Hier sehen wir dem Rechte der Verantwortlichkeit eine Anschauung des organischen Verhältnisses von Gesetzgebung und Vollziehung zum Grunde liegen, die den Deutschen nur zu sehr abgeht. Es ist nicht umsonst, daß Benjamin ConstantsReflexions sur les Constitutions als die Grundlage der Lehre vom verfassungsmäßigen Königthum angesehen wird; kürzer, klarer und tiefer sind die Wahrheiten, auf denen dasselbe beruht, nie ausgesprochen, schlagender ist nie die organische Verschiedenheit von Verfassung und Verwaltung, Gesetzgebung und Vollziehung bezeichnet. Wie Wenige lesen jetzt diese Schrift, die so viele Phrasen überflüssig machen würde! Ihm verdankt man die Versöhnung des Be- griffes des Königthums mit der Verantwortlichkeit der Minister, indem er die letztere als unabweisbare Bedingung der Unverantwortlichkeit der Krone dar- stellte. "Ich habe schon früher," sagt er, "die Bemerkung gemacht, daß die Verantwortlichkeit die unauflöslichste aller constitutionellen Fragen sei, wenn man die königliche Gewalt nicht sorgfältig von der vollziehenden scheidet. -- In der Erbmonarchie aber führt die Verantwortlichkeit keine Unbequemlichkeit mit sich. Die Elemente der Ehrfurcht, mit welcher der Monarch umgeben ist, ver- hindern, daß man ihn mit seinen Ministern vergleicht, und die Dauer seiner Würde verursacht, daß die Anhänger derselben ihre Anstrengungen gegen das Ministerium wenden können, ohne gegen den Monarchen aufzutreten. -- Indem man aber die höchste Gewalt unverletzlich macht, bestimmt man die Minister zu Richtern des Gehorsams, den sie ihr schuldig sind." (Chap. III. 4.) Ihm ist daher die wahre Aufgabe der Verantwortlichkeit, nicht das Recht, einen Minister zu verfolgen, sondern die, die vollziehenden Gewalten zum Bewußtsein über die Gränzen zwischen Gesetz und Verordnung zu bringen. Sie erscheint ihm daher nicht als eine Criminaluntersuchung; sie ist ein organi- sches Element des Staatslebens; es ist nicht ihre Aufgabe, ein Verbrechen zu bestrafen, oder durch die Strafe zu hindern; sie soll vielmehr nur das lebendige Bewußtsein der Harmonie der Gewalten erzeugen, und dem Königthum damit seine wahre Stellung geben. Spezieller hat er seine Gedanken in seiner Schrift: De la responsabilite des ministres, dargelegt (1814), die freilich Mohl nicht casuistisch genug ist (a. a. O. S. 89). Sein Irrthum besteht nur darin, die Verantwortlichkeit mit dem Klagrecht zu verschmelzen. Dieß hat Ferrier (De la resp. min. relat. a l'administration des Finances 1832, übers. v. Buddeus) vermieden; seine Schrift ist das Vorbild des Werkes von Mohl. Es ist die praktische Auffassung und Durchführung, mit Vergleichung der bestehenden Rechte. Das französische Staatsrecht hat sich auf diesem Standpunkt bis zum neuen Kaiserthum erhalten. Das letztere hat die wahre Verantwortlichkeit auf- gehoben, und eine Scheinverantwortlichkeit an ihre Stelle gesetzt. Jeder Minister ist nach der Constitution von 1852, Art. 12, nur noch für das verantwortlich, was seinem speziellen Ressort gehört; d. h. er hat nur die Verantwort- lichkeit des Beamteten, nicht die der vollziehenden Gewalt; oder es gibt nur noch ein Klagrecht gegen den Minister, nicht aber eine juristische oder gar poli- tische Verantwortlichkeit desselben; denn für alles, was über die spezielle Com- petenz des einzelnen Ministers hinausgeht, ist nur die unverantwortliche Staats- gewalt -- der Kaiser -- verantwortlich. Laferriere (Cours de droit publ.
Hier ſehen wir dem Rechte der Verantwortlichkeit eine Anſchauung des organiſchen Verhältniſſes von Geſetzgebung und Vollziehung zum Grunde liegen, die den Deutſchen nur zu ſehr abgeht. Es iſt nicht umſonſt, daß Benjamin ConſtantsRéflexions sur les Constitutions als die Grundlage der Lehre vom verfaſſungsmäßigen Königthum angeſehen wird; kürzer, klarer und tiefer ſind die Wahrheiten, auf denen daſſelbe beruht, nie ausgeſprochen, ſchlagender iſt nie die organiſche Verſchiedenheit von Verfaſſung und Verwaltung, Geſetzgebung und Vollziehung bezeichnet. Wie Wenige leſen jetzt dieſe Schrift, die ſo viele Phraſen überflüſſig machen würde! Ihm verdankt man die Verſöhnung des Be- griffes des Königthums mit der Verantwortlichkeit der Miniſter, indem er die letztere als unabweisbare Bedingung der Unverantwortlichkeit der Krone dar- ſtellte. „Ich habe ſchon früher,“ ſagt er, „die Bemerkung gemacht, daß die Verantwortlichkeit die unauflöslichſte aller conſtitutionellen Fragen ſei, wenn man die königliche Gewalt nicht ſorgfältig von der vollziehenden ſcheidet. — In der Erbmonarchie aber führt die Verantwortlichkeit keine Unbequemlichkeit mit ſich. Die Elemente der Ehrfurcht, mit welcher der Monarch umgeben iſt, ver- hindern, daß man ihn mit ſeinen Miniſtern vergleicht, und die Dauer ſeiner Würde verurſacht, daß die Anhänger derſelben ihre Anſtrengungen gegen das Miniſterium wenden können, ohne gegen den Monarchen aufzutreten. — Indem man aber die höchſte Gewalt unverletzlich macht, beſtimmt man die Miniſter zu Richtern des Gehorſams, den ſie ihr ſchuldig ſind.“ (Chap. III. 4.) Ihm iſt daher die wahre Aufgabe der Verantwortlichkeit, nicht das Recht, einen Miniſter zu verfolgen, ſondern die, die vollziehenden Gewalten zum Bewußtſein über die Gränzen zwiſchen Geſetz und Verordnung zu bringen. Sie erſcheint ihm daher nicht als eine Criminalunterſuchung; ſie iſt ein organi- ſches Element des Staatslebens; es iſt nicht ihre Aufgabe, ein Verbrechen zu beſtrafen, oder durch die Strafe zu hindern; ſie ſoll vielmehr nur das lebendige Bewußtſein der Harmonie der Gewalten erzeugen, und dem Königthum damit ſeine wahre Stellung geben. Spezieller hat er ſeine Gedanken in ſeiner Schrift: De la responsabilité des ministres, dargelegt (1814), die freilich Mohl nicht caſuiſtiſch genug iſt (a. a. O. S. 89). Sein Irrthum beſteht nur darin, die Verantwortlichkeit mit dem Klagrecht zu verſchmelzen. Dieß hat Ferrier (De la resp. min. relat. à l’administration des Finances 1832, überſ. v. Buddeus) vermieden; ſeine Schrift iſt das Vorbild des Werkes von Mohl. Es iſt die praktiſche Auffaſſung und Durchführung, mit Vergleichung der beſtehenden Rechte. Das franzöſiſche Staatsrecht hat ſich auf dieſem Standpunkt bis zum neuen Kaiſerthum erhalten. Das letztere hat die wahre Verantwortlichkeit auf- gehoben, und eine Scheinverantwortlichkeit an ihre Stelle geſetzt. Jeder Miniſter iſt nach der Conſtitution von 1852, Art. 12, nur noch für das verantwortlich, was ſeinem ſpeziellen Reſſort gehört; d. h. er hat nur die Verantwort- lichkeit des Beamteten, nicht die der vollziehenden Gewalt; oder es gibt nur noch ein Klagrecht gegen den Miniſter, nicht aber eine juriſtiſche oder gar poli- tiſche Verantwortlichkeit deſſelben; denn für alles, was über die ſpezielle Com- petenz des einzelnen Miniſters hinausgeht, iſt nur die unverantwortliche Staats- gewalt — der Kaiſer — verantwortlich. Laferrière (Cours de droit publ.
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Hier ſehen wir dem Rechte der Verantwortlichkeit eine Anſchauung des
organiſchen Verhältniſſes von Geſetzgebung und Vollziehung zum Grunde liegen,
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Conſtants Réflexions sur les Constitutions als die Grundlage der Lehre vom
verfaſſungsmäßigen Königthum angeſehen wird; kürzer, klarer und tiefer ſind
die Wahrheiten, auf denen daſſelbe beruht, nie ausgeſprochen, ſchlagender iſt
nie die organiſche Verſchiedenheit von Verfaſſung und Verwaltung, Geſetzgebung
und Vollziehung bezeichnet. Wie Wenige leſen jetzt dieſe Schrift, die ſo viele
Phraſen überflüſſig machen würde! Ihm verdankt man die Verſöhnung des Be-
griffes des Königthums mit der Verantwortlichkeit der Miniſter, indem er die
letztere als unabweisbare Bedingung der Unverantwortlichkeit der Krone dar-
ſtellte. „Ich habe ſchon früher,“ ſagt er, „die Bemerkung gemacht, daß die
Verantwortlichkeit die unauflöslichſte aller conſtitutionellen Fragen ſei, wenn
man die königliche Gewalt nicht ſorgfältig von der vollziehenden ſcheidet. — In
der Erbmonarchie aber führt die Verantwortlichkeit keine Unbequemlichkeit mit
ſich. Die Elemente der Ehrfurcht, mit welcher der Monarch umgeben iſt, ver-
hindern, daß man ihn mit ſeinen Miniſtern vergleicht, und die Dauer ſeiner
Würde verurſacht, daß die Anhänger derſelben ihre Anſtrengungen gegen das
Miniſterium wenden können, ohne gegen den Monarchen aufzutreten. — Indem
man aber die höchſte Gewalt unverletzlich macht, beſtimmt man die
Miniſter zu Richtern des Gehorſams, den ſie ihr ſchuldig ſind.“
(Chap. III. 4.) Ihm iſt daher die wahre Aufgabe der Verantwortlichkeit, nicht
das Recht, einen Miniſter zu verfolgen, ſondern die, die vollziehenden Gewalten
zum Bewußtſein über die Gränzen zwiſchen Geſetz und Verordnung zu bringen.
Sie erſcheint ihm daher nicht als eine Criminalunterſuchung; ſie iſt ein organi-
ſches Element des Staatslebens; es iſt nicht ihre Aufgabe, ein Verbrechen zu
beſtrafen, oder durch die Strafe zu hindern; ſie ſoll vielmehr nur das lebendige
Bewußtſein der Harmonie der Gewalten erzeugen, und dem Königthum damit
ſeine wahre Stellung geben. Spezieller hat er ſeine Gedanken in ſeiner Schrift:
De la responsabilité des ministres, dargelegt (1814), die freilich Mohl nicht
caſuiſtiſch genug iſt (a. a. O. S. 89). Sein Irrthum beſteht nur darin, die
Verantwortlichkeit mit dem Klagrecht zu verſchmelzen. Dieß hat Ferrier (De
la resp. min. relat. à l’administration des Finances 1832, überſ. v. Buddeus)
vermieden; ſeine Schrift iſt das Vorbild des Werkes von Mohl. Es iſt die
praktiſche Auffaſſung und Durchführung, mit Vergleichung der beſtehenden
Rechte. Das franzöſiſche Staatsrecht hat ſich auf dieſem Standpunkt bis zum
neuen Kaiſerthum erhalten. Das letztere hat die wahre Verantwortlichkeit auf-
gehoben, und eine Scheinverantwortlichkeit an ihre Stelle geſetzt. Jeder Miniſter
iſt nach der Conſtitution von 1852, Art. 12, nur noch für das verantwortlich,
was ſeinem ſpeziellen Reſſort gehört; d. h. er hat nur die Verantwort-
lichkeit des Beamteten, nicht die der vollziehenden Gewalt; oder es gibt nur
noch ein Klagrecht gegen den Miniſter, nicht aber eine juriſtiſche oder gar poli-
tiſche Verantwortlichkeit deſſelben; denn für alles, was über die ſpezielle Com-
petenz des einzelnen Miniſters hinausgeht, iſt nur die unverantwortliche Staats-
gewalt — der Kaiſer — verantwortlich. Laferrière (Cours de droit publ.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/126>, abgerufen am 24.11.2024.
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