angebrachtermaßen abgewiesen werden. Es ist nicht richtig, dem Gerichte zuzugestehen, daß es selbst suche, ob die Verordnung viel- leicht mit einem andern Gesetze in Widerspruch stehe, und zwar ist dieser Satz darum festzuhalten, weil das Gesetz, welches der Kläger anführt, seinen Titel bildet und daher den Charakter des allgemeinen Rechts verliert. Es ist nie Sache des Gerichts, einen Titel für den Kläger zu suchen; auf diesem Punkte muß im Namen einer guten Voll- ziehung dieß strenge interpretirt werden.
2) Das Petitum der Klage kann nicht auf die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Gültigkeit einer Verordnung als solche gehen. Die Verordnung erscheint dem Gerichte als eine Thatsache, die es über- haupt nur so weit zu untersuchen hat, als ihre Vollziehung mit einem Gesetze in Widerspruch steht, und dieser Widerspruch nicht bloß in der Absicht liegt -- was bei einer Verordnung ohne Vollziehung ja der Fall ist -- sondern zur wirklichen, das Recht des Einzelnen verfolgenden Erscheinung kommt. Der Widerspruch der Verordnung mit dem Gesetze ist daher nie Gegenstand oder Inhalt des Petitums, sondern nur die rechtliche Begründung desselben. Das Petitum muß vielmehr auf die Handlung der Vollziehung selbst, beziehungsweise ihre privatrecht- lichen Folgen gehen, und kann eben darum auch nur die Nichtigkeit der vollzogenen Handlung oder die Forderung auf einen Schadenersatz aus derselben enthalten.
3) Daraus ergibt sich weiter, daß der administrative Proceß der Regel nach ein summarischer sein muß, da in den meisten Fällen das Objekt desselben nur einen sehr geringen nachweisbaren Werth haben wird, und die Natur der vollziehenden Thätigkeit keinen langen Proceßgang zuläßt. Dieser Grundsatz würde die Bedenken über das Verhältniß jenes Processes zur praktischen Verwaltung in hohem Grade vermindern. Ein ordentlicher Proceß müßte einen nachgewiesenen wirth- schaftlichen Werth von Bedeutung betreffen.
4) Die Natur der Verwaltung fordert aber ferner, daß die Litis- pendenz im administrativen Proceß eine andere Natur habe, als im bürgerlichen. Sie kann dort nicht das Recht haben, den Einzelnen von der Leistung -- dem Gehorsam gegen die verordnende Gewalt -- zu befreien, bis das Gericht seine Entscheidung gesprochen hat. Im Gegentheil muß die Leistung ohne Rücksicht auf die Anhängigkeit der Klage in Gemäßheit der Verordnung vollzogen werden. Eben so wenig kann eine Leistung, die verordnungsmäßig eine dauernde ist, vermöge der Anhängigkeit unterbrochen werden, denn sie muß stets als ein Ganzes betrachtet werden. Der Einzelne kann sich nur seine Ansprüche wahren, aber sie durch Widerstand vertheidigen kann er nicht, so wenig
angebrachtermaßen abgewieſen werden. Es iſt nicht richtig, dem Gerichte zuzugeſtehen, daß es ſelbſt ſuche, ob die Verordnung viel- leicht mit einem andern Geſetze in Widerſpruch ſtehe, und zwar iſt dieſer Satz darum feſtzuhalten, weil das Geſetz, welches der Kläger anführt, ſeinen Titel bildet und daher den Charakter des allgemeinen Rechts verliert. Es iſt nie Sache des Gerichts, einen Titel für den Kläger zu ſuchen; auf dieſem Punkte muß im Namen einer guten Voll- ziehung dieß ſtrenge interpretirt werden.
2) Das Petitum der Klage kann nicht auf die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Gültigkeit einer Verordnung als ſolche gehen. Die Verordnung erſcheint dem Gerichte als eine Thatſache, die es über- haupt nur ſo weit zu unterſuchen hat, als ihre Vollziehung mit einem Geſetze in Widerſpruch ſteht, und dieſer Widerſpruch nicht bloß in der Abſicht liegt — was bei einer Verordnung ohne Vollziehung ja der Fall iſt — ſondern zur wirklichen, das Recht des Einzelnen verfolgenden Erſcheinung kommt. Der Widerſpruch der Verordnung mit dem Geſetze iſt daher nie Gegenſtand oder Inhalt des Petitums, ſondern nur die rechtliche Begründung deſſelben. Das Petitum muß vielmehr auf die Handlung der Vollziehung ſelbſt, beziehungsweiſe ihre privatrecht- lichen Folgen gehen, und kann eben darum auch nur die Nichtigkeit der vollzogenen Handlung oder die Forderung auf einen Schadenerſatz aus derſelben enthalten.
3) Daraus ergibt ſich weiter, daß der adminiſtrative Proceß der Regel nach ein ſummariſcher ſein muß, da in den meiſten Fällen das Objekt deſſelben nur einen ſehr geringen nachweisbaren Werth haben wird, und die Natur der vollziehenden Thätigkeit keinen langen Proceßgang zuläßt. Dieſer Grundſatz würde die Bedenken über das Verhältniß jenes Proceſſes zur praktiſchen Verwaltung in hohem Grade vermindern. Ein ordentlicher Proceß müßte einen nachgewieſenen wirth- ſchaftlichen Werth von Bedeutung betreffen.
4) Die Natur der Verwaltung fordert aber ferner, daß die Litis- pendenz im adminiſtrativen Proceß eine andere Natur habe, als im bürgerlichen. Sie kann dort nicht das Recht haben, den Einzelnen von der Leiſtung — dem Gehorſam gegen die verordnende Gewalt — zu befreien, bis das Gericht ſeine Entſcheidung geſprochen hat. Im Gegentheil muß die Leiſtung ohne Rückſicht auf die Anhängigkeit der Klage in Gemäßheit der Verordnung vollzogen werden. Eben ſo wenig kann eine Leiſtung, die verordnungsmäßig eine dauernde iſt, vermöge der Anhängigkeit unterbrochen werden, denn ſie muß ſtets als ein Ganzes betrachtet werden. Der Einzelne kann ſich nur ſeine Anſprüche wahren, aber ſie durch Widerſtand vertheidigen kann er nicht, ſo wenig
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angebrachtermaßen abgewieſen werden. Es iſt nicht richtig,
dem Gerichte zuzugeſtehen, daß es ſelbſt ſuche, ob die Verordnung viel-
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dieſer Satz darum feſtzuhalten, weil das Geſetz, welches der Kläger
anführt, ſeinen Titel bildet und daher den Charakter des allgemeinen
Rechts verliert. Es iſt nie Sache des Gerichts, einen Titel für den
Kläger zu ſuchen; auf dieſem Punkte muß im Namen einer guten Voll-
ziehung dieß ſtrenge interpretirt werden.
2) Das Petitum der Klage kann nicht auf die Anerkennung oder
Nichtanerkennung der Gültigkeit einer Verordnung als ſolche gehen.
Die Verordnung erſcheint dem Gerichte als eine Thatſache, die es über-
haupt nur ſo weit zu unterſuchen hat, als ihre Vollziehung mit einem
Geſetze in Widerſpruch ſteht, und dieſer Widerſpruch nicht bloß in der
Abſicht liegt — was bei einer Verordnung ohne Vollziehung ja der
Fall iſt — ſondern zur wirklichen, das Recht des Einzelnen verfolgenden
Erſcheinung kommt. Der Widerſpruch der Verordnung mit dem Geſetze
iſt daher nie Gegenſtand oder Inhalt des Petitums, ſondern nur die
rechtliche Begründung deſſelben. Das Petitum muß vielmehr auf
die Handlung der Vollziehung ſelbſt, beziehungsweiſe ihre privatrecht-
lichen Folgen gehen, und kann eben darum auch nur die Nichtigkeit der
vollzogenen Handlung oder die Forderung auf einen Schadenerſatz
aus derſelben enthalten.
3) Daraus ergibt ſich weiter, daß der adminiſtrative Proceß der
Regel nach ein ſummariſcher ſein muß, da in den meiſten Fällen
das Objekt deſſelben nur einen ſehr geringen nachweisbaren Werth
haben wird, und die Natur der vollziehenden Thätigkeit keinen langen
Proceßgang zuläßt. Dieſer Grundſatz würde die Bedenken über das
Verhältniß jenes Proceſſes zur praktiſchen Verwaltung in hohem Grade
vermindern. Ein ordentlicher Proceß müßte einen nachgewieſenen wirth-
ſchaftlichen Werth von Bedeutung betreffen.
4) Die Natur der Verwaltung fordert aber ferner, daß die Litis-
pendenz im adminiſtrativen Proceß eine andere Natur habe, als im
bürgerlichen. Sie kann dort nicht das Recht haben, den Einzelnen
von der Leiſtung — dem Gehorſam gegen die verordnende Gewalt —
zu befreien, bis das Gericht ſeine Entſcheidung geſprochen hat. Im
Gegentheil muß die Leiſtung ohne Rückſicht auf die Anhängigkeit der
Klage in Gemäßheit der Verordnung vollzogen werden. Eben ſo wenig
kann eine Leiſtung, die verordnungsmäßig eine dauernde iſt, vermöge
der Anhängigkeit unterbrochen werden, denn ſie muß ſtets als ein
Ganzes betrachtet werden. Der Einzelne kann ſich nur ſeine Anſprüche
wahren, aber ſie durch Widerſtand vertheidigen kann er nicht, ſo wenig
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/141>, abgerufen am 23.11.2024.
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