Recht vollzogen, das zuständig gewesen sei, und das Gericht ent- scheidet.
Es gibt scheinbar kein einfacheres System. Es enthält dasselbe, um die obigen Ausdrücke zu gebrauchen, die völlige Auflösung alles Competenzstreites in Competenzconflikte. Nirgends scheint das verfassungs- mäßige Recht besser gewahrt; eine höhere Garantie als die des Gesetzes und der das Gesetz anwendenden Gerichte kann es scheinbar nicht geben. Vielen erscheint daher das englische System als das Ideal des Compe- tenzrechts.
Dennoch ist das nicht der Fall. In der That ist es häufig näm- lich faktisch unmöglich, daß die Gesetzgebung die Competenz der Behör- den in allen Fallen wirklich bestimme. Es liegt, wie wir gesehen, vielmehr im Wesen des Organismus, daß dieß organisch gar nicht geschehen soll; denn die Bestimmung der Zuständigkeit muß gegen- über den wechselnden Lebensverhältnissen eine wechselnde, und die Organisationsgewalt muß daher eine freie sein, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Keine Gesetzgebung vermag dieß Verhältniß zu ändern; es kann zwar durch eine andere Form verdeckt, nicht aber im Wesen geändert werden, und das hat sich auch in England bestätigt.
Da nämlich die Funktionen der vollziehenden Organe nicht unter- bleiben können, auch wenn das Gesetz keine Competenz feststellt, so hat das englische öffentliche Recht den Gerichten die Entscheidung über die Com- petenz auch da übergeben müssen, wo es sich nicht mehr um Gesetze, sondern um die administrative Zweckmäßigkeit handelt. Das ist ge- schehen durch die schon früher erwähnte S. Jervis-Akte über das Klag- recht gegen die Friedensrichter. Der Satz, daß "any probable and reasonable cause" den Friedensrichter für seine Handlungen vor Gericht entlasten soll, enthält das Recht der Gerichte, über die Competenz der Behörden auch da zu entscheiden, wo es sich gar nicht mehr um Gesetze, sondern geradezu um Verordnungen handelt. Die Gerichte haben dadurch die ganz unorganische Stellung, die Funktion der höheren verwaltenden Behörden in der Entscheidung über Competenzstreite zu beurtheilen; die probable and reasonable cause enthalten eben gar nichts anderes als die Gesammtheit der Fälle des Competenzstreits in unserem Sinn, und das Klagrecht gegen den Friedensrichter ist daher ein Be- schwerderecht in der Form des Klagrechts. Eine solche Ver- schmelzung wäre nun selbst nicht möglich, wenn nicht die Quarterly Session selbst wieder aus Friedensrichtern bestände, also aus Behörden, welche eben zugleich Justiz- und Administrativbehörden sind. Eben dadurch ist nun die Sicherung des verfassungsmäßigen Rechts der Ein- zelnen gegenüber der Competenz der Organe zwar formell gewährt; da
Recht vollzogen, das zuſtändig geweſen ſei, und das Gericht ent- ſcheidet.
Es gibt ſcheinbar kein einfacheres Syſtem. Es enthält daſſelbe, um die obigen Ausdrücke zu gebrauchen, die völlige Auflöſung alles Competenzſtreites in Competenzconflikte. Nirgends ſcheint das verfaſſungs- mäßige Recht beſſer gewahrt; eine höhere Garantie als die des Geſetzes und der das Geſetz anwendenden Gerichte kann es ſcheinbar nicht geben. Vielen erſcheint daher das engliſche Syſtem als das Ideal des Compe- tenzrechts.
Dennoch iſt das nicht der Fall. In der That iſt es häufig näm- lich faktiſch unmöglich, daß die Geſetzgebung die Competenz der Behör- den in allen Fallen wirklich beſtimme. Es liegt, wie wir geſehen, vielmehr im Weſen des Organismus, daß dieß organiſch gar nicht geſchehen ſoll; denn die Beſtimmung der Zuſtändigkeit muß gegen- über den wechſelnden Lebensverhältniſſen eine wechſelnde, und die Organiſationsgewalt muß daher eine freie ſein, wenigſtens bis zu einem gewiſſen Grade. Keine Geſetzgebung vermag dieß Verhältniß zu ändern; es kann zwar durch eine andere Form verdeckt, nicht aber im Weſen geändert werden, und das hat ſich auch in England beſtätigt.
Da nämlich die Funktionen der vollziehenden Organe nicht unter- bleiben können, auch wenn das Geſetz keine Competenz feſtſtellt, ſo hat das engliſche öffentliche Recht den Gerichten die Entſcheidung über die Com- petenz auch da übergeben müſſen, wo es ſich nicht mehr um Geſetze, ſondern um die adminiſtrative Zweckmäßigkeit handelt. Das iſt ge- ſchehen durch die ſchon früher erwähnte S. Jervis-Akte über das Klag- recht gegen die Friedensrichter. Der Satz, daß „any probable and reasonable cause“ den Friedensrichter für ſeine Handlungen vor Gericht entlaſten ſoll, enthält das Recht der Gerichte, über die Competenz der Behörden auch da zu entſcheiden, wo es ſich gar nicht mehr um Geſetze, ſondern geradezu um Verordnungen handelt. Die Gerichte haben dadurch die ganz unorganiſche Stellung, die Funktion der höheren verwaltenden Behörden in der Entſcheidung über Competenzſtreite zu beurtheilen; die probable and reasonable cause enthalten eben gar nichts anderes als die Geſammtheit der Fälle des Competenzſtreits in unſerem Sinn, und das Klagrecht gegen den Friedensrichter iſt daher ein Be- ſchwerderecht in der Form des Klagrechts. Eine ſolche Ver- ſchmelzung wäre nun ſelbſt nicht möglich, wenn nicht die Quarterly Session ſelbſt wieder aus Friedensrichtern beſtände, alſo aus Behörden, welche eben zugleich Juſtiz- und Adminiſtrativbehörden ſind. Eben dadurch iſt nun die Sicherung des verfaſſungsmäßigen Rechts der Ein- zelnen gegenüber der Competenz der Organe zwar formell gewährt; da
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Recht vollzogen, das zuſtändig geweſen ſei, und das Gericht ent-
ſcheidet.
Es gibt ſcheinbar kein einfacheres Syſtem. Es enthält daſſelbe,
um die obigen Ausdrücke zu gebrauchen, die völlige Auflöſung alles
Competenzſtreites in Competenzconflikte. Nirgends ſcheint das verfaſſungs-
mäßige Recht beſſer gewahrt; eine höhere Garantie als die des Geſetzes
und der das Geſetz anwendenden Gerichte kann es ſcheinbar nicht geben.
Vielen erſcheint daher das engliſche Syſtem als das Ideal des Compe-
tenzrechts.
Dennoch iſt das nicht der Fall. In der That iſt es häufig näm-
lich faktiſch unmöglich, daß die Geſetzgebung die Competenz der Behör-
den in allen Fallen wirklich beſtimme. Es liegt, wie wir geſehen,
vielmehr im Weſen des Organismus, daß dieß organiſch gar nicht
geſchehen ſoll; denn die Beſtimmung der Zuſtändigkeit muß gegen-
über den wechſelnden Lebensverhältniſſen eine wechſelnde, und die
Organiſationsgewalt muß daher eine freie ſein, wenigſtens bis zu einem
gewiſſen Grade. Keine Geſetzgebung vermag dieß Verhältniß zu ändern;
es kann zwar durch eine andere Form verdeckt, nicht aber im Weſen
geändert werden, und das hat ſich auch in England beſtätigt.
Da nämlich die Funktionen der vollziehenden Organe nicht unter-
bleiben können, auch wenn das Geſetz keine Competenz feſtſtellt, ſo hat das
engliſche öffentliche Recht den Gerichten die Entſcheidung über die Com-
petenz auch da übergeben müſſen, wo es ſich nicht mehr um Geſetze,
ſondern um die adminiſtrative Zweckmäßigkeit handelt. Das iſt ge-
ſchehen durch die ſchon früher erwähnte S. Jervis-Akte über das Klag-
recht gegen die Friedensrichter. Der Satz, daß „any probable and
reasonable cause“ den Friedensrichter für ſeine Handlungen vor Gericht
entlaſten ſoll, enthält das Recht der Gerichte, über die Competenz der
Behörden auch da zu entſcheiden, wo es ſich gar nicht mehr um
Geſetze, ſondern geradezu um Verordnungen handelt. Die Gerichte
haben dadurch die ganz unorganiſche Stellung, die Funktion der höheren
verwaltenden Behörden in der Entſcheidung über Competenzſtreite zu
beurtheilen; die probable and reasonable cause enthalten eben gar nichts
anderes als die Geſammtheit der Fälle des Competenzſtreits in unſerem
Sinn, und das Klagrecht gegen den Friedensrichter iſt daher ein Be-
ſchwerderecht in der Form des Klagrechts. Eine ſolche Ver-
ſchmelzung wäre nun ſelbſt nicht möglich, wenn nicht die Quarterly
Session ſelbſt wieder aus Friedensrichtern beſtände, alſo aus Behörden,
welche eben zugleich Juſtiz- und Adminiſtrativbehörden ſind. Eben
dadurch iſt nun die Sicherung des verfaſſungsmäßigen Rechts der Ein-
zelnen gegenüber der Competenz der Organe zwar formell gewährt; da
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/196>, abgerufen am 28.11.2024.
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