nicht zuständig sein zu untersuchen, ob in ihnen ein Verwaltungsakt mit einem Gesetz in Widerspruch tritt. Und da nun die Frage, ob der einzelne bei dem Gericht als Klage angebrachte Fall zu diesen Fällen gehört oder nicht, gesetzlich dem Competenzgerichtshofe zu überweisen ist, so gehört überhaupt die Untersuchung über ein in Frage stehendes Gesetz, so lange es eine Administrativjustiz gibt, erst dann dem Gericht, wenn der Competenzgerichtshof die Competenz des Gerichts ausgesprochen, oder den Fall für eine Justizsache erklärt hat.
d) Es folgt aus diesen Sätzen der tiefe Widerspruch, der überhaupt in der Aufstellung einer gesetzlichen Unterscheidung zwischen Administrativ- und Justizsachen, und der Competenz eines Competenzgerichtshofes liegt, und der schon an sich beides auf immer beseitigen müßte. Wenn näm- lich bei formell gültiger Unterscheidung von Gesetz und Verordnung in einer Administrativsache die Frage entsteht, ob der öffentliche Akt, mit welchem der betreffende Akt der Behörde nach der Behauptung des Be- schwerdeführers in Widerspruch steht, ein Gesetz sei oder nur eine Ver- ordnung, so hat die administrative Behörde offenbar das Recht, welches man dem Gerichte absprechen will, nämlich über die Gesetzes- qualität jenes öffentlichen Aktes zu entscheiden; oder, es hat die admini- strative Behörde die Competenz, die man dem Gerichte verweigert. Es leuchtet ein, daß dieß der ganzen Natur des Staatsorganismus ent- schieden widerspricht. Ginge man aber gar so weit zu sagen, daß die administrative Behörde über diese Frage ihrerseits nicht zu entscheiden hätte, so würde der Widerspruch ein noch viel größerer sein. Denn in diesem Falle müßte man sagen, daß auch da, wo die Handlung eines Organes mit einem Gesetze in Widerspruch steht, die höhere Behörde sich nicht an die Gesetze sondern nur an die administrative Zweck- mäßigkeit, oder an den Inhalt der Verordnung zu binden, d. h. also, das Gesetz der Verordnung zu unterwerfen hätte. Damit ist in allen Administrativsachen die Gesetzlichkeit grundsätzlich aufgehoben, und das Umgekehrte des verfassungsmäßigen Rechts, die rechtliche Herrschaft der Verwaltung über die Gesetzgebung sanktionirt. Denn, sagt man in Erwiederung dessen, daß sich auch die Administrativbehörde in ihren Entscheidungen an das Gesetz zu binden hat, soweit ein solches existirt, so muß man wiederum die Consequenz für unabweisbar erklären, daß sie da, wo die Gesetzesqualität ihrer Meinung nach zweifelhaft ist, auch über dieselbe ihrerseits zu entscheiden hat, und dann erhält sie ja eben die Competenz, welche man dem Gerichte verweigert; das ist eben der Fall des obigen Widerspruches. Wollte man endlich sagen, daß in denjenigen Fällen der gesetzlich anerkannten Administrativjustiz, in welchen es sich um das Verhältniß eines Aktes der Verwaltung zu einem Gesetze
nicht zuſtändig ſein zu unterſuchen, ob in ihnen ein Verwaltungsakt mit einem Geſetz in Widerſpruch tritt. Und da nun die Frage, ob der einzelne bei dem Gericht als Klage angebrachte Fall zu dieſen Fällen gehört oder nicht, geſetzlich dem Competenzgerichtshofe zu überweiſen iſt, ſo gehört überhaupt die Unterſuchung über ein in Frage ſtehendes Geſetz, ſo lange es eine Adminiſtrativjuſtiz gibt, erſt dann dem Gericht, wenn der Competenzgerichtshof die Competenz des Gerichts ausgeſprochen, oder den Fall für eine Juſtizſache erklärt hat.
d) Es folgt aus dieſen Sätzen der tiefe Widerſpruch, der überhaupt in der Aufſtellung einer geſetzlichen Unterſcheidung zwiſchen Adminiſtrativ- und Juſtizſachen, und der Competenz eines Competenzgerichtshofes liegt, und der ſchon an ſich beides auf immer beſeitigen müßte. Wenn näm- lich bei formell gültiger Unterſcheidung von Geſetz und Verordnung in einer Adminiſtrativſache die Frage entſteht, ob der öffentliche Akt, mit welchem der betreffende Akt der Behörde nach der Behauptung des Be- ſchwerdeführers in Widerſpruch ſteht, ein Geſetz ſei oder nur eine Ver- ordnung, ſo hat die adminiſtrative Behörde offenbar das Recht, welches man dem Gerichte abſprechen will, nämlich über die Geſetzes- qualität jenes öffentlichen Aktes zu entſcheiden; oder, es hat die admini- ſtrative Behörde die Competenz, die man dem Gerichte verweigert. Es leuchtet ein, daß dieß der ganzen Natur des Staatsorganismus ent- ſchieden widerſpricht. Ginge man aber gar ſo weit zu ſagen, daß die adminiſtrative Behörde über dieſe Frage ihrerſeits nicht zu entſcheiden hätte, ſo würde der Widerſpruch ein noch viel größerer ſein. Denn in dieſem Falle müßte man ſagen, daß auch da, wo die Handlung eines Organes mit einem Geſetze in Widerſpruch ſteht, die höhere Behörde ſich nicht an die Geſetze ſondern nur an die adminiſtrative Zweck- mäßigkeit, oder an den Inhalt der Verordnung zu binden, d. h. alſo, das Geſetz der Verordnung zu unterwerfen hätte. Damit iſt in allen Adminiſtrativſachen die Geſetzlichkeit grundſätzlich aufgehoben, und das Umgekehrte des verfaſſungsmäßigen Rechts, die rechtliche Herrſchaft der Verwaltung über die Geſetzgebung ſanktionirt. Denn, ſagt man in Erwiederung deſſen, daß ſich auch die Adminiſtrativbehörde in ihren Entſcheidungen an das Geſetz zu binden hat, ſoweit ein ſolches exiſtirt, ſo muß man wiederum die Conſequenz für unabweisbar erklären, daß ſie da, wo die Geſetzesqualität ihrer Meinung nach zweifelhaft iſt, auch über dieſelbe ihrerſeits zu entſcheiden hat, und dann erhält ſie ja eben die Competenz, welche man dem Gerichte verweigert; das iſt eben der Fall des obigen Widerſpruches. Wollte man endlich ſagen, daß in denjenigen Fällen der geſetzlich anerkannten Adminiſtrativjuſtiz, in welchen es ſich um das Verhältniß eines Aktes der Verwaltung zu einem Geſetze
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nicht zuſtändig ſein zu unterſuchen, ob in ihnen ein Verwaltungsakt
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gehört oder nicht, geſetzlich dem Competenzgerichtshofe zu überweiſen
iſt, ſo gehört überhaupt die Unterſuchung über ein in Frage ſtehendes
Geſetz, ſo lange es eine Adminiſtrativjuſtiz gibt, erſt dann dem Gericht,
wenn der Competenzgerichtshof die Competenz des Gerichts ausgeſprochen,
oder den Fall für eine Juſtizſache erklärt hat.
d) Es folgt aus dieſen Sätzen der tiefe Widerſpruch, der überhaupt
in der Aufſtellung einer geſetzlichen Unterſcheidung zwiſchen Adminiſtrativ-
und Juſtizſachen, und der Competenz eines Competenzgerichtshofes liegt,
und der ſchon an ſich beides auf immer beſeitigen müßte. Wenn näm-
lich bei formell gültiger Unterſcheidung von Geſetz und Verordnung in
einer Adminiſtrativſache die Frage entſteht, ob der öffentliche Akt, mit
welchem der betreffende Akt der Behörde nach der Behauptung des Be-
ſchwerdeführers in Widerſpruch ſteht, ein Geſetz ſei oder nur eine Ver-
ordnung, ſo hat die adminiſtrative Behörde offenbar das Recht, welches
man dem Gerichte abſprechen will, nämlich über die Geſetzes-
qualität jenes öffentlichen Aktes zu entſcheiden; oder, es hat die admini-
ſtrative Behörde die Competenz, die man dem Gerichte verweigert. Es
leuchtet ein, daß dieß der ganzen Natur des Staatsorganismus ent-
ſchieden widerſpricht. Ginge man aber gar ſo weit zu ſagen, daß die
adminiſtrative Behörde über dieſe Frage ihrerſeits nicht zu entſcheiden
hätte, ſo würde der Widerſpruch ein noch viel größerer ſein. Denn in
dieſem Falle müßte man ſagen, daß auch da, wo die Handlung eines
Organes mit einem Geſetze in Widerſpruch ſteht, die höhere Behörde
ſich nicht an die Geſetze ſondern nur an die adminiſtrative Zweck-
mäßigkeit, oder an den Inhalt der Verordnung zu binden, d. h. alſo,
das Geſetz der Verordnung zu unterwerfen hätte. Damit iſt in allen
Adminiſtrativſachen die Geſetzlichkeit grundſätzlich aufgehoben, und das
Umgekehrte des verfaſſungsmäßigen Rechts, die rechtliche Herrſchaft der
Verwaltung über die Geſetzgebung ſanktionirt. Denn, ſagt man in
Erwiederung deſſen, daß ſich auch die Adminiſtrativbehörde in ihren
Entſcheidungen an das Geſetz zu binden hat, ſoweit ein ſolches exiſtirt,
ſo muß man wiederum die Conſequenz für unabweisbar erklären, daß
ſie da, wo die Geſetzesqualität ihrer Meinung nach zweifelhaft iſt, auch
über dieſelbe ihrerſeits zu entſcheiden hat, und dann erhält ſie ja
eben die Competenz, welche man dem Gerichte verweigert; das iſt eben
der Fall des obigen Widerſpruches. Wollte man endlich ſagen, daß in
denjenigen Fällen der geſetzlich anerkannten Adminiſtrativjuſtiz, in welchen
es ſich um das Verhältniß eines Aktes der Verwaltung zu einem Geſetze
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/213>, abgerufen am 28.11.2024.
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