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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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kein einfaches Recht der vollziehenden Gewalt im Ganzen, sondern nur
ein allgemeines Princip für dieselbe. Das Recht der vollziehenden Ge-
walt oder der Proceß der Herstellung der Harmonie der concreten That
mit dem abstrakten Willen, der Vollziehung mit der Gesetzgebung, ist
vielmehr ein besonderes für jedes Element derselben. Es gibt daher
ein besonderes Recht der vollziehenden Staatsgewalt, ein besonderes
Recht der eigentlichen Verordnungsgewalt, ein besonderes Recht der
Organisationsgewalt, und endlich ein besonderes Recht der Polizeige-
walt. Alle diese Rechte sind aber wieder Ausflüsse desselben Princips,
sie bilden daher trotz ihrer Verschiedenheit ein inneres Ganze, und in
diesem Sinne sagen wir nunmehr, daß das Recht der verfassungsmäßigen
Verwaltung und Vollziehung ein System von Rechten sei, dessen In-
halt nunmehr im Einzelnen dargelegt werden soll.

Aber indem es auf diese Weise ein solches innere Ganze ist,
trägt es auch den Charakter der Individualität je nach den Völkern an
sich, bei denen es sich ausgebildet hat. Die einzelnen Verschiedenheiten,
denen wir dort begegnen, sind Ausflüsse dieser Individualität, und ehe
die Wissenschaft jenes Verhalten der Elemente ihrer innern Natur nach
darlegt, werden wir einen Blick auf die Grundformen werfen, in denen
jenes Recht zur individuellen Erscheinung bei den großen Culturvölkern
gelangt ist.

Es liegt in dem formellen Wesen des Unterschiedes zwischen Gesetz und
Verordnung, daß die positive und formelle Entwicklung des verfassungsmäßigen
Verordnungsrechts erst mit dem Auftreten bestimmter Verfassungsurkunden vor
sich geht. Dem Inhalte nach aber wird das positive Recht für das Verhältniß
zwischen Gesetz und Verordnung um so genauer, ja um so ängstlicher aus-
gebildet seyn, je länger sich die Tradition erhält, daß Gesetzgebung und Ver-
waltung mit einander im Gegensatze stehen. Man kann daher das positive
Recht gerade hier am sichersten als den Ausdruck des Stadiums betrachten, in
welchem das Verständniß der Harmonie zwischen beiden großen Funktionen des
Staats getreten ist. Je weniger sich beide im Bewußtsein des Volkes berühren
und bedingen, je mehr verschwinden die Formeln, welche jenes Recht bilden,
und je einfacher wird der Proceß, der die Harmonie herstellt. Nur indem
man dieß zum Grunde legt, kann man den Unterschied in dem principiell ganz
gleichen Rechte Englands, Frankreichs und Deutschlands verstehen, und den
noch sehr niedrigen und unklaren Standpunkt beurtheilen, auf welchem auch
in diesem Punkte das deutsche Leben steht.

In England hat niemals eine völlige Trennung der Gesetzgebung und
Vollziehung stattgefunden. Die Volksvertretung hat, soweit die germanische
Geschichte zurückgeht, immer ihre Stellung behauptet. Namentlich hat der
glücklich vertheidigte Grundsatz, daß die Bewilligung der Steuer von dem
gesetzgebenden Körper abhange, die vollziehende Gewalt stets gezwungen, im

Stein, die Verwaltungslehre. I. 6

kein einfaches Recht der vollziehenden Gewalt im Ganzen, ſondern nur
ein allgemeines Princip für dieſelbe. Das Recht der vollziehenden Ge-
walt oder der Proceß der Herſtellung der Harmonie der concreten That
mit dem abſtrakten Willen, der Vollziehung mit der Geſetzgebung, iſt
vielmehr ein beſonderes für jedes Element derſelben. Es gibt daher
ein beſonderes Recht der vollziehenden Staatsgewalt, ein beſonderes
Recht der eigentlichen Verordnungsgewalt, ein beſonderes Recht der
Organiſationsgewalt, und endlich ein beſonderes Recht der Polizeige-
walt. Alle dieſe Rechte ſind aber wieder Ausflüſſe deſſelben Princips,
ſie bilden daher trotz ihrer Verſchiedenheit ein inneres Ganze, und in
dieſem Sinne ſagen wir nunmehr, daß das Recht der verfaſſungsmäßigen
Verwaltung und Vollziehung ein Syſtem von Rechten ſei, deſſen In-
halt nunmehr im Einzelnen dargelegt werden ſoll.

Aber indem es auf dieſe Weiſe ein ſolches innere Ganze iſt,
trägt es auch den Charakter der Individualität je nach den Völkern an
ſich, bei denen es ſich ausgebildet hat. Die einzelnen Verſchiedenheiten,
denen wir dort begegnen, ſind Ausflüſſe dieſer Individualität, und ehe
die Wiſſenſchaft jenes Verhalten der Elemente ihrer innern Natur nach
darlegt, werden wir einen Blick auf die Grundformen werfen, in denen
jenes Recht zur individuellen Erſcheinung bei den großen Culturvölkern
gelangt iſt.

Es liegt in dem formellen Weſen des Unterſchiedes zwiſchen Geſetz und
Verordnung, daß die poſitive und formelle Entwicklung des verfaſſungsmäßigen
Verordnungsrechts erſt mit dem Auftreten beſtimmter Verfaſſungsurkunden vor
ſich geht. Dem Inhalte nach aber wird das poſitive Recht für das Verhältniß
zwiſchen Geſetz und Verordnung um ſo genauer, ja um ſo ängſtlicher aus-
gebildet ſeyn, je länger ſich die Tradition erhält, daß Geſetzgebung und Ver-
waltung mit einander im Gegenſatze ſtehen. Man kann daher das poſitive
Recht gerade hier am ſicherſten als den Ausdruck des Stadiums betrachten, in
welchem das Verſtändniß der Harmonie zwiſchen beiden großen Funktionen des
Staats getreten iſt. Je weniger ſich beide im Bewußtſein des Volkes berühren
und bedingen, je mehr verſchwinden die Formeln, welche jenes Recht bilden,
und je einfacher wird der Proceß, der die Harmonie herſtellt. Nur indem
man dieß zum Grunde legt, kann man den Unterſchied in dem principiell ganz
gleichen Rechte Englands, Frankreichs und Deutſchlands verſtehen, und den
noch ſehr niedrigen und unklaren Standpunkt beurtheilen, auf welchem auch
in dieſem Punkte das deutſche Leben ſteht.

In England hat niemals eine völlige Trennung der Geſetzgebung und
Vollziehung ſtattgefunden. Die Volksvertretung hat, ſoweit die germaniſche
Geſchichte zurückgeht, immer ihre Stellung behauptet. Namentlich hat der
glücklich vertheidigte Grundſatz, daß die Bewilligung der Steuer von dem
geſetzgebenden Körper abhange, die vollziehende Gewalt ſtets gezwungen, im

Stein, die Verwaltungslehre. I. 6
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[81/0105] kein einfaches Recht der vollziehenden Gewalt im Ganzen, ſondern nur ein allgemeines Princip für dieſelbe. Das Recht der vollziehenden Ge- walt oder der Proceß der Herſtellung der Harmonie der concreten That mit dem abſtrakten Willen, der Vollziehung mit der Geſetzgebung, iſt vielmehr ein beſonderes für jedes Element derſelben. Es gibt daher ein beſonderes Recht der vollziehenden Staatsgewalt, ein beſonderes Recht der eigentlichen Verordnungsgewalt, ein beſonderes Recht der Organiſationsgewalt, und endlich ein beſonderes Recht der Polizeige- walt. Alle dieſe Rechte ſind aber wieder Ausflüſſe deſſelben Princips, ſie bilden daher trotz ihrer Verſchiedenheit ein inneres Ganze, und in dieſem Sinne ſagen wir nunmehr, daß das Recht der verfaſſungsmäßigen Verwaltung und Vollziehung ein Syſtem von Rechten ſei, deſſen In- halt nunmehr im Einzelnen dargelegt werden ſoll. Aber indem es auf dieſe Weiſe ein ſolches innere Ganze iſt, trägt es auch den Charakter der Individualität je nach den Völkern an ſich, bei denen es ſich ausgebildet hat. Die einzelnen Verſchiedenheiten, denen wir dort begegnen, ſind Ausflüſſe dieſer Individualität, und ehe die Wiſſenſchaft jenes Verhalten der Elemente ihrer innern Natur nach darlegt, werden wir einen Blick auf die Grundformen werfen, in denen jenes Recht zur individuellen Erſcheinung bei den großen Culturvölkern gelangt iſt. Es liegt in dem formellen Weſen des Unterſchiedes zwiſchen Geſetz und Verordnung, daß die poſitive und formelle Entwicklung des verfaſſungsmäßigen Verordnungsrechts erſt mit dem Auftreten beſtimmter Verfaſſungsurkunden vor ſich geht. Dem Inhalte nach aber wird das poſitive Recht für das Verhältniß zwiſchen Geſetz und Verordnung um ſo genauer, ja um ſo ängſtlicher aus- gebildet ſeyn, je länger ſich die Tradition erhält, daß Geſetzgebung und Ver- waltung mit einander im Gegenſatze ſtehen. Man kann daher das poſitive Recht gerade hier am ſicherſten als den Ausdruck des Stadiums betrachten, in welchem das Verſtändniß der Harmonie zwiſchen beiden großen Funktionen des Staats getreten iſt. Je weniger ſich beide im Bewußtſein des Volkes berühren und bedingen, je mehr verſchwinden die Formeln, welche jenes Recht bilden, und je einfacher wird der Proceß, der die Harmonie herſtellt. Nur indem man dieß zum Grunde legt, kann man den Unterſchied in dem principiell ganz gleichen Rechte Englands, Frankreichs und Deutſchlands verſtehen, und den noch ſehr niedrigen und unklaren Standpunkt beurtheilen, auf welchem auch in dieſem Punkte das deutſche Leben ſteht. In England hat niemals eine völlige Trennung der Geſetzgebung und Vollziehung ſtattgefunden. Die Volksvertretung hat, ſoweit die germaniſche Geſchichte zurückgeht, immer ihre Stellung behauptet. Namentlich hat der glücklich vertheidigte Grundſatz, daß die Bewilligung der Steuer von dem geſetzgebenden Körper abhange, die vollziehende Gewalt ſtets gezwungen, im Stein, die Verwaltungslehre. I. 6

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/105>, abgerufen am 27.11.2024.