der Behörde bilden; daß man
dann den Gedanken feſthielt, auch die Verwaltung als Ganzes unter
einen ſolchen Rath zu ſtellen und ſo den Conseil d’État ſchuf; und
daß man endlich auch den Funktionen der einzelnen Verwaltungs-
zweige gleichartige Conseils zur Seite gab, gleichſam ein Collegial-
ſyſtem neben dem Miniſterialſyſtem. So iſt allmählig — denn dieſe
letzte Gruppe der Conseils hat ſich erſt langſam ausgebildet und iſt
zum Theil noch immer in weiterer Fortbildung begriffen — ein, die
ganze Adminiſtration umfaſſendes und durchdringendes organiſches Syſtem
von Conseils entſtanden; und dieſes Syſtem von Conseils iſt die
franzöſiſche Selbſtverwaltung.
Es iſt daraus nun zuerſt klar, daß neben einem ſolchen Princip
und Syſtem das Verſammlungs-, Vereins- und Petitionsrecht als
Element der Selbſtverwaltung faſt verſchwinden muß, obwohl ſie for-
mell in allen Conſtitutionen und zuletzt noch in der Conſtitution von
1852 Art. 43 aufrecht gehalten ſind (ſ. oben). Die formelle Selbſtän-
digkeit der franzöſiſchen Adminiſtration, die ſich nicht einmal den Ge-
richten unterwirft, kann ſich noch viel weniger den Volksverſammlungen
unterwerfen. Die Verantwortlichkeit der Miniſter aber iſt ja ohnehin
durch ihre Gewalt über die ganze Verwaltung begründet und durch die
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/418>, abgerufen am 22.11.2024.
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