gesunden Staatsordnung ist. Denn es hat seinen Grund in den höhern Forderungen des geistigen Lebens und ist damit der Ausdruck des auf sich selbst ruhenden Rechts auf die Selbstverwaltung.
Allein dennoch sind diese Körper organische Theile des Staats. Sie werden daher in das allgemeine Leben desselben, und insbesondere in die Verwaltung mit hineingezogen. Das persönlich einheitliche Leben des Staats findet an ihnen einen Widerstand, den es zu negiren strebt. So entsteht ein Kampf zwischen beiden Elementen. Dieser Kampf hat seinen besondern Verlauf wieder nach den drei Grundformen, Land, Gemeinde und Corporation. Jede derselben hat ihre eigene Geschichte. Aber sie behalten dennoch etwas Gemeinsames; sie haben eine gemein- same Geschichte, in welche sich die Verhältnisse der besonderen Geschichte hineinfügen. Und in dieser tritt wieder die Geschichte der Gesellschaft mit entscheidender Bedeutung auf. Die ganze Epoche der Geschlechter- ordnung erscheint gar nicht in dieser Geschichte. In ihr sind Staat und Gesellschaft noch in keinem Gegensatz, und eine Selbstverwaltung existirt nicht, weil es noch keine eigentliche Verwaltung gibt. Erst mit der ständischen Bildung beginnt jene Geschichte; dennoch hat die Ge- schlechterordnung das Bewußtsein hinterlassen, daß die Selbständigkeit der Verwaltung aller eigenen Angelegenheiten nicht etwa ein beson- deres Recht, sondern der natürliche Zustand der Verwaltung sei. Durch sie war daher der Satz festgestellt, daß ein Unterschied zwischen Selbst- verwaltung und Staatsverwaltung niemals aus der Gesellschaft, son- dern nur aus dem Auftreten der persönlichen Idee des Staats hervor- gehen könne. Und darauf beruht die ganze Geschichte der Verwaltungs- organisation, speziell aber die der Selbstverwaltung.
Das Lehenswesen, als die staatliche Form der ständischen Ordnung beginnt mit dem Satze, daß jeder freie Besitz das Recht habe, sich selbst zu verwalten, so weit es eine Verwaltung gab. Alle Reiche bestanden daher aus lauter selbständigen Verwaltungskörpern; jeder derselben hatte das unzweifelhafte, vom Königthume anerkannte Recht, innerhalb seiner Gränzen alle Aufgaben der Verwaltung, so weit sie da waren, durch sich selbst zu vollziehen. Das ward nicht geändert durch das Auftreten der (städtischen) Gemeinden; auch diese waren freie Verwaltungskörper, und ihre Privilegien waren eben Anerkennung dieser Selbständigkeit, keine Schöpfung derselben. Dieselbe Selbständigkeit erscheint da, wo der Beruf der gesellschaftlichen Stände, des Wehrstandes, des geistlichen Standes, des bürgerlichen Standes sich innerlich ordnet. Obwohl diese Stände die Funktionen der Staatsverwaltung vollziehen, bestimmen sie dennoch ihre eigene Organisationen und Rechte. Der Staat steht, im Königthume ausgedrückt, nicht bloß selbständig und geschieden neben
geſunden Staatsordnung iſt. Denn es hat ſeinen Grund in den höhern Forderungen des geiſtigen Lebens und iſt damit der Ausdruck des auf ſich ſelbſt ruhenden Rechts auf die Selbſtverwaltung.
Allein dennoch ſind dieſe Körper organiſche Theile des Staats. Sie werden daher in das allgemeine Leben deſſelben, und insbeſondere in die Verwaltung mit hineingezogen. Das perſönlich einheitliche Leben des Staats findet an ihnen einen Widerſtand, den es zu negiren ſtrebt. So entſteht ein Kampf zwiſchen beiden Elementen. Dieſer Kampf hat ſeinen beſondern Verlauf wieder nach den drei Grundformen, Land, Gemeinde und Corporation. Jede derſelben hat ihre eigene Geſchichte. Aber ſie behalten dennoch etwas Gemeinſames; ſie haben eine gemein- ſame Geſchichte, in welche ſich die Verhältniſſe der beſonderen Geſchichte hineinfügen. Und in dieſer tritt wieder die Geſchichte der Geſellſchaft mit entſcheidender Bedeutung auf. Die ganze Epoche der Geſchlechter- ordnung erſcheint gar nicht in dieſer Geſchichte. In ihr ſind Staat und Geſellſchaft noch in keinem Gegenſatz, und eine Selbſtverwaltung exiſtirt nicht, weil es noch keine eigentliche Verwaltung gibt. Erſt mit der ſtändiſchen Bildung beginnt jene Geſchichte; dennoch hat die Ge- ſchlechterordnung das Bewußtſein hinterlaſſen, daß die Selbſtändigkeit der Verwaltung aller eigenen Angelegenheiten nicht etwa ein beſon- deres Recht, ſondern der natürliche Zuſtand der Verwaltung ſei. Durch ſie war daher der Satz feſtgeſtellt, daß ein Unterſchied zwiſchen Selbſt- verwaltung und Staatsverwaltung niemals aus der Geſellſchaft, ſon- dern nur aus dem Auftreten der perſönlichen Idee des Staats hervor- gehen könne. Und darauf beruht die ganze Geſchichte der Verwaltungs- organiſation, ſpeziell aber die der Selbſtverwaltung.
Das Lehensweſen, als die ſtaatliche Form der ſtändiſchen Ordnung beginnt mit dem Satze, daß jeder freie Beſitz das Recht habe, ſich ſelbſt zu verwalten, ſo weit es eine Verwaltung gab. Alle Reiche beſtanden daher aus lauter ſelbſtändigen Verwaltungskörpern; jeder derſelben hatte das unzweifelhafte, vom Königthume anerkannte Recht, innerhalb ſeiner Gränzen alle Aufgaben der Verwaltung, ſo weit ſie da waren, durch ſich ſelbſt zu vollziehen. Das ward nicht geändert durch das Auftreten der (ſtädtiſchen) Gemeinden; auch dieſe waren freie Verwaltungskörper, und ihre Privilegien waren eben Anerkennung dieſer Selbſtändigkeit, keine Schöpfung derſelben. Dieſelbe Selbſtändigkeit erſcheint da, wo der Beruf der geſellſchaftlichen Stände, des Wehrſtandes, des geiſtlichen Standes, des bürgerlichen Standes ſich innerlich ordnet. Obwohl dieſe Stände die Funktionen der Staatsverwaltung vollziehen, beſtimmen ſie dennoch ihre eigene Organiſationen und Rechte. Der Staat ſteht, im Königthume ausgedrückt, nicht bloß ſelbſtändig und geſchieden neben
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geſunden Staatsordnung iſt. Denn es hat ſeinen Grund in den höhern
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ſich ſelbſt ruhenden Rechts auf die Selbſtverwaltung.
Allein dennoch ſind dieſe Körper organiſche Theile des Staats.
Sie werden daher in das allgemeine Leben deſſelben, und insbeſondere
in die Verwaltung mit hineingezogen. Das perſönlich einheitliche Leben
des Staats findet an ihnen einen Widerſtand, den es zu negiren ſtrebt.
So entſteht ein Kampf zwiſchen beiden Elementen. Dieſer Kampf hat
ſeinen beſondern Verlauf wieder nach den drei Grundformen, Land,
Gemeinde und Corporation. Jede derſelben hat ihre eigene Geſchichte.
Aber ſie behalten dennoch etwas Gemeinſames; ſie haben eine gemein-
ſame Geſchichte, in welche ſich die Verhältniſſe der beſonderen Geſchichte
hineinfügen. Und in dieſer tritt wieder die Geſchichte der Geſellſchaft
mit entſcheidender Bedeutung auf. Die ganze Epoche der Geſchlechter-
ordnung erſcheint gar nicht in dieſer Geſchichte. In ihr ſind Staat
und Geſellſchaft noch in keinem Gegenſatz, und eine Selbſtverwaltung
exiſtirt nicht, weil es noch keine eigentliche Verwaltung gibt. Erſt mit
der ſtändiſchen Bildung beginnt jene Geſchichte; dennoch hat die Ge-
ſchlechterordnung das Bewußtſein hinterlaſſen, daß die Selbſtändigkeit
der Verwaltung aller eigenen Angelegenheiten nicht etwa ein beſon-
deres Recht, ſondern der natürliche Zuſtand der Verwaltung ſei. Durch
ſie war daher der Satz feſtgeſtellt, daß ein Unterſchied zwiſchen Selbſt-
verwaltung und Staatsverwaltung niemals aus der Geſellſchaft, ſon-
dern nur aus dem Auftreten der perſönlichen Idee des Staats hervor-
gehen könne. Und darauf beruht die ganze Geſchichte der Verwaltungs-
organiſation, ſpeziell aber die der Selbſtverwaltung.
Das Lehensweſen, als die ſtaatliche Form der ſtändiſchen Ordnung
beginnt mit dem Satze, daß jeder freie Beſitz das Recht habe, ſich ſelbſt
zu verwalten, ſo weit es eine Verwaltung gab. Alle Reiche beſtanden
daher aus lauter ſelbſtändigen Verwaltungskörpern; jeder derſelben hatte
das unzweifelhafte, vom Königthume anerkannte Recht, innerhalb ſeiner
Gränzen alle Aufgaben der Verwaltung, ſo weit ſie da waren, durch
ſich ſelbſt zu vollziehen. Das ward nicht geändert durch das Auftreten
der (ſtädtiſchen) Gemeinden; auch dieſe waren freie Verwaltungskörper,
und ihre Privilegien waren eben Anerkennung dieſer Selbſtändigkeit,
keine Schöpfung derſelben. Dieſelbe Selbſtändigkeit erſcheint da, wo
der Beruf der geſellſchaftlichen Stände, des Wehrſtandes, des geiſtlichen
Standes, des bürgerlichen Standes ſich innerlich ordnet. Obwohl dieſe
Stände die Funktionen der Staatsverwaltung vollziehen, beſtimmen ſie
dennoch ihre eigene Organiſationen und Rechte. Der Staat ſteht, im
Königthume ausgedrückt, nicht bloß ſelbſtändig und geſchieden neben
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/406>, abgerufen am 22.11.2024.
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