Das contentieux administratif umfaßt nämlich die Gesammtheit derjenigen Rechtsverhältnisse, in welchen die Verwaltung mit dem "Privatinteresse" in Streit geräth, und welche deßhalb der Ent- scheidung der Gerichte entzogen und der Entscheidung der Verwaltungs- behörden übergeben sind. Eine scharfe Bestimmung dieser Rechtsverhält- nisse gibt es nicht; die ganze französische Literatur ist sich darüber einig, daß es vergeblich ist, sie objektiv begränzen zu wollen. Doch sind gewisse Gebiete unzweifelhaft als Gebiete der Verwaltung an- erkannt (s. oben). In diesem contentieux administratif, so weit es als solches anerkannt ist, ist nun auch das Privatrecht der Ent- scheidung der Administrativbehörden unterworfen und damit bei Ver- letzungen desselben nur das Beschwerderecht zugelassen, was dadurch gemildert ist, daß dieß Beschwerderecht hier vollständig Form und Norm einer Klage, und der Proceß den ganzen Instanzenzug der Gerichte bis zum Conseil d'Etat angenommen hat. In dem Gebiete des unzweifel- haften contentieux administratif ist daher der Competenzconflikt durchaus ausgeschlossen, selbst da, wo die Akten der Verwaltungsbeamten geradezu gegen ein Gesetz und selbst gegen die Codes gehen. Hier gibt es nun einen Competenzstreit, obgleich es dem Princip nach auch einen Competenzconflikt geben sollte.
Die eigentliche competence dagegen umfaßt alle Fälle, in welchen das einzelne Amt seine Zuständigkeit auch außerhalb der contentieux überschreitet. Wo dieß behauptet wird, ist natürlich auch in Frankreich von einer Competenzklage gar keine Rede, sondern einfach von einer Opposition gegen dieselbe Ueberschreitung, welche durch einen recours bis an den Conseil d'Etat gehen kann. Die Grundlage ist hier aber nicht die Scheidung des contentieux vom droit civil (oder die Admini- strativ- von den Justizsachen (s. unten), sondern die Natur der Com- petenz selbst; es ist vielmehr die Beschwerde hier wie sie sein soll: le moyen general de maintenir en toutes manieres, entre toutes autori- tes, l'ordre constitutionnel des competences et des jurisdictions" Natür- lich ist dabei die Form und der Instanzenzug ganz derselbe wie bei dem contentieux, und das ist der Grund, weßhalb die französische jurisprudence administrative dieses eigentliche und wahre Gebiet des Competenzstreites gar nicht zu unterscheiden vermag; es fällt ihm mit dem contentieux zusammen, das auf diese Weise den wahren Com- petenzstreit mit dem Competenzconflikt in den sogenannten Administrativ- sachen verschmolzen hat.
Damit bleibt aber ein drittes Gebiet. Es kann in vielen Fällen zweifelhaft sein und ist es auch, ob der Akt der Verwaltung dem contentieux angehört oder nicht, und dieser Zweifel kann sowohl von
Das contentieux administratif umfaßt nämlich die Geſammtheit derjenigen Rechtsverhältniſſe, in welchen die Verwaltung mit dem „Privatintereſſe“ in Streit geräth, und welche deßhalb der Ent- ſcheidung der Gerichte entzogen und der Entſcheidung der Verwaltungs- behörden übergeben ſind. Eine ſcharfe Beſtimmung dieſer Rechtsverhält- niſſe gibt es nicht; die ganze franzöſiſche Literatur iſt ſich darüber einig, daß es vergeblich iſt, ſie objektiv begränzen zu wollen. Doch ſind gewiſſe Gebiete unzweifelhaft als Gebiete der Verwaltung an- erkannt (ſ. oben). In dieſem contentieux administratif, ſo weit es als ſolches anerkannt iſt, iſt nun auch das Privatrecht der Ent- ſcheidung der Adminiſtrativbehörden unterworfen und damit bei Ver- letzungen deſſelben nur das Beſchwerderecht zugelaſſen, was dadurch gemildert iſt, daß dieß Beſchwerderecht hier vollſtändig Form und Norm einer Klage, und der Proceß den ganzen Inſtanzenzug der Gerichte bis zum Conseil d’État angenommen hat. In dem Gebiete des unzweifel- haften contentieux administratif iſt daher der Competenzconflikt durchaus ausgeſchloſſen, ſelbſt da, wo die Akten der Verwaltungsbeamten geradezu gegen ein Geſetz und ſelbſt gegen die Codes gehen. Hier gibt es nun einen Competenzſtreit, obgleich es dem Princip nach auch einen Competenzconflikt geben ſollte.
Die eigentliche compétence dagegen umfaßt alle Fälle, in welchen das einzelne Amt ſeine Zuſtändigkeit auch außerhalb der contentieux überſchreitet. Wo dieß behauptet wird, iſt natürlich auch in Frankreich von einer Competenzklage gar keine Rede, ſondern einfach von einer Oppoſition gegen dieſelbe Ueberſchreitung, welche durch einen recours bis an den Conseil d’État gehen kann. Die Grundlage iſt hier aber nicht die Scheidung des contentieux vom droit civil (oder die Admini- ſtrativ- von den Juſtizſachen (ſ. unten), ſondern die Natur der Com- petenz ſelbſt; es iſt vielmehr die Beſchwerde hier wie ſie ſein ſoll: le moyen général de maintenir en toutes manières, entre toutes autori- tés, l’ordre constitutionnel des compétences et des jurisdictions“ Natür- lich iſt dabei die Form und der Inſtanzenzug ganz derſelbe wie bei dem contentieux, und das iſt der Grund, weßhalb die franzöſiſche jurisprudence administrative dieſes eigentliche und wahre Gebiet des Competenzſtreites gar nicht zu unterſcheiden vermag; es fällt ihm mit dem contentieux zuſammen, das auf dieſe Weiſe den wahren Com- petenzſtreit mit dem Competenzconflikt in den ſogenannten Adminiſtrativ- ſachen verſchmolzen hat.
Damit bleibt aber ein drittes Gebiet. Es kann in vielen Fällen zweifelhaft ſein und iſt es auch, ob der Akt der Verwaltung dem contentieux angehört oder nicht, und dieſer Zweifel kann ſowohl von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><pbfacs="#f0200"n="176"/><p>Das <hirendition="#aq">contentieux administratif</hi> umfaßt nämlich die Geſammtheit<lb/>
derjenigen Rechtsverhältniſſe, in welchen die Verwaltung mit dem<lb/>„Privatintereſſe“ in Streit geräth, und welche <hirendition="#g">deßhalb</hi> der Ent-<lb/>ſcheidung der Gerichte entzogen und der Entſcheidung der Verwaltungs-<lb/>
behörden übergeben ſind. Eine ſcharfe Beſtimmung dieſer Rechtsverhält-<lb/>
niſſe <hirendition="#g">gibt es nicht</hi>; die ganze franzöſiſche Literatur iſt ſich darüber<lb/>
einig, daß es vergeblich iſt, ſie objektiv begränzen zu wollen. Doch<lb/>ſind gewiſſe Gebiete <hirendition="#g">unzweifelhaft</hi> als Gebiete der Verwaltung an-<lb/>
erkannt (ſ. oben). In dieſem <hirendition="#aq">contentieux administratif,</hi>ſo <hirendition="#g">weit es<lb/>
als ſolches anerkannt iſt</hi>, iſt nun auch das Privatrecht der Ent-<lb/>ſcheidung der Adminiſtrativbehörden unterworfen und damit bei Ver-<lb/>
letzungen deſſelben nur das Beſchwerderecht zugelaſſen, was dadurch<lb/>
gemildert iſt, daß dieß Beſchwerderecht hier vollſtändig Form und Norm<lb/>
einer <hirendition="#g">Klage</hi>, und der Proceß den ganzen Inſtanzenzug der Gerichte bis<lb/>
zum <hirendition="#aq">Conseil d’État</hi> angenommen hat. In dem Gebiete des unzweifel-<lb/>
haften <hirendition="#aq">contentieux administratif</hi> iſt daher der Competen<hirendition="#g">zconflikt</hi><lb/>
durchaus ausgeſchloſſen, ſelbſt da, wo die Akten der Verwaltungsbeamten<lb/>
geradezu gegen ein Geſetz und ſelbſt gegen die <hirendition="#aq">Codes</hi> gehen. Hier<lb/>
gibt es nun einen Competen<hirendition="#g">zſtreit</hi>, obgleich es dem Princip nach auch<lb/>
einen Competen<hirendition="#g">zconflikt geben ſollte</hi>.</p><lb/><p>Die eigentliche <hirendition="#i"><hirendition="#aq">compétence</hi></hi> dagegen umfaßt alle Fälle, in welchen<lb/>
das einzelne Amt ſeine Zuſtändigkeit auch außerhalb der <hirendition="#aq">contentieux</hi><lb/>
überſchreitet. Wo dieß behauptet wird, iſt natürlich auch in Frankreich<lb/>
von einer Competen<hirendition="#g">zklage</hi> gar keine Rede, ſondern einfach von einer<lb/>
Oppoſition gegen dieſelbe Ueberſchreitung, welche durch einen <hirendition="#aq">recours</hi> bis<lb/>
an den <hirendition="#aq">Conseil d’État</hi> gehen kann. Die Grundlage iſt hier aber nicht<lb/>
die Scheidung des <hirendition="#aq">contentieux</hi> vom <hirendition="#aq">droit civil</hi> (oder die Admini-<lb/>ſtrativ- von den Juſtizſachen (ſ. unten), ſondern die Natur der Com-<lb/>
petenz ſelbſt; es iſt vielmehr die Beſchwerde hier wie ſie ſein ſoll: <hirendition="#aq">le<lb/>
moyen général de maintenir en toutes manières, entre toutes autori-<lb/>
tés, <hirendition="#i">l’ordre constitutionnel des compétences et des jurisdictions</hi>“</hi> Natür-<lb/>
lich iſt dabei die Form und der Inſtanzenzug ganz derſelbe wie bei<lb/>
dem <hirendition="#aq">contentieux,</hi> und das iſt der Grund, weßhalb die franzöſiſche<lb/><hirendition="#aq">jurisprudence administrative</hi> dieſes eigentliche und wahre Gebiet des<lb/>
Competen<hirendition="#g">zſtreites</hi> gar nicht zu unterſcheiden vermag; es fällt ihm<lb/>
mit dem <hirendition="#aq">contentieux</hi> zuſammen, das auf dieſe Weiſe den wahren Com-<lb/>
petenzſtreit mit dem Competenzconflikt in den ſogenannten Adminiſtrativ-<lb/>ſachen verſchmolzen hat.</p><lb/><p>Damit bleibt aber ein drittes Gebiet. Es kann in vielen Fällen<lb/>
zweifelhaft ſein und iſt es auch, ob der Akt der Verwaltung dem<lb/><hirendition="#aq">contentieux</hi> angehört oder nicht, und dieſer Zweifel kann ſowohl von<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[176/0200]
Das contentieux administratif umfaßt nämlich die Geſammtheit
derjenigen Rechtsverhältniſſe, in welchen die Verwaltung mit dem
„Privatintereſſe“ in Streit geräth, und welche deßhalb der Ent-
ſcheidung der Gerichte entzogen und der Entſcheidung der Verwaltungs-
behörden übergeben ſind. Eine ſcharfe Beſtimmung dieſer Rechtsverhält-
niſſe gibt es nicht; die ganze franzöſiſche Literatur iſt ſich darüber
einig, daß es vergeblich iſt, ſie objektiv begränzen zu wollen. Doch
ſind gewiſſe Gebiete unzweifelhaft als Gebiete der Verwaltung an-
erkannt (ſ. oben). In dieſem contentieux administratif, ſo weit es
als ſolches anerkannt iſt, iſt nun auch das Privatrecht der Ent-
ſcheidung der Adminiſtrativbehörden unterworfen und damit bei Ver-
letzungen deſſelben nur das Beſchwerderecht zugelaſſen, was dadurch
gemildert iſt, daß dieß Beſchwerderecht hier vollſtändig Form und Norm
einer Klage, und der Proceß den ganzen Inſtanzenzug der Gerichte bis
zum Conseil d’État angenommen hat. In dem Gebiete des unzweifel-
haften contentieux administratif iſt daher der Competenzconflikt
durchaus ausgeſchloſſen, ſelbſt da, wo die Akten der Verwaltungsbeamten
geradezu gegen ein Geſetz und ſelbſt gegen die Codes gehen. Hier
gibt es nun einen Competenzſtreit, obgleich es dem Princip nach auch
einen Competenzconflikt geben ſollte.
Die eigentliche compétence dagegen umfaßt alle Fälle, in welchen
das einzelne Amt ſeine Zuſtändigkeit auch außerhalb der contentieux
überſchreitet. Wo dieß behauptet wird, iſt natürlich auch in Frankreich
von einer Competenzklage gar keine Rede, ſondern einfach von einer
Oppoſition gegen dieſelbe Ueberſchreitung, welche durch einen recours bis
an den Conseil d’État gehen kann. Die Grundlage iſt hier aber nicht
die Scheidung des contentieux vom droit civil (oder die Admini-
ſtrativ- von den Juſtizſachen (ſ. unten), ſondern die Natur der Com-
petenz ſelbſt; es iſt vielmehr die Beſchwerde hier wie ſie ſein ſoll: le
moyen général de maintenir en toutes manières, entre toutes autori-
tés, l’ordre constitutionnel des compétences et des jurisdictions“ Natür-
lich iſt dabei die Form und der Inſtanzenzug ganz derſelbe wie bei
dem contentieux, und das iſt der Grund, weßhalb die franzöſiſche
jurisprudence administrative dieſes eigentliche und wahre Gebiet des
Competenzſtreites gar nicht zu unterſcheiden vermag; es fällt ihm
mit dem contentieux zuſammen, das auf dieſe Weiſe den wahren Com-
petenzſtreit mit dem Competenzconflikt in den ſogenannten Adminiſtrativ-
ſachen verſchmolzen hat.
Damit bleibt aber ein drittes Gebiet. Es kann in vielen Fällen
zweifelhaft ſein und iſt es auch, ob der Akt der Verwaltung dem
contentieux angehört oder nicht, und dieſer Zweifel kann ſowohl von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/200>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.