Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Deutschlands einzugehen und die Aufgabe zu lösen, feste und klare
Begriffe auf unfertige Uebergangszustände anzuwenden. Zu dem Ende
müssen die in Frage kommenden Punkte einzeln betrachtet werden.

I. Das Objekt der Entscheidung des Gerichts.

a) Da es ganz unzweifelhaft die Aufgabe des Gerichts ist, das
Gesetz in seiner Anwendung auf den einzelnen Fall zur Anwendung zu
bringen, so kann es vernünftiger Weise kein Zweifel sein, daß das
Gericht einen Akt als Gesetz anerkennen muß, um ihn eben anwenden
zu können. Das ist daher im Grunde auch gar nicht die Frage. Die
Frage ist vielmehr die, ob diese Anerkennung nur auf Grundlage seiner
eigenen Ueberzeugung geschehen darf, oder ob das Gericht einen öffent-
lichen Akt auf Grundlage des Befehles irgend einer außergerichtlichen
Gewalt anzuerkennen verpflichtet ist. Ganz offenbar würde die letzte
Behauptung einen ganz unlösbaren Widerspruch mit dem Begriffe des
Gesetzes enthalten. Denn das Gesetz kommt eben nur zu Stande durch
das Zusammenwirken aller drei Faktoren: Staatsoberhaupt, Gesetzgebung
und Verwaltung im weitern Sinn; eine Verpflichtung, einen öffentlichen
Willen als Gesetz anzuerkennen, weil einer dieser Faktoren es befiehlt,
ist absolut widersprechend. Darüber kann kein Zweifel sein.

b) Ist das der Fall, so muß auch das Gericht competent sein zu
beurtheilen, ob die Formen in denen der öffentliche Akt erscheint, den
Beweis enthalten, daß alle drei Faktoren wirklich in der verfassungs-
mäßigen Weise gewirkt haben. Sind nun verfassungsmäßige Formen
von einem Gesetze vorgeschrieben, welche diesen formellen Beweis geben,
so läßt es sich ferner gar nicht denken, wie ein Gericht sollte funktioniren
können, ohne zu beurtheilen, ob die vorliegenden Formen eines
öffentlichen Willensaktes mit den gesetzlichen Formen übereinstimmen;
z. B. ob der Mitunterzeichner wirklich Minister gewesen oder nicht. Man
muß dabei nur einfach festhalten, daß jener Zweifel an diesem Recht
des Gerichts gar nicht gedacht werden kann, ohne eben den Unterschied
zwischen Gesetz und Verordnung aufzuheben; und daß derselbe eben
deßhalb, wie wir sogleich sehen werden, auch nur da entstehen konnte,
wo dieser Unterschied selbst nicht klar war, in Deutschland. Weder Eng-
land noch Frankreich ahnen, möchten wir sagen, daß es darüber
einen Streit geben kann.

c) Allerdings aber kann nun durch ein Gesetz wieder dem Ge-
richte das ihm vermöge seiner natürlichen Competenz zustehende Recht
abgesprochen werden. Das kann aber nur geschehen, indem gewisse
Fälle der Competenz des Gerichts überhaupt entzogen sind, und das
sind eben die französischen Fälle der Administrativsachen. Da in diesen
Fällen das Gericht überhaupt keine Competenz hat, so kann es auch

Deutſchlands einzugehen und die Aufgabe zu löſen, feſte und klare
Begriffe auf unfertige Uebergangszuſtände anzuwenden. Zu dem Ende
müſſen die in Frage kommenden Punkte einzeln betrachtet werden.

I. Das Objekt der Entſcheidung des Gerichts.

a) Da es ganz unzweifelhaft die Aufgabe des Gerichts iſt, das
Geſetz in ſeiner Anwendung auf den einzelnen Fall zur Anwendung zu
bringen, ſo kann es vernünftiger Weiſe kein Zweifel ſein, daß das
Gericht einen Akt als Geſetz anerkennen muß, um ihn eben anwenden
zu können. Das iſt daher im Grunde auch gar nicht die Frage. Die
Frage iſt vielmehr die, ob dieſe Anerkennung nur auf Grundlage ſeiner
eigenen Ueberzeugung geſchehen darf, oder ob das Gericht einen öffent-
lichen Akt auf Grundlage des Befehles irgend einer außergerichtlichen
Gewalt anzuerkennen verpflichtet iſt. Ganz offenbar würde die letzte
Behauptung einen ganz unlösbaren Widerſpruch mit dem Begriffe des
Geſetzes enthalten. Denn das Geſetz kommt eben nur zu Stande durch
das Zuſammenwirken aller drei Faktoren: Staatsoberhaupt, Geſetzgebung
und Verwaltung im weitern Sinn; eine Verpflichtung, einen öffentlichen
Willen als Geſetz anzuerkennen, weil einer dieſer Faktoren es befiehlt,
iſt abſolut widerſprechend. Darüber kann kein Zweifel ſein.

b) Iſt das der Fall, ſo muß auch das Gericht competent ſein zu
beurtheilen, ob die Formen in denen der öffentliche Akt erſcheint, den
Beweis enthalten, daß alle drei Faktoren wirklich in der verfaſſungs-
mäßigen Weiſe gewirkt haben. Sind nun verfaſſungsmäßige Formen
von einem Geſetze vorgeſchrieben, welche dieſen formellen Beweis geben,
ſo läßt es ſich ferner gar nicht denken, wie ein Gericht ſollte funktioniren
können, ohne zu beurtheilen, ob die vorliegenden Formen eines
öffentlichen Willensaktes mit den geſetzlichen Formen übereinſtimmen;
z. B. ob der Mitunterzeichner wirklich Miniſter geweſen oder nicht. Man
muß dabei nur einfach feſthalten, daß jener Zweifel an dieſem Recht
des Gerichts gar nicht gedacht werden kann, ohne eben den Unterſchied
zwiſchen Geſetz und Verordnung aufzuheben; und daß derſelbe eben
deßhalb, wie wir ſogleich ſehen werden, auch nur da entſtehen konnte,
wo dieſer Unterſchied ſelbſt nicht klar war, in Deutſchland. Weder Eng-
land noch Frankreich ahnen, möchten wir ſagen, daß es darüber
einen Streit geben kann.

c) Allerdings aber kann nun durch ein Geſetz wieder dem Ge-
richte das ihm vermöge ſeiner natürlichen Competenz zuſtehende Recht
abgeſprochen werden. Das kann aber nur geſchehen, indem gewiſſe
Fälle der Competenz des Gerichts überhaupt entzogen ſind, und das
ſind eben die franzöſiſchen Fälle der Adminiſtrativſachen. Da in dieſen
Fällen das Gericht überhaupt keine Competenz hat, ſo kann es auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0212" n="188"/>
Deut&#x017F;chlands einzugehen und die Aufgabe zu lö&#x017F;en, fe&#x017F;te und klare<lb/>
Begriffe auf unfertige Uebergangszu&#x017F;tände anzuwenden. Zu dem Ende<lb/>&#x017F;&#x017F;en die in Frage kommenden Punkte einzeln betrachtet werden.</p><lb/>
                    <p><hi rendition="#aq">I.</hi> Das Objekt der Ent&#x017F;cheidung des Gerichts.</p><lb/>
                    <p><hi rendition="#aq">a)</hi> Da es ganz unzweifelhaft die Aufgabe des Gerichts i&#x017F;t, das<lb/>
Ge&#x017F;etz in &#x017F;einer Anwendung auf den einzelnen Fall zur Anwendung zu<lb/>
bringen, &#x017F;o kann es vernünftiger Wei&#x017F;e kein Zweifel &#x017F;ein, daß das<lb/>
Gericht einen Akt als Ge&#x017F;etz anerkennen muß, um ihn eben anwenden<lb/>
zu können. <hi rendition="#g">Das</hi> i&#x017F;t daher im Grunde auch gar nicht die Frage. Die<lb/>
Frage i&#x017F;t vielmehr die, ob die&#x017F;e Anerkennung <hi rendition="#g">nur</hi> auf Grundlage &#x017F;einer<lb/>
eigenen Ueberzeugung ge&#x017F;chehen darf, oder ob das Gericht einen öffent-<lb/>
lichen Akt auf Grundlage des Befehles irgend einer außergerichtlichen<lb/>
Gewalt anzuerkennen verpflichtet i&#x017F;t. Ganz offenbar würde die letzte<lb/>
Behauptung einen ganz unlösbaren Wider&#x017F;pruch mit dem Begriffe des<lb/>
Ge&#x017F;etzes enthalten. Denn das Ge&#x017F;etz kommt eben nur zu Stande durch<lb/>
das Zu&#x017F;ammenwirken aller drei Faktoren: Staatsoberhaupt, Ge&#x017F;etzgebung<lb/>
und Verwaltung im weitern Sinn; eine Verpflichtung, einen öffentlichen<lb/>
Willen als <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etz</hi> anzuerkennen, weil <hi rendition="#g">einer</hi> die&#x017F;er Faktoren es befiehlt,<lb/>
i&#x017F;t ab&#x017F;olut wider&#x017F;prechend. Darüber kann kein Zweifel &#x017F;ein.</p><lb/>
                    <p><hi rendition="#aq">b)</hi> I&#x017F;t das der Fall, &#x017F;o muß auch das Gericht competent &#x017F;ein zu<lb/>
beurtheilen, ob die <hi rendition="#g">Formen</hi> in denen der öffentliche Akt er&#x017F;cheint, den<lb/><hi rendition="#g">Beweis</hi> enthalten, daß alle drei Faktoren wirklich in der verfa&#x017F;&#x017F;ungs-<lb/>
mäßigen Wei&#x017F;e gewirkt haben. Sind nun verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßige Formen<lb/>
von einem Ge&#x017F;etze vorge&#x017F;chrieben, welche die&#x017F;en formellen Beweis geben,<lb/>
&#x017F;o läßt es &#x017F;ich ferner gar nicht denken, wie ein Gericht &#x017F;ollte funktioniren<lb/>
können, ohne zu beurtheilen, ob die <hi rendition="#g">vorliegenden</hi> Formen eines<lb/>
öffentlichen Willensaktes mit den ge&#x017F;etzlichen Formen überein&#x017F;timmen;<lb/>
z. B. ob der Mitunterzeichner wirklich Mini&#x017F;ter gewe&#x017F;en oder nicht. Man<lb/>
muß dabei nur einfach fe&#x017F;thalten, daß jener Zweifel an die&#x017F;em Recht<lb/>
des Gerichts gar nicht gedacht werden kann, ohne eben den Unter&#x017F;chied<lb/>
zwi&#x017F;chen Ge&#x017F;etz und Verordnung aufzuheben; und daß der&#x017F;elbe eben<lb/>
deßhalb, wie wir &#x017F;ogleich &#x017F;ehen werden, auch nur da <hi rendition="#g">ent&#x017F;tehen konnte</hi>,<lb/>
wo die&#x017F;er Unter&#x017F;chied &#x017F;elb&#x017F;t nicht klar war, in Deut&#x017F;chland. Weder Eng-<lb/>
land noch Frankreich <hi rendition="#g">ahnen</hi>, möchten wir &#x017F;agen, daß es <hi rendition="#g">darüber</hi><lb/>
einen Streit geben kann.</p><lb/>
                    <p><hi rendition="#aq">c)</hi> Allerdings aber kann nun <hi rendition="#g">durch ein Ge&#x017F;etz</hi> wieder dem Ge-<lb/>
richte das ihm vermöge &#x017F;einer natürlichen Competenz zu&#x017F;tehende Recht<lb/><hi rendition="#g">abge&#x017F;prochen</hi> werden. Das kann aber <hi rendition="#g">nur</hi> ge&#x017F;chehen, indem gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/><hi rendition="#g">Fälle</hi> der Competenz des Gerichts überhaupt entzogen &#x017F;ind, und das<lb/>
&#x017F;ind eben die franzö&#x017F;i&#x017F;chen Fälle der Admini&#x017F;trativ&#x017F;achen. Da in die&#x017F;en<lb/>
Fällen das Gericht überhaupt keine Competenz hat, &#x017F;o kann es auch<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0212] Deutſchlands einzugehen und die Aufgabe zu löſen, feſte und klare Begriffe auf unfertige Uebergangszuſtände anzuwenden. Zu dem Ende müſſen die in Frage kommenden Punkte einzeln betrachtet werden. I. Das Objekt der Entſcheidung des Gerichts. a) Da es ganz unzweifelhaft die Aufgabe des Gerichts iſt, das Geſetz in ſeiner Anwendung auf den einzelnen Fall zur Anwendung zu bringen, ſo kann es vernünftiger Weiſe kein Zweifel ſein, daß das Gericht einen Akt als Geſetz anerkennen muß, um ihn eben anwenden zu können. Das iſt daher im Grunde auch gar nicht die Frage. Die Frage iſt vielmehr die, ob dieſe Anerkennung nur auf Grundlage ſeiner eigenen Ueberzeugung geſchehen darf, oder ob das Gericht einen öffent- lichen Akt auf Grundlage des Befehles irgend einer außergerichtlichen Gewalt anzuerkennen verpflichtet iſt. Ganz offenbar würde die letzte Behauptung einen ganz unlösbaren Widerſpruch mit dem Begriffe des Geſetzes enthalten. Denn das Geſetz kommt eben nur zu Stande durch das Zuſammenwirken aller drei Faktoren: Staatsoberhaupt, Geſetzgebung und Verwaltung im weitern Sinn; eine Verpflichtung, einen öffentlichen Willen als Geſetz anzuerkennen, weil einer dieſer Faktoren es befiehlt, iſt abſolut widerſprechend. Darüber kann kein Zweifel ſein. b) Iſt das der Fall, ſo muß auch das Gericht competent ſein zu beurtheilen, ob die Formen in denen der öffentliche Akt erſcheint, den Beweis enthalten, daß alle drei Faktoren wirklich in der verfaſſungs- mäßigen Weiſe gewirkt haben. Sind nun verfaſſungsmäßige Formen von einem Geſetze vorgeſchrieben, welche dieſen formellen Beweis geben, ſo läßt es ſich ferner gar nicht denken, wie ein Gericht ſollte funktioniren können, ohne zu beurtheilen, ob die vorliegenden Formen eines öffentlichen Willensaktes mit den geſetzlichen Formen übereinſtimmen; z. B. ob der Mitunterzeichner wirklich Miniſter geweſen oder nicht. Man muß dabei nur einfach feſthalten, daß jener Zweifel an dieſem Recht des Gerichts gar nicht gedacht werden kann, ohne eben den Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung aufzuheben; und daß derſelbe eben deßhalb, wie wir ſogleich ſehen werden, auch nur da entſtehen konnte, wo dieſer Unterſchied ſelbſt nicht klar war, in Deutſchland. Weder Eng- land noch Frankreich ahnen, möchten wir ſagen, daß es darüber einen Streit geben kann. c) Allerdings aber kann nun durch ein Geſetz wieder dem Ge- richte das ihm vermöge ſeiner natürlichen Competenz zuſtehende Recht abgeſprochen werden. Das kann aber nur geſchehen, indem gewiſſe Fälle der Competenz des Gerichts überhaupt entzogen ſind, und das ſind eben die franzöſiſchen Fälle der Adminiſtrativſachen. Da in dieſen Fällen das Gericht überhaupt keine Competenz hat, ſo kann es auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/212
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/212>, abgerufen am 24.11.2024.