Verfügungsgewalt unter das Gericht stellt, obgleich der erste einen Theil derselben ausschließt. Man sieht deutlich das Ringen nach einem andern als dem auch hier noch zum Grunde liegenden Standpunkt der Unterscheidung von Justiz- und Administrativsachen; dieselben Grundsätze treten mit all ihren verworrenen Consequenzen in einer Reihe von Ver- fassungen ein. Princip ist: "Die Verfügungen aller Verwaltungsbehörden und Beamteten innerhalb des demselben angewiesenen, von der Rechtspflege getrennten Wirkungskreises gehören nicht zur Compe- tenz der Gerichte." (Braunschweiger Landesordnung 1832, §. 195; hannövr. Gesetz vom 5. September 1850.) Da natürlich damit nichts gewonnen war, weil eben die Frage offen blieb, was denn innerhalb des verwaltungsmäßigen Wirkungskreises liege, so griff man zu dem französischen Auskunftsmittel, einen eigenen Competenzconfliktshof einzu- setzen (Sachsen, Altenburg, Braunschweig, Waldeck, Preußen, Olden- burg, Reuß, Coburg-Gotha; siehe auch Zöpfl, Staatsrecht §. 454). Die Organisation dieses Gerichtshofes ist durchschnittlich auf eine Beizie- hung von Gerichtsbehörden gebaut, und unterscheidet sich dadurch aller- dings wesentlich von dem französischen Princip. Allein die Hauptfrage ist damit nicht erledigt, und deßhalb blüht in der Literatur auch jetzt noch wie vor hundert Jahren die alte Frage, was denn Justiz und Administration sei. Denn es handelt sich jetzt natürlich darum, nach welchen Grundsätzen eben dieser Competenzgerichtshof zu entscheiden habe, ob etwas den Gerichten oder den Verwaltungs- behörden angehöre oder nicht; und auf diese Frage hat weder das Ge- setz noch die Theorie eine Antwort, wenn man nicht die verzweifelten Versuche, Justiz- und Administrativsachen objektiv zu scheiden, als eine solche betrachten will.
Es ist daher kaum zweifelhaft, daß die deutsche Rechtsbildung durch ihren, allerdings durch den Gang der Verfassungsbildung wohl begründeten Anschluß an die französische Auffassung des contentieux und des conflit nicht zu einem Abschluß gediehen ist und auch nicht gedeihen kann. Der französische Grundgedanke paßt für Frankreich, aber nicht für Deutschland. Wir müssen in unserer Weise unser Recht bilden. Wir müssen die bisherige Richtung aufgeben, und die uns eigenthümliche einschlagen, und wir können das um so mehr, als bereits die Grundlinien derselben sogar in mehreren Verfassungen ausgesprochen, die dann freilich -- wir müssen hinzufügen ohne klares Bewußtsein -- in direktem Widerspruche mit dem obigen Rechte des französischen Com- petenzstreites stehen.
Mitten unter jener französischen Gestaltung der Scheidung von Justiz- und Administrativsachen, und ganz friedlich neben dem Satze,
Verfügungsgewalt unter das Gericht ſtellt, obgleich der erſte einen Theil derſelben ausſchließt. Man ſieht deutlich das Ringen nach einem andern als dem auch hier noch zum Grunde liegenden Standpunkt der Unterſcheidung von Juſtiz- und Adminiſtrativſachen; dieſelben Grundſätze treten mit all ihren verworrenen Conſequenzen in einer Reihe von Ver- faſſungen ein. Princip iſt: „Die Verfügungen aller Verwaltungsbehörden und Beamteten innerhalb des demſelben angewieſenen, von der Rechtspflege getrennten Wirkungskreiſes gehören nicht zur Compe- tenz der Gerichte.“ (Braunſchweiger Landesordnung 1832, §. 195; hannövr. Geſetz vom 5. September 1850.) Da natürlich damit nichts gewonnen war, weil eben die Frage offen blieb, was denn innerhalb des verwaltungsmäßigen Wirkungskreiſes liege, ſo griff man zu dem franzöſiſchen Auskunftsmittel, einen eigenen Competenzconfliktshof einzu- ſetzen (Sachſen, Altenburg, Braunſchweig, Waldeck, Preußen, Olden- burg, Reuß, Coburg-Gotha; ſiehe auch Zöpfl, Staatsrecht §. 454). Die Organiſation dieſes Gerichtshofes iſt durchſchnittlich auf eine Beizie- hung von Gerichtsbehörden gebaut, und unterſcheidet ſich dadurch aller- dings weſentlich von dem franzöſiſchen Princip. Allein die Hauptfrage iſt damit nicht erledigt, und deßhalb blüht in der Literatur auch jetzt noch wie vor hundert Jahren die alte Frage, was denn Juſtiz und Adminiſtration ſei. Denn es handelt ſich jetzt natürlich darum, nach welchen Grundſätzen eben dieſer Competenzgerichtshof zu entſcheiden habe, ob etwas den Gerichten oder den Verwaltungs- behörden angehöre oder nicht; und auf dieſe Frage hat weder das Ge- ſetz noch die Theorie eine Antwort, wenn man nicht die verzweifelten Verſuche, Juſtiz- und Adminiſtrativſachen objektiv zu ſcheiden, als eine ſolche betrachten will.
Es iſt daher kaum zweifelhaft, daß die deutſche Rechtsbildung durch ihren, allerdings durch den Gang der Verfaſſungsbildung wohl begründeten Anſchluß an die franzöſiſche Auffaſſung des contentieux und des conflit nicht zu einem Abſchluß gediehen iſt und auch nicht gedeihen kann. Der franzöſiſche Grundgedanke paßt für Frankreich, aber nicht für Deutſchland. Wir müſſen in unſerer Weiſe unſer Recht bilden. Wir müſſen die bisherige Richtung aufgeben, und die uns eigenthümliche einſchlagen, und wir können das um ſo mehr, als bereits die Grundlinien derſelben ſogar in mehreren Verfaſſungen ausgeſprochen, die dann freilich — wir müſſen hinzufügen ohne klares Bewußtſein — in direktem Widerſpruche mit dem obigen Rechte des franzöſiſchen Com- petenzſtreites ſtehen.
Mitten unter jener franzöſiſchen Geſtaltung der Scheidung von Juſtiz- und Adminiſtrativſachen, und ganz friedlich neben dem Satze,
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[183/0207]
Verfügungsgewalt unter das Gericht ſtellt, obgleich der erſte einen
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andern als dem auch hier noch zum Grunde liegenden Standpunkt der
Unterſcheidung von Juſtiz- und Adminiſtrativſachen; dieſelben Grundſätze
treten mit all ihren verworrenen Conſequenzen in einer Reihe von Ver-
faſſungen ein. Princip iſt: „Die Verfügungen aller Verwaltungsbehörden
und Beamteten innerhalb des demſelben angewieſenen, von der
Rechtspflege getrennten Wirkungskreiſes gehören nicht zur Compe-
tenz der Gerichte.“ (Braunſchweiger Landesordnung 1832, §. 195;
hannövr. Geſetz vom 5. September 1850.) Da natürlich damit nichts
gewonnen war, weil eben die Frage offen blieb, was denn innerhalb
des verwaltungsmäßigen Wirkungskreiſes liege, ſo griff man zu dem
franzöſiſchen Auskunftsmittel, einen eigenen Competenzconfliktshof einzu-
ſetzen (Sachſen, Altenburg, Braunſchweig, Waldeck, Preußen, Olden-
burg, Reuß, Coburg-Gotha; ſiehe auch Zöpfl, Staatsrecht §. 454).
Die Organiſation dieſes Gerichtshofes iſt durchſchnittlich auf eine Beizie-
hung von Gerichtsbehörden gebaut, und unterſcheidet ſich dadurch aller-
dings weſentlich von dem franzöſiſchen Princip. Allein die Hauptfrage
iſt damit nicht erledigt, und deßhalb blüht in der Literatur auch jetzt
noch wie vor hundert Jahren die alte Frage, was denn Juſtiz und
Adminiſtration ſei. Denn es handelt ſich jetzt natürlich darum, nach
welchen Grundſätzen eben dieſer Competenzgerichtshof zu
entſcheiden habe, ob etwas den Gerichten oder den Verwaltungs-
behörden angehöre oder nicht; und auf dieſe Frage hat weder das Ge-
ſetz noch die Theorie eine Antwort, wenn man nicht die verzweifelten
Verſuche, Juſtiz- und Adminiſtrativſachen objektiv zu ſcheiden, als eine
ſolche betrachten will.
Es iſt daher kaum zweifelhaft, daß die deutſche Rechtsbildung
durch ihren, allerdings durch den Gang der Verfaſſungsbildung wohl
begründeten Anſchluß an die franzöſiſche Auffaſſung des contentieux
und des conflit nicht zu einem Abſchluß gediehen iſt und auch nicht
gedeihen kann. Der franzöſiſche Grundgedanke paßt für Frankreich,
aber nicht für Deutſchland. Wir müſſen in unſerer Weiſe unſer Recht
bilden. Wir müſſen die bisherige Richtung aufgeben, und die uns
eigenthümliche einſchlagen, und wir können das um ſo mehr, als bereits
die Grundlinien derſelben ſogar in mehreren Verfaſſungen ausgeſprochen,
die dann freilich — wir müſſen hinzufügen ohne klares Bewußtſein —
in direktem Widerſpruche mit dem obigen Rechte des franzöſiſchen Com-
petenzſtreites ſtehen.
Mitten unter jener franzöſiſchen Geſtaltung der Scheidung von
Juſtiz- und Adminiſtrativſachen, und ganz friedlich neben dem Satze,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/207>, abgerufen am 22.12.2024.
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