Die amtsmäßige Pflicht des Beamteten dagegen erscheint zuerst einfach als die Pflicht des amtlichen Gehorsams. Betrachtet man diesen indeß näher, so entwickeln sich drei Verhältnisse, die mit einander in sehr ernste Conflikte treten können. Das erste ist die Pflicht, das Amt nach der Aufgabe desselben und den Instruktionen wirklich zu ver- walten; das zweite ist die Pflicht, den Anordnungen der höheren Stellen Folge zu leisten; das dritte ist die Pflicht, das Princip der Verfassungs- mäßigkeit der Verwaltung in der Amtsführung und den eigentlich amt- lichen Gehorsam festzuhalten. Darüber kann kein Zweifel sein, daß die Amtspflicht alle diese drei Momente umfaßt. Die Frage über In- halt und Wesen der Amtspflicht entsteht erst da, wo diese drei Momente derselben unter einander in Widerspruch treten. Dieß geschieht in zwei Hauptfällen. Erstlich da, wo der Befehl der höheren Stelle einen Ge- horsam für Funktionen verlangt, welche über die Competenz des Amts hinausgehen; zweitens da, wo dieser Befehl einen Gehorsam verlangt, der mit den Grundsätzen der verfassungsmäßigen Verwaltung in Wider- spruch tritt. Der dritte Fall, daß der Befehl etwas fordert, was gegen das bürgerliche Recht überhaupt streitet, erscheint dagegen als ein durch sich selbst erledigter; denn da ein solcher Befehl seinem Inhalt nach überhaupt kein amtlicher ist, sondern nur der Ausdruck des rein per- sönlichen Willens des höheren Beamteten, so fällt damit die Pflicht zum Gehorsam ohnehin weg; und das ist es, was z. B. die Regierungs- instruktion vom 23. Oktober 1817 (Preußen) sagen will, wenn es darin ausdrücklich heißt: "Niemals können die Regierungen etwas verfügen, was einem ausdrücklichen Gesetze zuwiderläuft;" d. h. wenn sie es thun, so ist es eben keine Verfügung einer Regierung, sondern der subjektive Wille der Person des höheren Beamteten.
Was nun den ersten Fall betrifft, so enthält die eigentliche Amts- pflicht keine Verpflichtung zum Gehorsam außerhalb der unzweifelhaften Zuständigkeit des Amts, wohl aber erscheint der Beamtete mehr als irgend ein anderer Staatsbürger verpflichtet, einen Auftrag der höheren Behörde zu übernehmen, sofern derselbe nicht mit der eigentlichen Amts- pflicht collidirt. Natürlich findet dazu kein Zwang statt, und vorkom- menden Falles muß die Erlaubniß der höheren Stelle eingeholt werden; aber wo auch das Amt nicht zur Uebernahme eines solchen Auftrages nöthigt, da erscheint die Nöthigung eine berufsmäßige, und die Ab- weisung ein Verstoß gegen den Beruf. Etwas anderes ist es, wenn ein solcher Auftrag eine dauernde Funktion werden soll. Hier muß sie organisch mit dem Amt als Erweiterung seiner Competenz verbunden werden. Wo jedoch der Auftrag nur eine spezielle Verwendung des Beamteten für ein bestimmtes Gebiet seiner amtlichen Funktion ist,
Die amtsmäßige Pflicht des Beamteten dagegen erſcheint zuerſt einfach als die Pflicht des amtlichen Gehorſams. Betrachtet man dieſen indeß näher, ſo entwickeln ſich drei Verhältniſſe, die mit einander in ſehr ernſte Conflikte treten können. Das erſte iſt die Pflicht, das Amt nach der Aufgabe deſſelben und den Inſtruktionen wirklich zu ver- walten; das zweite iſt die Pflicht, den Anordnungen der höheren Stellen Folge zu leiſten; das dritte iſt die Pflicht, das Princip der Verfaſſungs- mäßigkeit der Verwaltung in der Amtsführung und den eigentlich amt- lichen Gehorſam feſtzuhalten. Darüber kann kein Zweifel ſein, daß die Amtspflicht alle dieſe drei Momente umfaßt. Die Frage über In- halt und Weſen der Amtspflicht entſteht erſt da, wo dieſe drei Momente derſelben unter einander in Widerſpruch treten. Dieß geſchieht in zwei Hauptfällen. Erſtlich da, wo der Befehl der höheren Stelle einen Ge- horſam für Funktionen verlangt, welche über die Competenz des Amts hinausgehen; zweitens da, wo dieſer Befehl einen Gehorſam verlangt, der mit den Grundſätzen der verfaſſungsmäßigen Verwaltung in Wider- ſpruch tritt. Der dritte Fall, daß der Befehl etwas fordert, was gegen das bürgerliche Recht überhaupt ſtreitet, erſcheint dagegen als ein durch ſich ſelbſt erledigter; denn da ein ſolcher Befehl ſeinem Inhalt nach überhaupt kein amtlicher iſt, ſondern nur der Ausdruck des rein per- ſönlichen Willens des höheren Beamteten, ſo fällt damit die Pflicht zum Gehorſam ohnehin weg; und das iſt es, was z. B. die Regierungs- inſtruktion vom 23. Oktober 1817 (Preußen) ſagen will, wenn es darin ausdrücklich heißt: „Niemals können die Regierungen etwas verfügen, was einem ausdrücklichen Geſetze zuwiderläuft;“ d. h. wenn ſie es thun, ſo iſt es eben keine Verfügung einer Regierung, ſondern der ſubjektive Wille der Perſon des höheren Beamteten.
Was nun den erſten Fall betrifft, ſo enthält die eigentliche Amts- pflicht keine Verpflichtung zum Gehorſam außerhalb der unzweifelhaften Zuſtändigkeit des Amts, wohl aber erſcheint der Beamtete mehr als irgend ein anderer Staatsbürger verpflichtet, einen Auftrag der höheren Behörde zu übernehmen, ſofern derſelbe nicht mit der eigentlichen Amts- pflicht collidirt. Natürlich findet dazu kein Zwang ſtatt, und vorkom- menden Falles muß die Erlaubniß der höheren Stelle eingeholt werden; aber wo auch das Amt nicht zur Uebernahme eines ſolchen Auftrages nöthigt, da erſcheint die Nöthigung eine berufsmäßige, und die Ab- weiſung ein Verſtoß gegen den Beruf. Etwas anderes iſt es, wenn ein ſolcher Auftrag eine dauernde Funktion werden ſoll. Hier muß ſie organiſch mit dem Amt als Erweiterung ſeiner Competenz verbunden werden. Wo jedoch der Auftrag nur eine ſpezielle Verwendung des Beamteten für ein beſtimmtes Gebiet ſeiner amtlichen Funktion iſt,
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Die amtsmäßige Pflicht des Beamteten dagegen erſcheint zuerſt
einfach als die Pflicht des amtlichen Gehorſams. Betrachtet man
dieſen indeß näher, ſo entwickeln ſich drei Verhältniſſe, die mit einander
in ſehr ernſte Conflikte treten können. Das erſte iſt die Pflicht, das
Amt nach der Aufgabe deſſelben und den Inſtruktionen wirklich zu ver-
walten; das zweite iſt die Pflicht, den Anordnungen der höheren Stellen
Folge zu leiſten; das dritte iſt die Pflicht, das Princip der Verfaſſungs-
mäßigkeit der Verwaltung in der Amtsführung und den eigentlich amt-
lichen Gehorſam feſtzuhalten. Darüber kann kein Zweifel ſein, daß
die Amtspflicht alle dieſe drei Momente umfaßt. Die Frage über In-
halt und Weſen der Amtspflicht entſteht erſt da, wo dieſe drei Momente
derſelben unter einander in Widerſpruch treten. Dieß geſchieht in zwei
Hauptfällen. Erſtlich da, wo der Befehl der höheren Stelle einen Ge-
horſam für Funktionen verlangt, welche über die Competenz des Amts
hinausgehen; zweitens da, wo dieſer Befehl einen Gehorſam verlangt,
der mit den Grundſätzen der verfaſſungsmäßigen Verwaltung in Wider-
ſpruch tritt. Der dritte Fall, daß der Befehl etwas fordert, was gegen
das bürgerliche Recht überhaupt ſtreitet, erſcheint dagegen als ein durch
ſich ſelbſt erledigter; denn da ein ſolcher Befehl ſeinem Inhalt nach
überhaupt kein amtlicher iſt, ſondern nur der Ausdruck des rein per-
ſönlichen Willens des höheren Beamteten, ſo fällt damit die Pflicht
zum Gehorſam ohnehin weg; und das iſt es, was z. B. die Regierungs-
inſtruktion vom 23. Oktober 1817 (Preußen) ſagen will, wenn es darin
ausdrücklich heißt: „Niemals können die Regierungen etwas verfügen,
was einem ausdrücklichen Geſetze zuwiderläuft;“ d. h. wenn ſie es thun,
ſo iſt es eben keine Verfügung einer Regierung, ſondern der ſubjektive
Wille der Perſon des höheren Beamteten.
Was nun den erſten Fall betrifft, ſo enthält die eigentliche Amts-
pflicht keine Verpflichtung zum Gehorſam außerhalb der unzweifelhaften
Zuſtändigkeit des Amts, wohl aber erſcheint der Beamtete mehr als
irgend ein anderer Staatsbürger verpflichtet, einen Auftrag der höheren
Behörde zu übernehmen, ſofern derſelbe nicht mit der eigentlichen Amts-
pflicht collidirt. Natürlich findet dazu kein Zwang ſtatt, und vorkom-
menden Falles muß die Erlaubniß der höheren Stelle eingeholt werden;
aber wo auch das Amt nicht zur Uebernahme eines ſolchen Auftrages
nöthigt, da erſcheint die Nöthigung eine berufsmäßige, und die Ab-
weiſung ein Verſtoß gegen den Beruf. Etwas anderes iſt es, wenn
ein ſolcher Auftrag eine dauernde Funktion werden ſoll. Hier muß ſie
organiſch mit dem Amt als Erweiterung ſeiner Competenz verbunden
werden. Wo jedoch der Auftrag nur eine ſpezielle Verwendung des
Beamteten für ein beſtimmtes Gebiet ſeiner amtlichen Funktion iſt,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/379>, abgerufen am 22.11.2024.
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