welche Inhalt und Form der, den Verwaltungskörpern überlassenen freien Verwaltung und mithin auch die Linie bestimmt, innerhalb welcher die letztere selbstthätig wirkt, pflegt man eine neue Verfassung dieser Selbstverwaltungskörper zu nennen, weil sie naturgemäß zugleich die Formen der Theilnahme der Staatsbürger an der, jenen Körpern über- lassenen Vollziehungsgewalt enthält. In diesem Sinne spricht man von einer Landes- und Gemeindeverfassung. Den Landes- und Ge- meindeverfassungen entspricht das Vereinsrecht. Diese Verfassungen und Rechte enthalten daher die Gränze der Gesetzgebung gegenüber den Verwaltungskörpern, und bilden in diesem Sinne einen formellen Theil der Staatsverfassung, obwohl sie in Wahrheit nur das verfassungs- mäßige Princip für die Einheit im Organismus der vollziehenden Gewalt sind. Sie sind daher in der That organisatorische Gesetze, und bilden das wesentlichste Gebiet für die unmittelbare Anwendung der Organisationsgewalt der gesetzgebenden Körper. Sie sind an sich so nothwendige Elemente für das freie Staatsbürgerthum, daß sie, wo die Verfassung noch nicht gegeben ist, in der Form des historischen Rechts entstehen und sich erhalten; aber so lange das Recht der Selbstverwal- tung nur auf der historischen Entwicklung beruht, muß es stets im Gegensatz zur Staatsgewalt erscheinen, denn der Rechtsgrund der Selb- ständigkeit ist hier zunächst immer nur die Thatsache dieses Rechts; erst mit der verfassungsmäßigen Ordnung des Staats tritt die Nothwendig- keit desselben als rechtbildend auf, und macht einen organischen Theil der Verfassung aus demselben. Niemals aber kann der Inhalt dieses Rechts eine völlige Unabhängigkeit jener Körper vom Organismus der vollziehenden Gewalt enthalten.
c) Die Individualität des staatlichen Organismus.
Auf diese Weise formuliren sich nun die großen Principien für den Organismus der vollziehenden Gewalt mit besonderer Beziehung auf den Unterschied zwischen der im obigen Sinne geschiedenen staatlichen und freien Verwaltung in den folgenden Sätzen:
Die Organismen der freien Verwaltung haben eben sowohl wie die der Staatsverwaltung nur den im Gesetze gegebenen Willen des Staats zu vollziehen; sie haben deßhalb niemals eine gesetzgebende, sondern nur eine verordnende Gewalt.
Sie bilden daher mit den Organismen der Staatsverwaltung eine Einheit, damit vermöge dieser Einheit durch die Anwendung der Rechts- sätze des Regierungsrechts auch für ihre vollziehenden Thätigkeiten die Harmonie zwischen Gesetzgebung und Vollziehung erhalten werden können.
welche Inhalt und Form der, den Verwaltungskörpern überlaſſenen freien Verwaltung und mithin auch die Linie beſtimmt, innerhalb welcher die letztere ſelbſtthätig wirkt, pflegt man eine neue Verfaſſung dieſer Selbſtverwaltungskörper zu nennen, weil ſie naturgemäß zugleich die Formen der Theilnahme der Staatsbürger an der, jenen Körpern über- laſſenen Vollziehungsgewalt enthält. In dieſem Sinne ſpricht man von einer Landes- und Gemeindeverfaſſung. Den Landes- und Ge- meindeverfaſſungen entſpricht das Vereinsrecht. Dieſe Verfaſſungen und Rechte enthalten daher die Gränze der Geſetzgebung gegenüber den Verwaltungskörpern, und bilden in dieſem Sinne einen formellen Theil der Staatsverfaſſung, obwohl ſie in Wahrheit nur das verfaſſungs- mäßige Princip für die Einheit im Organismus der vollziehenden Gewalt ſind. Sie ſind daher in der That organiſatoriſche Geſetze, und bilden das weſentlichſte Gebiet für die unmittelbare Anwendung der Organiſationsgewalt der geſetzgebenden Körper. Sie ſind an ſich ſo nothwendige Elemente für das freie Staatsbürgerthum, daß ſie, wo die Verfaſſung noch nicht gegeben iſt, in der Form des hiſtoriſchen Rechts entſtehen und ſich erhalten; aber ſo lange das Recht der Selbſtverwal- tung nur auf der hiſtoriſchen Entwicklung beruht, muß es ſtets im Gegenſatz zur Staatsgewalt erſcheinen, denn der Rechtsgrund der Selb- ſtändigkeit iſt hier zunächſt immer nur die Thatſache dieſes Rechts; erſt mit der verfaſſungsmäßigen Ordnung des Staats tritt die Nothwendig- keit deſſelben als rechtbildend auf, und macht einen organiſchen Theil der Verfaſſung aus demſelben. Niemals aber kann der Inhalt dieſes Rechts eine völlige Unabhängigkeit jener Körper vom Organismus der vollziehenden Gewalt enthalten.
c) Die Individualität des ſtaatlichen Organismus.
Auf dieſe Weiſe formuliren ſich nun die großen Principien für den Organismus der vollziehenden Gewalt mit beſonderer Beziehung auf den Unterſchied zwiſchen der im obigen Sinne geſchiedenen ſtaatlichen und freien Verwaltung in den folgenden Sätzen:
Die Organismen der freien Verwaltung haben eben ſowohl wie die der Staatsverwaltung nur den im Geſetze gegebenen Willen des Staats zu vollziehen; ſie haben deßhalb niemals eine geſetzgebende, ſondern nur eine verordnende Gewalt.
Sie bilden daher mit den Organismen der Staatsverwaltung eine Einheit, damit vermöge dieſer Einheit durch die Anwendung der Rechts- ſätze des Regierungsrechts auch für ihre vollziehenden Thätigkeiten die Harmonie zwiſchen Geſetzgebung und Vollziehung erhalten werden können.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0262"n="238"/>
welche Inhalt und Form der, den Verwaltungskörpern überlaſſenen<lb/>
freien Verwaltung und mithin auch die Linie beſtimmt, innerhalb welcher<lb/>
die letztere ſelbſtthätig wirkt, pflegt man eine neue <hirendition="#g">Verfaſſung</hi> dieſer<lb/>
Selbſtverwaltungskörper zu nennen, weil ſie naturgemäß zugleich die<lb/>
Formen der Theilnahme der Staatsbürger an der, jenen Körpern über-<lb/>
laſſenen Vollziehungsgewalt enthält. In dieſem Sinne ſpricht man von<lb/>
einer <hirendition="#g">Landes</hi>- und <hirendition="#g">Gemeindeverfaſſung</hi>. Den Landes- und Ge-<lb/>
meindeverfaſſungen entſpricht das <hirendition="#g">Vereinsrecht</hi>. Dieſe Verfaſſungen<lb/>
und Rechte enthalten daher die Gränze der Geſetzgebung gegenüber den<lb/>
Verwaltungskörpern, und bilden in dieſem Sinne einen formellen Theil<lb/>
der Staatsverfaſſung, obwohl ſie in Wahrheit nur das verfaſſungs-<lb/>
mäßige Princip für die Einheit im Organismus der <hirendition="#g">vollziehenden</hi><lb/>
Gewalt ſind. Sie ſind daher in der That organiſatoriſche Geſetze, und<lb/>
bilden das weſentlichſte Gebiet für die unmittelbare Anwendung der<lb/>
Organiſationsgewalt der geſetzgebenden Körper. Sie ſind an ſich ſo<lb/>
nothwendige Elemente für das freie Staatsbürgerthum, daß ſie, wo<lb/>
die Verfaſſung noch nicht gegeben iſt, in der Form des hiſtoriſchen Rechts<lb/>
entſtehen und ſich erhalten; aber ſo lange das Recht der Selbſtverwal-<lb/>
tung nur auf der hiſtoriſchen Entwicklung beruht, muß es ſtets im<lb/>
Gegenſatz zur Staatsgewalt erſcheinen, denn der Rechtsgrund der Selb-<lb/>ſtändigkeit iſt hier zunächſt immer nur die Thatſache dieſes Rechts; erſt<lb/>
mit der verfaſſungsmäßigen Ordnung des Staats tritt die Nothwendig-<lb/>
keit deſſelben als rechtbildend auf, und macht einen organiſchen Theil<lb/>
der Verfaſſung aus demſelben. Niemals aber kann der Inhalt dieſes<lb/>
Rechts eine völlige Unabhängigkeit jener Körper vom Organismus der<lb/>
vollziehenden Gewalt enthalten.</p></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#aq">c)</hi> Die Individualität des ſtaatlichen Organismus.</head><lb/><p>Auf dieſe Weiſe formuliren ſich nun die großen Principien für den<lb/>
Organismus der vollziehenden Gewalt mit beſonderer Beziehung auf<lb/>
den Unterſchied zwiſchen der im obigen Sinne geſchiedenen ſtaatlichen<lb/>
und freien Verwaltung in den folgenden Sätzen:</p><lb/><p>Die Organismen der freien Verwaltung haben eben ſowohl wie<lb/>
die der Staatsverwaltung nur den im Geſetze gegebenen Willen des<lb/>
Staats zu vollziehen; ſie haben deßhalb niemals eine geſetzgebende,<lb/>ſondern nur eine verordnende Gewalt.</p><lb/><p>Sie bilden daher mit den Organismen der Staatsverwaltung eine<lb/>
Einheit, damit vermöge dieſer Einheit durch die Anwendung der Rechts-<lb/>ſätze des Regierungsrechts auch für ihre vollziehenden Thätigkeiten die<lb/>
Harmonie zwiſchen Geſetzgebung und Vollziehung erhalten werden können.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[238/0262]
welche Inhalt und Form der, den Verwaltungskörpern überlaſſenen
freien Verwaltung und mithin auch die Linie beſtimmt, innerhalb welcher
die letztere ſelbſtthätig wirkt, pflegt man eine neue Verfaſſung dieſer
Selbſtverwaltungskörper zu nennen, weil ſie naturgemäß zugleich die
Formen der Theilnahme der Staatsbürger an der, jenen Körpern über-
laſſenen Vollziehungsgewalt enthält. In dieſem Sinne ſpricht man von
einer Landes- und Gemeindeverfaſſung. Den Landes- und Ge-
meindeverfaſſungen entſpricht das Vereinsrecht. Dieſe Verfaſſungen
und Rechte enthalten daher die Gränze der Geſetzgebung gegenüber den
Verwaltungskörpern, und bilden in dieſem Sinne einen formellen Theil
der Staatsverfaſſung, obwohl ſie in Wahrheit nur das verfaſſungs-
mäßige Princip für die Einheit im Organismus der vollziehenden
Gewalt ſind. Sie ſind daher in der That organiſatoriſche Geſetze, und
bilden das weſentlichſte Gebiet für die unmittelbare Anwendung der
Organiſationsgewalt der geſetzgebenden Körper. Sie ſind an ſich ſo
nothwendige Elemente für das freie Staatsbürgerthum, daß ſie, wo
die Verfaſſung noch nicht gegeben iſt, in der Form des hiſtoriſchen Rechts
entſtehen und ſich erhalten; aber ſo lange das Recht der Selbſtverwal-
tung nur auf der hiſtoriſchen Entwicklung beruht, muß es ſtets im
Gegenſatz zur Staatsgewalt erſcheinen, denn der Rechtsgrund der Selb-
ſtändigkeit iſt hier zunächſt immer nur die Thatſache dieſes Rechts; erſt
mit der verfaſſungsmäßigen Ordnung des Staats tritt die Nothwendig-
keit deſſelben als rechtbildend auf, und macht einen organiſchen Theil
der Verfaſſung aus demſelben. Niemals aber kann der Inhalt dieſes
Rechts eine völlige Unabhängigkeit jener Körper vom Organismus der
vollziehenden Gewalt enthalten.
c) Die Individualität des ſtaatlichen Organismus.
Auf dieſe Weiſe formuliren ſich nun die großen Principien für den
Organismus der vollziehenden Gewalt mit beſonderer Beziehung auf
den Unterſchied zwiſchen der im obigen Sinne geſchiedenen ſtaatlichen
und freien Verwaltung in den folgenden Sätzen:
Die Organismen der freien Verwaltung haben eben ſowohl wie
die der Staatsverwaltung nur den im Geſetze gegebenen Willen des
Staats zu vollziehen; ſie haben deßhalb niemals eine geſetzgebende,
ſondern nur eine verordnende Gewalt.
Sie bilden daher mit den Organismen der Staatsverwaltung eine
Einheit, damit vermöge dieſer Einheit durch die Anwendung der Rechts-
ſätze des Regierungsrechts auch für ihre vollziehenden Thätigkeiten die
Harmonie zwiſchen Geſetzgebung und Vollziehung erhalten werden können.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/262>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.