Bilde die fundamentalen Lebensverhältnisse der Menschheit über- haupt darstellt. Das ist die wahre Aufgabe und der Werth eines solchen Systems. Es handelt sich bei ihm nicht um Formeln und De- finitionen, sondern um eine Weltanschauung; wer einmal mit der Ver- waltung sich ernstlich beschäftigt hat, der wird bald erkennen, daß es keine Wissenschaft gibt, die ihr an Reichthum und Bedeutung gleich käme. Die Verwaltungslehre ist die Erfüllung der Selbsterkenntniß der menschlichen Gemeinschaft, mit der ganzen Fülle ihrer organischen Thatsachen, wie das Verwaltungsrecht die Fixirung der letzteren in einem bestimmten gegebenen Momente ist.
Allerdings aber hat diese Auffassung ihre Grenze. Denn nicht alles, was zum menschlichen Leben gehört, gehört auch der Verwaltung. Ihr Gebiet umfaßt nur das, worin das Leben des Einzelnen und das der Gemeinschaft sich gegenseitig bestimmen und bedingen. Da wo der Einzelne ganz auf sich angewiesen ist, so wie da wo der Staat nur als individuelle Persönlichkeit auftritt, gehört der Verwal- tung überhaupt nicht, also auch nicht der inneren Verwaltung. Daher erscheint denn auch der Inhalt des Systems der letzteren so wesent- lich verschieden von dem des persönlichen Einzellebens; es kommen Kategorien in jener vor, die in diesem nothwendig wegfallen, und um- gekehrt. Nur die obigen drei größten Gebiete bleiben; sie sind die Kategorien, in denen eben die Gemeinschaft und der Einzelne ihr Leben gegenseitig austauschen; und wie nun diese große, die ganze Welt um- fassende Gegenseitigkeit ihre feste Gestalt gewinnt, das zeigt uns das positive Verwaltungsrecht jedes seiner einzelnen Theile.
Es ist endlich klar, daß jene drei großen Gebiete nicht nach ein- ander da sind, wie in der wissenschaftlichen Darstellung, sondern gleich- zeitig und sich gegenseitig durchdringend fortleben. Aber die Theorie muß bei dem Einfachen beginnen. Das aber ist die rein persönliche Existenz, welche mithin den ersten Theil bildet.
Erster Theil. Die innere Verwaltung und das persönliche Leben.
Das persönliche Leben enthält nun für die innere Verwaltung den Menschen, insofern er als Einzelner, noch ohne alle die Entwicklungs- momente, die durch Güterleben und gesellschaftliche Ordnung für ihn entstehen, Glied der Gemeinschaft ist. Das heißt nun, insofern er mit
Bilde die fundamentalen Lebensverhältniſſe der Menſchheit über- haupt darſtellt. Das iſt die wahre Aufgabe und der Werth eines ſolchen Syſtems. Es handelt ſich bei ihm nicht um Formeln und De- finitionen, ſondern um eine Weltanſchauung; wer einmal mit der Ver- waltung ſich ernſtlich beſchäftigt hat, der wird bald erkennen, daß es keine Wiſſenſchaft gibt, die ihr an Reichthum und Bedeutung gleich käme. Die Verwaltungslehre iſt die Erfüllung der Selbſterkenntniß der menſchlichen Gemeinſchaft, mit der ganzen Fülle ihrer organiſchen Thatſachen, wie das Verwaltungsrecht die Fixirung der letzteren in einem beſtimmten gegebenen Momente iſt.
Allerdings aber hat dieſe Auffaſſung ihre Grenze. Denn nicht alles, was zum menſchlichen Leben gehört, gehört auch der Verwaltung. Ihr Gebiet umfaßt nur das, worin das Leben des Einzelnen und das der Gemeinſchaft ſich gegenſeitig beſtimmen und bedingen. Da wo der Einzelne ganz auf ſich angewieſen iſt, ſo wie da wo der Staat nur als individuelle Perſönlichkeit auftritt, gehört der Verwal- tung überhaupt nicht, alſo auch nicht der inneren Verwaltung. Daher erſcheint denn auch der Inhalt des Syſtems der letzteren ſo weſent- lich verſchieden von dem des perſönlichen Einzellebens; es kommen Kategorien in jener vor, die in dieſem nothwendig wegfallen, und um- gekehrt. Nur die obigen drei größten Gebiete bleiben; ſie ſind die Kategorien, in denen eben die Gemeinſchaft und der Einzelne ihr Leben gegenſeitig austauſchen; und wie nun dieſe große, die ganze Welt um- faſſende Gegenſeitigkeit ihre feſte Geſtalt gewinnt, das zeigt uns das poſitive Verwaltungsrecht jedes ſeiner einzelnen Theile.
Es iſt endlich klar, daß jene drei großen Gebiete nicht nach ein- ander da ſind, wie in der wiſſenſchaftlichen Darſtellung, ſondern gleich- zeitig und ſich gegenſeitig durchdringend fortleben. Aber die Theorie muß bei dem Einfachen beginnen. Das aber iſt die rein perſönliche Exiſtenz, welche mithin den erſten Theil bildet.
Erſter Theil. Die innere Verwaltung und das perſönliche Leben.
Das perſönliche Leben enthält nun für die innere Verwaltung den Menſchen, inſofern er als Einzelner, noch ohne alle die Entwicklungs- momente, die durch Güterleben und geſellſchaftliche Ordnung für ihn entſtehen, Glied der Gemeinſchaft iſt. Das heißt nun, inſofern er mit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0079"n="55"/>
Bilde die fundamentalen Lebensverhältniſſe <hirendition="#g">der Menſchheit über-<lb/>
haupt</hi> darſtellt. <hirendition="#g">Das</hi> iſt die wahre Aufgabe und der Werth eines<lb/>ſolchen Syſtems. Es handelt ſich bei ihm nicht um Formeln und De-<lb/>
finitionen, ſondern um eine Weltanſchauung; wer einmal mit der Ver-<lb/>
waltung ſich ernſtlich beſchäftigt hat, der wird bald erkennen, daß es<lb/><hirendition="#g">keine</hi> Wiſſenſchaft gibt, die ihr an Reichthum und Bedeutung gleich<lb/>
käme. Die Verwaltung<hirendition="#g">slehre</hi> iſt die Erfüllung der Selbſterkenntniß<lb/>
der menſchlichen Gemeinſchaft, mit der ganzen Fülle ihrer organiſchen<lb/>
Thatſachen, wie das Verwaltung<hirendition="#g">srecht</hi> die Fixirung der letzteren in<lb/>
einem beſtimmten gegebenen Momente iſt.</p><lb/><p>Allerdings aber hat dieſe Auffaſſung ihre Grenze. Denn nicht<lb/>
alles, was zum menſchlichen Leben gehört, gehört auch der Verwaltung.<lb/>
Ihr Gebiet umfaßt nur das, worin das Leben des Einzelnen und das<lb/>
der Gemeinſchaft ſich <hirendition="#g">gegenſeitig beſtimmen und bedingen</hi>. Da<lb/>
wo der Einzelne <hirendition="#g">ganz auf ſich</hi> angewieſen iſt, ſo wie da wo der<lb/>
Staat <hirendition="#g">nur</hi> als individuelle Perſönlichkeit auftritt, gehört der Verwal-<lb/>
tung überhaupt nicht, alſo auch nicht der inneren Verwaltung. <hirendition="#g">Daher</hi><lb/>
erſcheint denn auch der <hirendition="#g">Inhalt</hi> des Syſtems der letzteren ſo weſent-<lb/>
lich verſchieden von dem des perſönlichen Einzellebens; es kommen<lb/>
Kategorien in jener vor, die in dieſem nothwendig wegfallen, und um-<lb/>
gekehrt. Nur die obigen drei größten Gebiete bleiben; ſie ſind die<lb/>
Kategorien, in denen eben die Gemeinſchaft und der Einzelne ihr Leben<lb/>
gegenſeitig austauſchen; und wie nun dieſe große, die ganze Welt um-<lb/>
faſſende Gegenſeitigkeit ihre feſte Geſtalt gewinnt, das zeigt uns das<lb/>
poſitive Verwaltungsrecht jedes ſeiner einzelnen Theile.</p><lb/><p>Es iſt endlich klar, daß jene drei großen Gebiete nicht <hirendition="#g">nach</hi> ein-<lb/>
ander da ſind, wie in der wiſſenſchaftlichen Darſtellung, ſondern gleich-<lb/>
zeitig und ſich gegenſeitig durchdringend fortleben. Aber die Theorie<lb/>
muß bei dem Einfachen beginnen. Das aber iſt die rein perſönliche<lb/>
Exiſtenz, welche mithin den erſten Theil bildet.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Erſter Theil.</hi><lb/>
Die innere Verwaltung und das perſönliche Leben.</head><lb/><p>Das perſönliche Leben enthält nun für die innere Verwaltung den<lb/>
Menſchen, inſofern er als Einzelner, noch ohne alle die Entwicklungs-<lb/>
momente, die durch Güterleben und geſellſchaftliche Ordnung für ihn<lb/>
entſtehen, Glied der Gemeinſchaft iſt. Das heißt nun, inſofern er mit<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[55/0079]
Bilde die fundamentalen Lebensverhältniſſe der Menſchheit über-
haupt darſtellt. Das iſt die wahre Aufgabe und der Werth eines
ſolchen Syſtems. Es handelt ſich bei ihm nicht um Formeln und De-
finitionen, ſondern um eine Weltanſchauung; wer einmal mit der Ver-
waltung ſich ernſtlich beſchäftigt hat, der wird bald erkennen, daß es
keine Wiſſenſchaft gibt, die ihr an Reichthum und Bedeutung gleich
käme. Die Verwaltungslehre iſt die Erfüllung der Selbſterkenntniß
der menſchlichen Gemeinſchaft, mit der ganzen Fülle ihrer organiſchen
Thatſachen, wie das Verwaltungsrecht die Fixirung der letzteren in
einem beſtimmten gegebenen Momente iſt.
Allerdings aber hat dieſe Auffaſſung ihre Grenze. Denn nicht
alles, was zum menſchlichen Leben gehört, gehört auch der Verwaltung.
Ihr Gebiet umfaßt nur das, worin das Leben des Einzelnen und das
der Gemeinſchaft ſich gegenſeitig beſtimmen und bedingen. Da
wo der Einzelne ganz auf ſich angewieſen iſt, ſo wie da wo der
Staat nur als individuelle Perſönlichkeit auftritt, gehört der Verwal-
tung überhaupt nicht, alſo auch nicht der inneren Verwaltung. Daher
erſcheint denn auch der Inhalt des Syſtems der letzteren ſo weſent-
lich verſchieden von dem des perſönlichen Einzellebens; es kommen
Kategorien in jener vor, die in dieſem nothwendig wegfallen, und um-
gekehrt. Nur die obigen drei größten Gebiete bleiben; ſie ſind die
Kategorien, in denen eben die Gemeinſchaft und der Einzelne ihr Leben
gegenſeitig austauſchen; und wie nun dieſe große, die ganze Welt um-
faſſende Gegenſeitigkeit ihre feſte Geſtalt gewinnt, das zeigt uns das
poſitive Verwaltungsrecht jedes ſeiner einzelnen Theile.
Es iſt endlich klar, daß jene drei großen Gebiete nicht nach ein-
ander da ſind, wie in der wiſſenſchaftlichen Darſtellung, ſondern gleich-
zeitig und ſich gegenſeitig durchdringend fortleben. Aber die Theorie
muß bei dem Einfachen beginnen. Das aber iſt die rein perſönliche
Exiſtenz, welche mithin den erſten Theil bildet.
Erſter Theil.
Die innere Verwaltung und das perſönliche Leben.
Das perſönliche Leben enthält nun für die innere Verwaltung den
Menſchen, inſofern er als Einzelner, noch ohne alle die Entwicklungs-
momente, die durch Güterleben und geſellſchaftliche Ordnung für ihn
entſtehen, Glied der Gemeinſchaft iſt. Das heißt nun, inſofern er mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/79>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.