Charakter. Die Verwaltung ist hier wie die Gesetzgebung nichts als eine Parteiherrschaft. Es folgt daraus, daß die Bedingungen der Anstellung gleichfalls nicht in persönlichen Fähigkeiten, sondern in dem Angehören an die Partei liegen müssen. Die Uebernahme der Verwaltung enthält die Verpflichtung, dieselbe im Geiste der Partei zu leiten, und damit die weitere, auch nur solche anzustellen, welche mit der Partei gehen. Aus diesem an sich einfachen Grundsatz ist aber die Frage entstanden, welche in der verfassungsmäßigen Verwaltung in vieler Beziehung die schwierigste ist. Ein völliger Wechsel aller Beamteten würde die Ver- waltung vernichten. Es muß daher jene Verpflichtung des Ministers gegen die Partei ihre Gränze haben, d. h. es muß nur ein bestimmter Theil der Beamteten als Organe der Partetregierung betrachtet werden, und mithin mit dem Ministerium wechseln. In England hat man diese Frage nicht grundsätzlich, wie in Deutschland, sondern durch die gege- benen Verhältnisse entscheiden lassen. Da nämlich das ganze System der Mittelbehörden faktisch der Selbstverwaltung angehört, so ist das- selbe von diesem Wechsel der Parteiregierung ausgeschlossen. Innerhalb des eigentlichen Beamtensystems aber hat sich eine Gruppe von Amts- stellen gebildet, welche unbedingt in ihrer Besetzung der Parteiver- waltung angehören, die Gruppe der sogenannten Patronage, welche ungefähr sechzig Stellen umfaßt. Die übrigen Aemter fallen nur so weit unter die persönliche Anstellung und Entlassung der Minister, als sie in ihrer Amtsführung überhaupt in die Lage kommen, die Grundsätze einer Parteiverwaltung anzuerkennen und zur Ausführung zu bringen. Aber auch bei denen, die von diesem Falle ausgeschlossen sind, bestimmt die Partei durch ihren Führer die Besetzung. Es ist hier also von irgend welchen objektiven Bedingungen gar keine Rede, und die amtliche Verwaltung ist daher so schlecht als möglich. Ohne das System der Selbstverwaltung wäre Englands Administration schlechter als die ab- solut willkürliche Rußlands.
Das System der Anstellung in Deutschland dagegen beruht vor allen Dingen auf dem großen Principe der berufsmäßigen Bildung, welches tief im Wesen des deutschen Beamtenstandes liegt. Der erste und durchgreifende Grundsatz für alle Anstellung ist daher die Forderung einer Nachweisung dieser Bildung durch das System der Universitäts- lehre und der Staatsprüfung. Das Bestehen der letzteren gibt das Anrecht vor jedem, der es nicht bestanden; die Gränze für die wirkliche Anstellung liegt in dieser Anstellungsfähigkeit. Allerdings ist dieser Grund- satz entstanden bei der Rechtspflege; von ihr ist derselbe aber allmählig auf alle Gebiete der Verwaltung übergegangen, und darf als ein orga- nisches Element der Staatsverwaltung betrachtet werden, an dem für
Charakter. Die Verwaltung iſt hier wie die Geſetzgebung nichts als eine Parteiherrſchaft. Es folgt daraus, daß die Bedingungen der Anſtellung gleichfalls nicht in perſönlichen Fähigkeiten, ſondern in dem Angehören an die Partei liegen müſſen. Die Uebernahme der Verwaltung enthält die Verpflichtung, dieſelbe im Geiſte der Partei zu leiten, und damit die weitere, auch nur ſolche anzuſtellen, welche mit der Partei gehen. Aus dieſem an ſich einfachen Grundſatz iſt aber die Frage entſtanden, welche in der verfaſſungsmäßigen Verwaltung in vieler Beziehung die ſchwierigſte iſt. Ein völliger Wechſel aller Beamteten würde die Ver- waltung vernichten. Es muß daher jene Verpflichtung des Miniſters gegen die Partei ihre Gränze haben, d. h. es muß nur ein beſtimmter Theil der Beamteten als Organe der Partetregierung betrachtet werden, und mithin mit dem Miniſterium wechſeln. In England hat man dieſe Frage nicht grundſätzlich, wie in Deutſchland, ſondern durch die gege- benen Verhältniſſe entſcheiden laſſen. Da nämlich das ganze Syſtem der Mittelbehörden faktiſch der Selbſtverwaltung angehört, ſo iſt das- ſelbe von dieſem Wechſel der Parteiregierung ausgeſchloſſen. Innerhalb des eigentlichen Beamtenſyſtems aber hat ſich eine Gruppe von Amts- ſtellen gebildet, welche unbedingt in ihrer Beſetzung der Parteiver- waltung angehören, die Gruppe der ſogenannten Patronage, welche ungefähr ſechzig Stellen umfaßt. Die übrigen Aemter fallen nur ſo weit unter die perſönliche Anſtellung und Entlaſſung der Miniſter, als ſie in ihrer Amtsführung überhaupt in die Lage kommen, die Grundſätze einer Parteiverwaltung anzuerkennen und zur Ausführung zu bringen. Aber auch bei denen, die von dieſem Falle ausgeſchloſſen ſind, beſtimmt die Partei durch ihren Führer die Beſetzung. Es iſt hier alſo von irgend welchen objektiven Bedingungen gar keine Rede, und die amtliche Verwaltung iſt daher ſo ſchlecht als möglich. Ohne das Syſtem der Selbſtverwaltung wäre Englands Adminiſtration ſchlechter als die ab- ſolut willkürliche Rußlands.
Das Syſtem der Anſtellung in Deutſchland dagegen beruht vor allen Dingen auf dem großen Principe der berufsmäßigen Bildung, welches tief im Weſen des deutſchen Beamtenſtandes liegt. Der erſte und durchgreifende Grundſatz für alle Anſtellung iſt daher die Forderung einer Nachweiſung dieſer Bildung durch das Syſtem der Univerſitäts- lehre und der Staatsprüfung. Das Beſtehen der letzteren gibt das Anrecht vor jedem, der es nicht beſtanden; die Gränze für die wirkliche Anſtellung liegt in dieſer Anſtellungsfähigkeit. Allerdings iſt dieſer Grund- ſatz entſtanden bei der Rechtspflege; von ihr iſt derſelbe aber allmählig auf alle Gebiete der Verwaltung übergegangen, und darf als ein orga- niſches Element der Staatsverwaltung betrachtet werden, an dem für
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Charakter. Die Verwaltung iſt hier wie die Geſetzgebung nichts als eine
Parteiherrſchaft. Es folgt daraus, daß die Bedingungen der Anſtellung
gleichfalls nicht in perſönlichen Fähigkeiten, ſondern in dem Angehören
an die Partei liegen müſſen. Die Uebernahme der Verwaltung enthält
die Verpflichtung, dieſelbe im Geiſte der Partei zu leiten, und damit
die weitere, auch nur ſolche anzuſtellen, welche mit der Partei gehen.
Aus dieſem an ſich einfachen Grundſatz iſt aber die Frage entſtanden,
welche in der verfaſſungsmäßigen Verwaltung in vieler Beziehung die
ſchwierigſte iſt. Ein völliger Wechſel aller Beamteten würde die Ver-
waltung vernichten. Es muß daher jene Verpflichtung des Miniſters
gegen die Partei ihre Gränze haben, d. h. es muß nur ein beſtimmter
Theil der Beamteten als Organe der Partetregierung betrachtet werden,
und mithin mit dem Miniſterium wechſeln. In England hat man dieſe
Frage nicht grundſätzlich, wie in Deutſchland, ſondern durch die gege-
benen Verhältniſſe entſcheiden laſſen. Da nämlich das ganze Syſtem
der Mittelbehörden faktiſch der Selbſtverwaltung angehört, ſo iſt das-
ſelbe von dieſem Wechſel der Parteiregierung ausgeſchloſſen. Innerhalb
des eigentlichen Beamtenſyſtems aber hat ſich eine Gruppe von Amts-
ſtellen gebildet, welche unbedingt in ihrer Beſetzung der Parteiver-
waltung angehören, die Gruppe der ſogenannten Patronage, welche
ungefähr ſechzig Stellen umfaßt. Die übrigen Aemter fallen nur ſo
weit unter die perſönliche Anſtellung und Entlaſſung der Miniſter, als
ſie in ihrer Amtsführung überhaupt in die Lage kommen, die Grundſätze
einer Parteiverwaltung anzuerkennen und zur Ausführung zu bringen.
Aber auch bei denen, die von dieſem Falle ausgeſchloſſen ſind, beſtimmt
die Partei durch ihren Führer die Beſetzung. Es iſt hier alſo von
irgend welchen objektiven Bedingungen gar keine Rede, und die amtliche
Verwaltung iſt daher ſo ſchlecht als möglich. Ohne das Syſtem der
Selbſtverwaltung wäre Englands Adminiſtration ſchlechter als die ab-
ſolut willkürliche Rußlands.
Das Syſtem der Anſtellung in Deutſchland dagegen beruht vor
allen Dingen auf dem großen Principe der berufsmäßigen Bildung,
welches tief im Weſen des deutſchen Beamtenſtandes liegt. Der erſte
und durchgreifende Grundſatz für alle Anſtellung iſt daher die Forderung
einer Nachweiſung dieſer Bildung durch das Syſtem der Univerſitäts-
lehre und der Staatsprüfung. Das Beſtehen der letzteren gibt das
Anrecht vor jedem, der es nicht beſtanden; die Gränze für die wirkliche
Anſtellung liegt in dieſer Anſtellungsfähigkeit. Allerdings iſt dieſer Grund-
ſatz entſtanden bei der Rechtspflege; von ihr iſt derſelbe aber allmählig
auf alle Gebiete der Verwaltung übergegangen, und darf als ein orga-
niſches Element der Staatsverwaltung betrachtet werden, an dem für
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/376>, abgerufen am 22.11.2024.
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