muß zweitens fähig sein, den Sonderinteressen unabhängig gegenüber zu treten. Das erste fordert, daß der Beamtete sich mit seiner ganzen sittlichen und geistigen Kraft dauernd den Aufgaben des Amts widme; er muß persönlich auf das verzichten, was er als Beamteter zu be- kämpfen hat, das eigene Interesse; er muß sich ganz mit seiner ganzen geistigen und physischen Arbeitskraft dieser Idee des Gesammtinteresses, dem Principe der staatsbürgerlichen Gesellschaft, hingeben; und so wird aus diesem Hingeben statt eines Dienstes, der einem höhern Willen folgt, ein Beruf, der einer höhern Idee dient. In der That hat daher die staatsbürgerliche Gesellschaft erst das Amt geadelt, indem es aus ihm einen sittlichen Beruf gemacht hat; erst in ihr gibt es wahre Beamtete; sie hat das ethische Element in das Amt gelegt, und aus demselben sind nun alle diejenigen Folgen entstanden und zu einem förmlichen System von Rechten geworden, welche wir das Staatsdiener- recht nennen, und das die ständische Ordnung nicht nur nicht kannte, sondern gar nicht kennen konnte.
Dadurch nun ist das Staatsdienerrecht aus einem bloßen Gebiete der Rechtskunde zu einem Gegenstand der Rechtswissenschaft geworden. Das Princip dieses Rechts ist der Grundsatz, daß der Beamtete die in jenem Wesen des Amts liegende Selbständigkeit als sein persönliches Recht haben muß, und daß der Inhalt dieses Rechts daher einerseits in dem Rechte auf diejenigen Bedingungen der Selbständigkeit besteht, ohne welche dieselben für ein persönliches Leben nicht denkbar ist, anderer- seits aber in dem Rechte des Staats, von dem Beamteten dasjenige zu fordern, was dieser ethische Beruf selbst an persönlichen Fähigkeiten und Leistungen voraussetzt, um durch den Beamteten in der Führung seines Amtes erfüllt zu werden. Denn der Staat, und mithin sein Vertreter, das Staatsoberhaupt, ist für das Amt seinem Begriffe nach der Träger eben jener ethischen Idee, welche den Inhalt des amtlichen Berufes bildet. Und indem nun die wirthschaftliche Bedingung dieser unabhängigen Berufserfüllung eine von dem Einzelnen unabhängige, selbständige, wirthschaftliche Stellung des Amts -- ein berufsmäßiges, festes Einkommen, das nicht mehr durch einzelne Erwerbsakte, sondern durch die Erfüllung des Berufes selber gewonnen wird (der Gehalt) -- ist, empfängt der Beruf des Amts den Charakter des Standes. Das Beamtenthum ist daher ein Stand, und zwar im höheren, ausge- prägten Sinne des Wortes, und die natürlichen Rechte des Beamten erscheinen daher als Standesrechte, d. h. als Rechte, welche nicht mehr auf individuellem Verhalten und persönlicher Anschauung, sondern auf dem organischen und dauernden Wesen des Amts beruhen. In der That liegt die nothwendige Selbständigkeit des Beamteten wesentlich
muß zweitens fähig ſein, den Sonderintereſſen unabhängig gegenüber zu treten. Das erſte fordert, daß der Beamtete ſich mit ſeiner ganzen ſittlichen und geiſtigen Kraft dauernd den Aufgaben des Amts widme; er muß perſönlich auf das verzichten, was er als Beamteter zu be- kämpfen hat, das eigene Intereſſe; er muß ſich ganz mit ſeiner ganzen geiſtigen und phyſiſchen Arbeitskraft dieſer Idee des Geſammtintereſſes, dem Principe der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, hingeben; und ſo wird aus dieſem Hingeben ſtatt eines Dienſtes, der einem höhern Willen folgt, ein Beruf, der einer höhern Idee dient. In der That hat daher die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft erſt das Amt geadelt, indem es aus ihm einen ſittlichen Beruf gemacht hat; erſt in ihr gibt es wahre Beamtete; ſie hat das ethiſche Element in das Amt gelegt, und aus demſelben ſind nun alle diejenigen Folgen entſtanden und zu einem förmlichen Syſtem von Rechten geworden, welche wir das Staatsdiener- recht nennen, und das die ſtändiſche Ordnung nicht nur nicht kannte, ſondern gar nicht kennen konnte.
Dadurch nun iſt das Staatsdienerrecht aus einem bloßen Gebiete der Rechtskunde zu einem Gegenſtand der Rechtswiſſenſchaft geworden. Das Princip dieſes Rechts iſt der Grundſatz, daß der Beamtete die in jenem Weſen des Amts liegende Selbſtändigkeit als ſein perſönliches Recht haben muß, und daß der Inhalt dieſes Rechts daher einerſeits in dem Rechte auf diejenigen Bedingungen der Selbſtändigkeit beſteht, ohne welche dieſelben für ein perſönliches Leben nicht denkbar iſt, anderer- ſeits aber in dem Rechte des Staats, von dem Beamteten dasjenige zu fordern, was dieſer ethiſche Beruf ſelbſt an perſönlichen Fähigkeiten und Leiſtungen vorausſetzt, um durch den Beamteten in der Führung ſeines Amtes erfüllt zu werden. Denn der Staat, und mithin ſein Vertreter, das Staatsoberhaupt, iſt für das Amt ſeinem Begriffe nach der Träger eben jener ethiſchen Idee, welche den Inhalt des amtlichen Berufes bildet. Und indem nun die wirthſchaftliche Bedingung dieſer unabhängigen Berufserfüllung eine von dem Einzelnen unabhängige, ſelbſtändige, wirthſchaftliche Stellung des Amts — ein berufsmäßiges, feſtes Einkommen, das nicht mehr durch einzelne Erwerbsakte, ſondern durch die Erfüllung des Berufes ſelber gewonnen wird (der Gehalt) — iſt, empfängt der Beruf des Amts den Charakter des Standes. Das Beamtenthum iſt daher ein Stand, und zwar im höheren, ausge- prägten Sinne des Wortes, und die natürlichen Rechte des Beamten erſcheinen daher als Standesrechte, d. h. als Rechte, welche nicht mehr auf individuellem Verhalten und perſönlicher Anſchauung, ſondern auf dem organiſchen und dauernden Weſen des Amts beruhen. In der That liegt die nothwendige Selbſtändigkeit des Beamteten weſentlich
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muß zweitens fähig ſein, den Sonderintereſſen unabhängig gegenüber
zu treten. Das erſte fordert, daß der Beamtete ſich mit ſeiner ganzen
ſittlichen und geiſtigen Kraft dauernd den Aufgaben des Amts widme;
er muß perſönlich auf das verzichten, was er als Beamteter zu be-
kämpfen hat, das eigene Intereſſe; er muß ſich ganz mit ſeiner ganzen
geiſtigen und phyſiſchen Arbeitskraft dieſer Idee des Geſammtintereſſes,
dem Principe der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, hingeben; und ſo wird
aus dieſem Hingeben ſtatt eines Dienſtes, der einem höhern Willen
folgt, ein Beruf, der einer höhern Idee dient. In der That hat
daher die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft erſt das Amt geadelt, indem es
aus ihm einen ſittlichen Beruf gemacht hat; erſt in ihr gibt es wahre
Beamtete; ſie hat das ethiſche Element in das Amt gelegt, und aus
demſelben ſind nun alle diejenigen Folgen entſtanden und zu einem
förmlichen Syſtem von Rechten geworden, welche wir das Staatsdiener-
recht nennen, und das die ſtändiſche Ordnung nicht nur nicht kannte,
ſondern gar nicht kennen konnte.
Dadurch nun iſt das Staatsdienerrecht aus einem bloßen Gebiete
der Rechtskunde zu einem Gegenſtand der Rechtswiſſenſchaft geworden.
Das Princip dieſes Rechts iſt der Grundſatz, daß der Beamtete die in
jenem Weſen des Amts liegende Selbſtändigkeit als ſein perſönliches
Recht haben muß, und daß der Inhalt dieſes Rechts daher einerſeits
in dem Rechte auf diejenigen Bedingungen der Selbſtändigkeit beſteht,
ohne welche dieſelben für ein perſönliches Leben nicht denkbar iſt, anderer-
ſeits aber in dem Rechte des Staats, von dem Beamteten dasjenige
zu fordern, was dieſer ethiſche Beruf ſelbſt an perſönlichen Fähigkeiten
und Leiſtungen vorausſetzt, um durch den Beamteten in der Führung
ſeines Amtes erfüllt zu werden. Denn der Staat, und mithin ſein
Vertreter, das Staatsoberhaupt, iſt für das Amt ſeinem Begriffe nach
der Träger eben jener ethiſchen Idee, welche den Inhalt des amtlichen
Berufes bildet. Und indem nun die wirthſchaftliche Bedingung dieſer
unabhängigen Berufserfüllung eine von dem Einzelnen unabhängige,
ſelbſtändige, wirthſchaftliche Stellung des Amts — ein berufsmäßiges,
feſtes Einkommen, das nicht mehr durch einzelne Erwerbsakte, ſondern
durch die Erfüllung des Berufes ſelber gewonnen wird (der Gehalt) —
iſt, empfängt der Beruf des Amts den Charakter des Standes. Das
Beamtenthum iſt daher ein Stand, und zwar im höheren, ausge-
prägten Sinne des Wortes, und die natürlichen Rechte des Beamten
erſcheinen daher als Standesrechte, d. h. als Rechte, welche nicht
mehr auf individuellem Verhalten und perſönlicher Anſchauung, ſondern
auf dem organiſchen und dauernden Weſen des Amts beruhen. In
der That liegt die nothwendige Selbſtändigkeit des Beamteten weſentlich
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/369>, abgerufen am 24.11.2024.
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