letztern aufs Innigste und fast auf allen Punkten verschmolzen. Wie sollte auch eine äußere Scheidung hier möglich sein, wo die innere Ver- schmelzung der Principien, des Einzellebens und des Gesammtlebens, eine innere, organische Einheit in Idee und Wirklichkeit bilden?
Indessen zeigen nun die Gesetzgebungen des bürgerlichen Rechts, daß jene Unterscheidung zwar dem Gefühle der Gesetzgebung sehr klar war, daß aber ein wissenschaftlich erkannter Unterschied niemals existirt hat. Das bürgerliche Recht hat beide Principien zu einer untrennbaren Einheit in der bürgerlichen Gesetzgebung verflochten, und selbst die Theorie aller Zeiten hat den Unterschied nicht hervorgehoben. Und dennoch ergibt sich aus dem Obigen eine Consequenz, welche wir hier nur andeuten können, welche aber bestimmt ist, namentlich der Rechts- geschichte und ihrem Studium eine ganz andere als die bisherige Richtung zu geben. Das reine bürgerliche Recht hat gar keine Geschichte und kann keine haben, sondern alle Rechtsgeschichte, so fern sie nicht eine Geschichte der Rechtsgesetzgebung als solche, d. i. die Akte ist, durch welche die Gesetze zu Stande kommen, kann überhaupt nur den Wechsel und die Entwicklung des bürgerlichen Verwaltungsrechts im bürgerlichen Rechte zum Inhalt haben. Nur das, was im Namen des gegebenen staatlichen Zustandes an dem absoluten Recht der Persönlichkeit modificirt wird, wechselt, nicht dieß Recht selbst. Der Grundsatz, daß die Persönlichkeit unverletzlich und selbstbestimmt, daß das Eigenthum heilig ist; der Grundsatz, daß ein Vertrag gültig ist, hat keine Geschichte, wohl aber die Grundsätze darüber, was eine Per- sönlichkeit, was ein Eigenthum sein kann und unter welchen Bedingungen ein Vertrag gültig wird. Und die Begründung dieses Wechsels, die Zurückführung desselben auf die in Volk, Land und Staat liegenden wirkenden Kräfte, die ihn erzeugen, werden aus der Geschichtskunde des Rechts die Wissenschaft der Rechtsgeschichte machen. Dieses bürgerliche Verwaltungsrecht nun durchzieht allerdings als immanenter Theil das ganze bürgerliche Recht; aber dennoch erscheint es in zwei wesentlich verschiedenen Formen, die wir hier hervorheben müssen, weil sie den Uebergang zur Lehre von der innern Verwaltung bilden. Einerseits nämlich ist dasselbe mit dem reinen bürgerlichen Rechte zu einem untrenn- baren Ganzen verschmolzen, wie z. B. bei den Bestimmungen über die Mündigkeit, über die Dauer der Verjährung, über das Besitzrecht u. s. w. Andererseits dagegen wird es, wo seine Wichtigkeit stärker hervortritt, zu einem Gegenstand eines eignen Verwaltungsorganes, und dann faßt man wohl alle auf das letztere bezüglichen Rechtssätze als ein selbständiges Ganze, als ein eigenes Rechtsgebiet zusammen, ohne sich recht klar zu sein, wohin dasselbe denn nun eben als Ganzes
letztern aufs Innigſte und faſt auf allen Punkten verſchmolzen. Wie ſollte auch eine äußere Scheidung hier möglich ſein, wo die innere Ver- ſchmelzung der Principien, des Einzellebens und des Geſammtlebens, eine innere, organiſche Einheit in Idee und Wirklichkeit bilden?
Indeſſen zeigen nun die Geſetzgebungen des bürgerlichen Rechts, daß jene Unterſcheidung zwar dem Gefühle der Geſetzgebung ſehr klar war, daß aber ein wiſſenſchaftlich erkannter Unterſchied niemals exiſtirt hat. Das bürgerliche Recht hat beide Principien zu einer untrennbaren Einheit in der bürgerlichen Geſetzgebung verflochten, und ſelbſt die Theorie aller Zeiten hat den Unterſchied nicht hervorgehoben. Und dennoch ergibt ſich aus dem Obigen eine Conſequenz, welche wir hier nur andeuten können, welche aber beſtimmt iſt, namentlich der Rechts- geſchichte und ihrem Studium eine ganz andere als die bisherige Richtung zu geben. Das reine bürgerliche Recht hat gar keine Geſchichte und kann keine haben, ſondern alle Rechtsgeſchichte, ſo fern ſie nicht eine Geſchichte der Rechtsgeſetzgebung als ſolche, d. i. die Akte iſt, durch welche die Geſetze zu Stande kommen, kann überhaupt nur den Wechſel und die Entwicklung des bürgerlichen Verwaltungsrechts im bürgerlichen Rechte zum Inhalt haben. Nur das, was im Namen des gegebenen ſtaatlichen Zuſtandes an dem abſoluten Recht der Perſönlichkeit modificirt wird, wechſelt, nicht dieß Recht ſelbſt. Der Grundſatz, daß die Perſönlichkeit unverletzlich und ſelbſtbeſtimmt, daß das Eigenthum heilig iſt; der Grundſatz, daß ein Vertrag gültig iſt, hat keine Geſchichte, wohl aber die Grundſätze darüber, was eine Per- ſönlichkeit, was ein Eigenthum ſein kann und unter welchen Bedingungen ein Vertrag gültig wird. Und die Begründung dieſes Wechſels, die Zurückführung deſſelben auf die in Volk, Land und Staat liegenden wirkenden Kräfte, die ihn erzeugen, werden aus der Geſchichtskunde des Rechts die Wiſſenſchaft der Rechtsgeſchichte machen. Dieſes bürgerliche Verwaltungsrecht nun durchzieht allerdings als immanenter Theil das ganze bürgerliche Recht; aber dennoch erſcheint es in zwei weſentlich verſchiedenen Formen, die wir hier hervorheben müſſen, weil ſie den Uebergang zur Lehre von der innern Verwaltung bilden. Einerſeits nämlich iſt daſſelbe mit dem reinen bürgerlichen Rechte zu einem untrenn- baren Ganzen verſchmolzen, wie z. B. bei den Beſtimmungen über die Mündigkeit, über die Dauer der Verjährung, über das Beſitzrecht u. ſ. w. Andererſeits dagegen wird es, wo ſeine Wichtigkeit ſtärker hervortritt, zu einem Gegenſtand eines eignen Verwaltungsorganes, und dann faßt man wohl alle auf das letztere bezüglichen Rechtsſätze als ein ſelbſtändiges Ganze, als ein eigenes Rechtsgebiet zuſammen, ohne ſich recht klar zu ſein, wohin daſſelbe denn nun eben als Ganzes
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letztern aufs Innigſte und faſt auf allen Punkten verſchmolzen. Wie
ſollte auch eine äußere Scheidung hier möglich ſein, wo die innere Ver-
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eine innere, organiſche Einheit in Idee und Wirklichkeit bilden?
Indeſſen zeigen nun die Geſetzgebungen des bürgerlichen Rechts,
daß jene Unterſcheidung zwar dem Gefühle der Geſetzgebung ſehr klar
war, daß aber ein wiſſenſchaftlich erkannter Unterſchied niemals exiſtirt
hat. Das bürgerliche Recht hat beide Principien zu einer untrennbaren
Einheit in der bürgerlichen Geſetzgebung verflochten, und ſelbſt die
Theorie aller Zeiten hat den Unterſchied nicht hervorgehoben. Und
dennoch ergibt ſich aus dem Obigen eine Conſequenz, welche wir hier
nur andeuten können, welche aber beſtimmt iſt, namentlich der Rechts-
geſchichte und ihrem Studium eine ganz andere als die bisherige Richtung
zu geben. Das reine bürgerliche Recht hat gar keine Geſchichte und
kann keine haben, ſondern alle Rechtsgeſchichte, ſo fern ſie nicht eine
Geſchichte der Rechtsgeſetzgebung als ſolche, d. i. die Akte iſt, durch
welche die Geſetze zu Stande kommen, kann überhaupt nur den Wechſel
und die Entwicklung des bürgerlichen Verwaltungsrechts
im bürgerlichen Rechte zum Inhalt haben. Nur das, was
im Namen des gegebenen ſtaatlichen Zuſtandes an dem abſoluten Recht
der Perſönlichkeit modificirt wird, wechſelt, nicht dieß Recht ſelbſt. Der
Grundſatz, daß die Perſönlichkeit unverletzlich und ſelbſtbeſtimmt, daß
das Eigenthum heilig iſt; der Grundſatz, daß ein Vertrag gültig iſt,
hat keine Geſchichte, wohl aber die Grundſätze darüber, was eine Per-
ſönlichkeit, was ein Eigenthum ſein kann und unter welchen Bedingungen
ein Vertrag gültig wird. Und die Begründung dieſes Wechſels, die
Zurückführung deſſelben auf die in Volk, Land und Staat liegenden
wirkenden Kräfte, die ihn erzeugen, werden aus der Geſchichtskunde des
Rechts die Wiſſenſchaft der Rechtsgeſchichte machen. Dieſes bürgerliche
Verwaltungsrecht nun durchzieht allerdings als immanenter Theil das
ganze bürgerliche Recht; aber dennoch erſcheint es in zwei weſentlich
verſchiedenen Formen, die wir hier hervorheben müſſen, weil ſie den
Uebergang zur Lehre von der innern Verwaltung bilden. Einerſeits
nämlich iſt daſſelbe mit dem reinen bürgerlichen Rechte zu einem untrenn-
baren Ganzen verſchmolzen, wie z. B. bei den Beſtimmungen über die
Mündigkeit, über die Dauer der Verjährung, über das Beſitzrecht u. ſ. w.
Andererſeits dagegen wird es, wo ſeine Wichtigkeit ſtärker hervortritt,
zu einem Gegenſtand eines eignen Verwaltungsorganes, und
dann faßt man wohl alle auf das letztere bezüglichen Rechtsſätze als
ein ſelbſtändiges Ganze, als ein eigenes Rechtsgebiet zuſammen, ohne
ſich recht klar zu ſein, wohin daſſelbe denn nun eben als Ganzes
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/240>, abgerufen am 24.11.2024.
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