Principien der ständischen Verwaltungsepoche, und ist mit dieser beseitigt. Die Frage, ob ein Strafrechtsfall unter das Disciplinar- oder das bürgerliche Strafrecht gehört, muß einfach nach dem Inhalte des Straf- gesetzes entschieden werden. Die weiteren Folgen liegen in der Natur des amtlichen Berufes.
Diejenigen Handlungen des Beamteten, welche, obwohl sie kein Recht verletzen, dennoch die Frage entstehen lassen, ob die Voraus- setzungen der berufsmäßigen Amtsführung bei dem Beamteten vor- handen sind, erzeugen das Disciplinarverfahren; und die Maß- regeln, welche den Beamteten dahin bringen sollen, die Harmonie seines persönlichen Lebens mit der berufsmäßigen Würde und der amtsmäßigen Geschäftsthätigkeit herzustellen, bilden das Disciplinar- recht. Die Einrichtung des ersteren ist stets eine Frage der Zweck- mäßigkeit; nur muß die Möglichkeit gewahrt werden, daß der Beschuldigte gehört werden kann. Die Gränze des zweiten gegenüber dem eigentlich gesellschaftlichen und wirthschaftlichen Staatsdienerrecht beginnt da, wo ein erworbenes Recht in Frage kommt; das Disciplinarrecht hat seine höchste Spitze in der Suspension; es kann keinen Theil des eigent- lichen Amtsrechts umfassen.
Das Verhältniß des Beamteten zum Staate begründet in Be- ziehung auf die einzelnen Handlungen des ersteren endlich das Haf- tungsrecht des Staats für die Thätigkeiten des Beamteten. Es ist einleuchtend, daß der Staat für alle diejenigen Handlungen haften muß, welche der Beamtete vermöge seiner Competenz vollzieht. Es ist eben so klar, daß er nicht zu haften hat, wenn der Beamtete seine Competenz überschreitet, selbst dann nicht, wenn er im Namen des Staats verfährt, als es klar ist, daß der Staat haftet für dasjenige, was der Beamtete im Namen seiner Competenz vollbringt. Der ein- fache, hier durchgreifende Satz lautet demnach dahin, daß in den Fällen, wo der Beamtete seine Competenz überschreitet, der Einzelne durch eine solche Ueberschreitung gegen den Beamten ein Privatklagrecht gewinnt, und daß im streitigen Falle der Staatsrath zu entscheiden hat, ob die fragliche Handlung zur Competenz gerechnet werden soll oder nicht, -- daß aber die Haftung des Staats durch zuständige Handlungen des Beamteten wieder den Regreß des Staats gegen den letzteren offen stellt, sobald die Form oder das Maß der Handlung mit der Absicht des Staats im Widerspruch standen. Die Gränze liegt im letzteren Falle in der Unterscheidung zwischen der rechtlichen Natur einerseits, und der Form und dem Maße andererseits; denn der Begriff der Zuständigkeit hebt zwischen Beamteten und Staat die Haftung für die erstern eben auf, und läßt sie nur für die letztern beginnen.
Principien der ſtändiſchen Verwaltungsepoche, und iſt mit dieſer beſeitigt. Die Frage, ob ein Strafrechtsfall unter das Disciplinar- oder das bürgerliche Strafrecht gehört, muß einfach nach dem Inhalte des Straf- geſetzes entſchieden werden. Die weiteren Folgen liegen in der Natur des amtlichen Berufes.
Diejenigen Handlungen des Beamteten, welche, obwohl ſie kein Recht verletzen, dennoch die Frage entſtehen laſſen, ob die Voraus- ſetzungen der berufsmäßigen Amtsführung bei dem Beamteten vor- handen ſind, erzeugen das Disciplinarverfahren; und die Maß- regeln, welche den Beamteten dahin bringen ſollen, die Harmonie ſeines perſönlichen Lebens mit der berufsmäßigen Würde und der amtsmäßigen Geſchäftsthätigkeit herzuſtellen, bilden das Disciplinar- recht. Die Einrichtung des erſteren iſt ſtets eine Frage der Zweck- mäßigkeit; nur muß die Möglichkeit gewahrt werden, daß der Beſchuldigte gehört werden kann. Die Gränze des zweiten gegenüber dem eigentlich geſellſchaftlichen und wirthſchaftlichen Staatsdienerrecht beginnt da, wo ein erworbenes Recht in Frage kommt; das Disciplinarrecht hat ſeine höchſte Spitze in der Suspenſion; es kann keinen Theil des eigent- lichen Amtsrechts umfaſſen.
Das Verhältniß des Beamteten zum Staate begründet in Be- ziehung auf die einzelnen Handlungen des erſteren endlich das Haf- tungsrecht des Staats für die Thätigkeiten des Beamteten. Es iſt einleuchtend, daß der Staat für alle diejenigen Handlungen haften muß, welche der Beamtete vermöge ſeiner Competenz vollzieht. Es iſt eben ſo klar, daß er nicht zu haften hat, wenn der Beamtete ſeine Competenz überſchreitet, ſelbſt dann nicht, wenn er im Namen des Staats verfährt, als es klar iſt, daß der Staat haftet für dasjenige, was der Beamtete im Namen ſeiner Competenz vollbringt. Der ein- fache, hier durchgreifende Satz lautet demnach dahin, daß in den Fällen, wo der Beamtete ſeine Competenz überſchreitet, der Einzelne durch eine ſolche Ueberſchreitung gegen den Beamten ein Privatklagrecht gewinnt, und daß im ſtreitigen Falle der Staatsrath zu entſcheiden hat, ob die fragliche Handlung zur Competenz gerechnet werden ſoll oder nicht, — daß aber die Haftung des Staats durch zuſtändige Handlungen des Beamteten wieder den Regreß des Staats gegen den letzteren offen ſtellt, ſobald die Form oder das Maß der Handlung mit der Abſicht des Staats im Widerſpruch ſtanden. Die Gränze liegt im letzteren Falle in der Unterſcheidung zwiſchen der rechtlichen Natur einerſeits, und der Form und dem Maße andererſeits; denn der Begriff der Zuſtändigkeit hebt zwiſchen Beamteten und Staat die Haftung für die erſtern eben auf, und läßt ſie nur für die letztern beginnen.
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Principien der ſtändiſchen Verwaltungsepoche, und iſt mit dieſer beſeitigt.
Die Frage, ob ein Strafrechtsfall unter das Disciplinar- oder das
bürgerliche Strafrecht gehört, muß einfach nach dem Inhalte des Straf-
geſetzes entſchieden werden. Die weiteren Folgen liegen in der Natur
des amtlichen Berufes.
Diejenigen Handlungen des Beamteten, welche, obwohl ſie kein
Recht verletzen, dennoch die Frage entſtehen laſſen, ob die Voraus-
ſetzungen der berufsmäßigen Amtsführung bei dem Beamteten vor-
handen ſind, erzeugen das Disciplinarverfahren; und die Maß-
regeln, welche den Beamteten dahin bringen ſollen, die Harmonie
ſeines perſönlichen Lebens mit der berufsmäßigen Würde und der
amtsmäßigen Geſchäftsthätigkeit herzuſtellen, bilden das Disciplinar-
recht. Die Einrichtung des erſteren iſt ſtets eine Frage der Zweck-
mäßigkeit; nur muß die Möglichkeit gewahrt werden, daß der Beſchuldigte
gehört werden kann. Die Gränze des zweiten gegenüber dem eigentlich
geſellſchaftlichen und wirthſchaftlichen Staatsdienerrecht beginnt da, wo
ein erworbenes Recht in Frage kommt; das Disciplinarrecht hat ſeine
höchſte Spitze in der Suspenſion; es kann keinen Theil des eigent-
lichen Amtsrechts umfaſſen.
Das Verhältniß des Beamteten zum Staate begründet in Be-
ziehung auf die einzelnen Handlungen des erſteren endlich das Haf-
tungsrecht des Staats für die Thätigkeiten des Beamteten. Es iſt
einleuchtend, daß der Staat für alle diejenigen Handlungen haften
muß, welche der Beamtete vermöge ſeiner Competenz vollzieht. Es iſt
eben ſo klar, daß er nicht zu haften hat, wenn der Beamtete ſeine
Competenz überſchreitet, ſelbſt dann nicht, wenn er im Namen des
Staats verfährt, als es klar iſt, daß der Staat haftet für dasjenige,
was der Beamtete im Namen ſeiner Competenz vollbringt. Der ein-
fache, hier durchgreifende Satz lautet demnach dahin, daß in den Fällen,
wo der Beamtete ſeine Competenz überſchreitet, der Einzelne durch eine
ſolche Ueberſchreitung gegen den Beamten ein Privatklagrecht gewinnt,
und daß im ſtreitigen Falle der Staatsrath zu entſcheiden hat, ob die
fragliche Handlung zur Competenz gerechnet werden ſoll oder nicht, —
daß aber die Haftung des Staats durch zuſtändige Handlungen des
Beamteten wieder den Regreß des Staats gegen den letzteren offen
ſtellt, ſobald die Form oder das Maß der Handlung mit der Abſicht
des Staats im Widerſpruch ſtanden. Die Gränze liegt im letzteren Falle
in der Unterſcheidung zwiſchen der rechtlichen Natur einerſeits, und der
Form und dem Maße andererſeits; denn der Begriff der Zuſtändigkeit
hebt zwiſchen Beamteten und Staat die Haftung für die erſtern eben
auf, und läßt ſie nur für die letztern beginnen.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/386>, abgerufen am 22.11.2024.
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