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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Regierung -- über die Zustände und Bedürfnisse aufzuklären, und
die Initiative in der Bildung der Verwaltungsgesetzgebung zu ergreifen,
da es für diese Dinge kein anderes berechtigtes Organ gibt, als den
Einzelnen. Der Gedanke, daß Versammlungen, Vereine und Petitionen
einer Regierung Opposition machen und eine Art von administrativer
Anklage enthalten -- ein Gedanke aus dem die eigentliche Opposition
gegen jenes Recht hervorgeht -- existirt in England nicht. Sie
sind nur im Verhältniß zum Parlament als höchster Verwaltungskörper
für das Verwaltungsrecht zu denken. Sie sind daher die Formen der
"Vertretung" in England; ohne sie ist eine große und gefährliche Lücke
im System des englischen Lebens; sie sind nicht etwa bloß ein Recht
des freien Staatsbürgers, sondern eine Nothwendigkeit des Staats-
lebens; ohne sie ist die Verwaltung in England gar nicht denkbar, da
die Regierung sowohl als die Selbstverwaltungen nur das thun, was
die Gesetzgebung vorschreibt, diese aber aus dem Einzelnen hervorgeht.
Während der Continent sie durch die Thätigkeit der Behörden und durch
die Verantwortlichkeit derselben ersetzt, daß nichts Nothwendiges unter-
bleibe, sind sie in England geradezu unersetzlich, und müssen daher mit
dem Parlamente zugleich als ein organisches Glied der Selbstverwaltung
im weitesten Sinne betrachtet werden.

So erscheint auch die Selbstverwaltung Englands in denselben
zwei großen Funktionen und Organen, welche durch das Wesen der Selbst-
verwaltung überhaupt gegeben sind, den Vertretungen und den Selbst-
verwaltungskörpern. Allein die ersteren sind dennoch mit dem Ver-
sammlungs-, Vereins- und Petitionsrecht der Einzelnen und dem Ver-
waltungs- oder eigentlich Verordnungsrecht des Parlaments, die der
Gesetzgebung, nicht ganz erschöpft.

Wir haben schon bemerkt, daß die Räthe und die Kammern ein
amtliches Element in sich haben, obgleich sie vermöge ihrer Zusammen-
setzung der Selbstverwaltung angehören; denn sie sind beide aus unab-
hängigen Mitgliedern zusammengesetzt. Wo daher das englische Staats-
leben mit seiner unselbständigen Staatsverwaltung dennoch allmählig
gewisse große Gesammtaufgaben der Verwaltung nicht mehr bloß den
Selbstverwaltungskörpern überlassen konnte, da griff es, um das Amt
und mit dem Amte die Selbständigkeit der Verwaltung zu vermeiden, zu
dem System, die höchste Administration der Reichsangelegenheiten des
Inneren statt wie auf dem Continent einem Ministerium, vielmehr
einem Rathe anzuvertrauen. So entstand das, für England eigen-
thümliche, und dennoch seiner ganzen Individualität entsprechende Ver-
hältniß, nach welchem wir eine Reihe höchster Räthe an der Stelle der
Ministerien entstehen sehen, welche die Form der Selbstverwaltung, den

Regierung — über die Zuſtände und Bedürfniſſe aufzuklären, und
die Initiative in der Bildung der Verwaltungsgeſetzgebung zu ergreifen,
da es für dieſe Dinge kein anderes berechtigtes Organ gibt, als den
Einzelnen. Der Gedanke, daß Verſammlungen, Vereine und Petitionen
einer Regierung Oppoſition machen und eine Art von adminiſtrativer
Anklage enthalten — ein Gedanke aus dem die eigentliche Oppoſition
gegen jenes Recht hervorgeht — exiſtirt in England nicht. Sie
ſind nur im Verhältniß zum Parlament als höchſter Verwaltungskörper
für das Verwaltungsrecht zu denken. Sie ſind daher die Formen der
„Vertretung“ in England; ohne ſie iſt eine große und gefährliche Lücke
im Syſtem des engliſchen Lebens; ſie ſind nicht etwa bloß ein Recht
des freien Staatsbürgers, ſondern eine Nothwendigkeit des Staats-
lebens; ohne ſie iſt die Verwaltung in England gar nicht denkbar, da
die Regierung ſowohl als die Selbſtverwaltungen nur das thun, was
die Geſetzgebung vorſchreibt, dieſe aber aus dem Einzelnen hervorgeht.
Während der Continent ſie durch die Thätigkeit der Behörden und durch
die Verantwortlichkeit derſelben erſetzt, daß nichts Nothwendiges unter-
bleibe, ſind ſie in England geradezu unerſetzlich, und müſſen daher mit
dem Parlamente zugleich als ein organiſches Glied der Selbſtverwaltung
im weiteſten Sinne betrachtet werden.

So erſcheint auch die Selbſtverwaltung Englands in denſelben
zwei großen Funktionen und Organen, welche durch das Weſen der Selbſt-
verwaltung überhaupt gegeben ſind, den Vertretungen und den Selbſt-
verwaltungskörpern. Allein die erſteren ſind dennoch mit dem Ver-
ſammlungs-, Vereins- und Petitionsrecht der Einzelnen und dem Ver-
waltungs- oder eigentlich Verordnungsrecht des Parlaments, die der
Geſetzgebung, nicht ganz erſchöpft.

Wir haben ſchon bemerkt, daß die Räthe und die Kammern ein
amtliches Element in ſich haben, obgleich ſie vermöge ihrer Zuſammen-
ſetzung der Selbſtverwaltung angehören; denn ſie ſind beide aus unab-
hängigen Mitgliedern zuſammengeſetzt. Wo daher das engliſche Staats-
leben mit ſeiner unſelbſtändigen Staatsverwaltung dennoch allmählig
gewiſſe große Geſammtaufgaben der Verwaltung nicht mehr bloß den
Selbſtverwaltungskörpern überlaſſen konnte, da griff es, um das Amt
und mit dem Amte die Selbſtändigkeit der Verwaltung zu vermeiden, zu
dem Syſtem, die höchſte Adminiſtration der Reichsangelegenheiten des
Inneren ſtatt wie auf dem Continent einem Miniſterium, vielmehr
einem Rathe anzuvertrauen. So entſtand das, für England eigen-
thümliche, und dennoch ſeiner ganzen Individualität entſprechende Ver-
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[388/0412] Regierung — über die Zuſtände und Bedürfniſſe aufzuklären, und die Initiative in der Bildung der Verwaltungsgeſetzgebung zu ergreifen, da es für dieſe Dinge kein anderes berechtigtes Organ gibt, als den Einzelnen. Der Gedanke, daß Verſammlungen, Vereine und Petitionen einer Regierung Oppoſition machen und eine Art von adminiſtrativer Anklage enthalten — ein Gedanke aus dem die eigentliche Oppoſition gegen jenes Recht hervorgeht — exiſtirt in England nicht. Sie ſind nur im Verhältniß zum Parlament als höchſter Verwaltungskörper für das Verwaltungsrecht zu denken. Sie ſind daher die Formen der „Vertretung“ in England; ohne ſie iſt eine große und gefährliche Lücke im Syſtem des engliſchen Lebens; ſie ſind nicht etwa bloß ein Recht des freien Staatsbürgers, ſondern eine Nothwendigkeit des Staats- lebens; ohne ſie iſt die Verwaltung in England gar nicht denkbar, da die Regierung ſowohl als die Selbſtverwaltungen nur das thun, was die Geſetzgebung vorſchreibt, dieſe aber aus dem Einzelnen hervorgeht. Während der Continent ſie durch die Thätigkeit der Behörden und durch die Verantwortlichkeit derſelben erſetzt, daß nichts Nothwendiges unter- bleibe, ſind ſie in England geradezu unerſetzlich, und müſſen daher mit dem Parlamente zugleich als ein organiſches Glied der Selbſtverwaltung im weiteſten Sinne betrachtet werden. So erſcheint auch die Selbſtverwaltung Englands in denſelben zwei großen Funktionen und Organen, welche durch das Weſen der Selbſt- verwaltung überhaupt gegeben ſind, den Vertretungen und den Selbſt- verwaltungskörpern. Allein die erſteren ſind dennoch mit dem Ver- ſammlungs-, Vereins- und Petitionsrecht der Einzelnen und dem Ver- waltungs- oder eigentlich Verordnungsrecht des Parlaments, die der Geſetzgebung, nicht ganz erſchöpft. Wir haben ſchon bemerkt, daß die Räthe und die Kammern ein amtliches Element in ſich haben, obgleich ſie vermöge ihrer Zuſammen- ſetzung der Selbſtverwaltung angehören; denn ſie ſind beide aus unab- hängigen Mitgliedern zuſammengeſetzt. Wo daher das engliſche Staats- leben mit ſeiner unſelbſtändigen Staatsverwaltung dennoch allmählig gewiſſe große Geſammtaufgaben der Verwaltung nicht mehr bloß den Selbſtverwaltungskörpern überlaſſen konnte, da griff es, um das Amt und mit dem Amte die Selbſtändigkeit der Verwaltung zu vermeiden, zu dem Syſtem, die höchſte Adminiſtration der Reichsangelegenheiten des Inneren ſtatt wie auf dem Continent einem Miniſterium, vielmehr einem Rathe anzuvertrauen. So entſtand das, für England eigen- thümliche, und dennoch ſeiner ganzen Individualität entſprechende Ver- hältniß, nach welchem wir eine Reihe höchſter Räthe an der Stelle der Miniſterien entſtehen ſehen, welche die Form der Selbſtverwaltung, den

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/412>, abgerufen am 25.11.2024.