Dazu aber muß man einen Schritt mit uns in das Wesen des Staatslebens hineingehen. Es ist unmöglich, das Amt in seiner Be- deutung darzulegen, wenn man nicht die bestimmt formulirten Elemente aufstellt, in denen es sich bewegt.
Das Leben des Staats ist nicht das Leben der Gesellschaft, und eben so wenig ist es das Leben der Volkswirthschaft. Es ist selbst nur ein wesentliches Element der Menschheit. Es enthält vielmehr nur Gesellschaft und Volkswirthschaft, aber es beherrscht sie nicht ganz mit seinem Willen. Die Gesellschaftsordnungen und die Volkswirthschaft haben Gesetze, welche nicht weniger unabänderlich sind, wie die der Natur. Beide leben zunächst für sich; aber sie greifen auf allen Punkten in einander. Das Moment, welches sie verbindet, ist der Besitz, und die lebendige Bewegung, welche der Besitz erzeugt, nennen wir das Interesse.
Ohne den Begriff und die Macht des Interesses ist das Wesen und die organische Funktion des Amtes nicht zu verstehen.
Die Gesellschaftslehre zeigt uns nämlich, daß die Verfassung eines Staates die Form ist, in welcher die gegebene Gesellschaftsordnung den Willen des Staats sich unterordnet. Das ist das naturgemäße und darum unwandelbare Gesetz der Verfassungsbildung. Allein an diese Herrschaft der Gesellschaft über die Staatsordnung knüpft sich sofort das zweite Gesetz, das die Gesellschaftslehre darlegt, das natürliche Streben nämlich, vermöge der Herrschaft über den Staat das Interesse der herrschenden Klasse durch die Staatsgewalt zur Verwirklichung zu bringen.
Nun ist es das innerste Wesen des Staats, als die höchste Form des persönlichen Lebens, seine eigene Vollendung niemals in der höchsten Entwicklung eines Theiles der Gemeinschaft, also auch nicht in der einer herrschenden Gesellschaftsklasse zu finden. Der Staat muß vielmehr be- ständig die Entwicklung der Gemeinschaft als eines Ganzen vertreten. Auch die niedere und beherrschte Klasse aber gehört nun diesem Ganzen, ja sie bildet die größere Masse dieses Ganzen. Und es ergibt sich da- her, daß er die Interessen der niederen beherrschten Gesellschaftsklasse in dem Maße mehr vertritt, in welchem sie durch die herrschende Klasse mehr unterworfen und gefährdet sind. Das ist in der Theorie nun zwar leicht aufgestellt, aber im wirklichen Leben ist das eine höchst ernste und schwierige Sache. Denn es enthalten jene Sätze nicht allein einen furchtbaren Kampf um die Interessen, in welchen der Staat stets auf der Seite des schwächeren Theiles steht, sondern sie zeigen uns eben auf Grundlage des Obigen ein zweites Verhältniß, welches eben erst recht das Wesen des Amts bestimmt. Der Staat ist nämlich wie ge- sagt, in seiner Verfassung von der Gesellschaftsordnung abhängig; anderer- seits ist das Amtswesen desselben Staats wieder von der auf diese Weise
Dazu aber muß man einen Schritt mit uns in das Weſen des Staatslebens hineingehen. Es iſt unmöglich, das Amt in ſeiner Be- deutung darzulegen, wenn man nicht die beſtimmt formulirten Elemente aufſtellt, in denen es ſich bewegt.
Das Leben des Staats iſt nicht das Leben der Geſellſchaft, und eben ſo wenig iſt es das Leben der Volkswirthſchaft. Es iſt ſelbſt nur ein weſentliches Element der Menſchheit. Es enthält vielmehr nur Geſellſchaft und Volkswirthſchaft, aber es beherrſcht ſie nicht ganz mit ſeinem Willen. Die Geſellſchaftsordnungen und die Volkswirthſchaft haben Geſetze, welche nicht weniger unabänderlich ſind, wie die der Natur. Beide leben zunächſt für ſich; aber ſie greifen auf allen Punkten in einander. Das Moment, welches ſie verbindet, iſt der Beſitz, und die lebendige Bewegung, welche der Beſitz erzeugt, nennen wir das Intereſſe.
Ohne den Begriff und die Macht des Intereſſes iſt das Weſen und die organiſche Funktion des Amtes nicht zu verſtehen.
Die Geſellſchaftslehre zeigt uns nämlich, daß die Verfaſſung eines Staates die Form iſt, in welcher die gegebene Geſellſchaftsordnung den Willen des Staats ſich unterordnet. Das iſt das naturgemäße und darum unwandelbare Geſetz der Verfaſſungsbildung. Allein an dieſe Herrſchaft der Geſellſchaft über die Staatsordnung knüpft ſich ſofort das zweite Geſetz, das die Geſellſchaftslehre darlegt, das natürliche Streben nämlich, vermöge der Herrſchaft über den Staat das Intereſſe der herrſchenden Klaſſe durch die Staatsgewalt zur Verwirklichung zu bringen.
Nun iſt es das innerſte Weſen des Staats, als die höchſte Form des perſönlichen Lebens, ſeine eigene Vollendung niemals in der höchſten Entwicklung eines Theiles der Gemeinſchaft, alſo auch nicht in der einer herrſchenden Geſellſchaftsklaſſe zu finden. Der Staat muß vielmehr be- ſtändig die Entwicklung der Gemeinſchaft als eines Ganzen vertreten. Auch die niedere und beherrſchte Klaſſe aber gehört nun dieſem Ganzen, ja ſie bildet die größere Maſſe dieſes Ganzen. Und es ergibt ſich da- her, daß er die Intereſſen der niederen beherrſchten Geſellſchaftsklaſſe in dem Maße mehr vertritt, in welchem ſie durch die herrſchende Klaſſe mehr unterworfen und gefährdet ſind. Das iſt in der Theorie nun zwar leicht aufgeſtellt, aber im wirklichen Leben iſt das eine höchſt ernſte und ſchwierige Sache. Denn es enthalten jene Sätze nicht allein einen furchtbaren Kampf um die Intereſſen, in welchen der Staat ſtets auf der Seite des ſchwächeren Theiles ſteht, ſondern ſie zeigen uns eben auf Grundlage des Obigen ein zweites Verhältniß, welches eben erſt recht das Weſen des Amts beſtimmt. Der Staat iſt nämlich wie ge- ſagt, in ſeiner Verfaſſung von der Geſellſchaftsordnung abhängig; anderer- ſeits iſt das Amtsweſen deſſelben Staats wieder von der auf dieſe Weiſe
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Dazu aber muß man einen Schritt mit uns in das Weſen des
Staatslebens hineingehen. Es iſt unmöglich, das Amt in ſeiner Be-
deutung darzulegen, wenn man nicht die beſtimmt formulirten Elemente
aufſtellt, in denen es ſich bewegt.
Das Leben des Staats iſt nicht das Leben der Geſellſchaft, und
eben ſo wenig iſt es das Leben der Volkswirthſchaft. Es iſt ſelbſt nur
ein weſentliches Element der Menſchheit. Es enthält vielmehr nur
Geſellſchaft und Volkswirthſchaft, aber es beherrſcht ſie nicht ganz mit
ſeinem Willen. Die Geſellſchaftsordnungen und die Volkswirthſchaft
haben Geſetze, welche nicht weniger unabänderlich ſind, wie die der Natur.
Beide leben zunächſt für ſich; aber ſie greifen auf allen Punkten in
einander. Das Moment, welches ſie verbindet, iſt der Beſitz, und die
lebendige Bewegung, welche der Beſitz erzeugt, nennen wir das Intereſſe.
Ohne den Begriff und die Macht des Intereſſes iſt das Weſen und
die organiſche Funktion des Amtes nicht zu verſtehen.
Die Geſellſchaftslehre zeigt uns nämlich, daß die Verfaſſung eines
Staates die Form iſt, in welcher die gegebene Geſellſchaftsordnung den
Willen des Staats ſich unterordnet. Das iſt das naturgemäße und
darum unwandelbare Geſetz der Verfaſſungsbildung. Allein an dieſe
Herrſchaft der Geſellſchaft über die Staatsordnung knüpft ſich ſofort das
zweite Geſetz, das die Geſellſchaftslehre darlegt, das natürliche Streben
nämlich, vermöge der Herrſchaft über den Staat das Intereſſe der
herrſchenden Klaſſe durch die Staatsgewalt zur Verwirklichung zu bringen.
Nun iſt es das innerſte Weſen des Staats, als die höchſte Form
des perſönlichen Lebens, ſeine eigene Vollendung niemals in der höchſten
Entwicklung eines Theiles der Gemeinſchaft, alſo auch nicht in der einer
herrſchenden Geſellſchaftsklaſſe zu finden. Der Staat muß vielmehr be-
ſtändig die Entwicklung der Gemeinſchaft als eines Ganzen vertreten.
Auch die niedere und beherrſchte Klaſſe aber gehört nun dieſem Ganzen,
ja ſie bildet die größere Maſſe dieſes Ganzen. Und es ergibt ſich da-
her, daß er die Intereſſen der niederen beherrſchten Geſellſchaftsklaſſe
in dem Maße mehr vertritt, in welchem ſie durch die herrſchende Klaſſe
mehr unterworfen und gefährdet ſind. Das iſt in der Theorie nun
zwar leicht aufgeſtellt, aber im wirklichen Leben iſt das eine höchſt
ernſte und ſchwierige Sache. Denn es enthalten jene Sätze nicht allein
einen furchtbaren Kampf um die Intereſſen, in welchen der Staat ſtets
auf der Seite des ſchwächeren Theiles ſteht, ſondern ſie zeigen uns eben
auf Grundlage des Obigen ein zweites Verhältniß, welches eben erſt
recht das Weſen des Amts beſtimmt. Der Staat iſt nämlich wie ge-
ſagt, in ſeiner Verfaſſung von der Geſellſchaftsordnung abhängig; anderer-
ſeits iſt das Amtsweſen deſſelben Staats wieder von der auf dieſe Weiſe
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/309>, abgerufen am 23.11.2024.
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