Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

der Erlaubniß des Verbotes und der scharfen Ueberwachung. Die ver-
fassungsmäßige Epoche, nach Ueberwindung des ersten Eindruckes, daß
die Vereine absolut frei sein sollten, erkennt jetzt in ihnen Organe
des lebendigen, selbstthätigen Staatsbürgerthums und der Vollziehung,
und aus diesem Gesichtspunkte entsteht das neue öffentliche Vereins-
recht unserer Zeit.

Dieß öffentliche Vereinsrecht ist nun nichts anderes, als die An-
wendung der Principien der juristischen Persönlichkeit, der Autonomie
und der Oberaufsicht auf das Vereinswesen.

Demnach ist jeder Verein vermöge seiner der Regierung anzuzei-
genden Constituirung eine juristische Persönlichkeit. Der Genehmigung
bedürfen nur die Vereine, welche ein besonderes Recht der vollziehenden
Gewalt oder eine Unterstützung des Staats nöthig haben (Eisenbahnen,
Banken mit Notenausgabe).

Die Regierung hat das Recht, die Thätigkeit der Vereine zu beob-
achten, dieselben zu sistiren und die Vereine zu suspendiren. Auflösungen
sollen nur vom Gericht ausgesprochen werden.

Jeder Verein, als Organ des öffentlichen Lebens, muß als juri-
stische Persönlichkeit dem Gerichte, in seiner Thätigkeit dem Publikum
bekannt sein. Daher sind geheime Vereine an und für sich ver-
boten. Aus dem ersten Satze folgt, daß jeder Verein sich und seine
Organe dem Gerichte anzuzeigen hat; aus dem zweiten folgt, daß
jeder Verein seine Rechenschaftsberichte veröffentlichen muß. Ge-
nehmigung
der Beschlüsse, selbst bei Statutenänderungen, tritt nur
da ein, wo die Genehmigung der Constituirung aus den obigen Grün-
den nothwendig ward.

Das innere Vereinsrecht entsteht seinerseits durch die -- in der
bisherigen Gesetzgebung höchst mangelhafte -- Scheidung der drei Or-
gane und ihrer Funktion. Dabei ist festzuhalten, daß es die große
Aufgabe der Aktiengesellschaften war und bleiben wird, vermöge des
wirthschaftlichen Interesses der einzelnen Mitglieder, das nur bei ihnen
recht lebendig ist, eine strenge und klare Formulirung des inneren
Vereinsrechtes zu erzeugen.

Das Präsidium vertritt die Einheit. Zunächst nach außen,
indem seine Zustimmung zu jedem Akte des Vereins erforderlich ist,
um als Vereinsakt zu gelten. Nach innen hat das Präsidium die
Statuten und das staatliche Recht gegenüber den Organen des Vereins
zur Geltung zu bringen und kann daher die Beschlüsse sistiren. Dafür
ist es aber nicht bloß verantwortlich, sondern auch haftbar.

Die Generalversammlung ist der beschließende Körper. Sie
ist nothwendig. Ihre Beschlüsse sind gegenüber den übrigen Organen

der Erlaubniß des Verbotes und der ſcharfen Ueberwachung. Die ver-
faſſungsmäßige Epoche, nach Ueberwindung des erſten Eindruckes, daß
die Vereine abſolut frei ſein ſollten, erkennt jetzt in ihnen Organe
des lebendigen, ſelbſtthätigen Staatsbürgerthums und der Vollziehung,
und aus dieſem Geſichtspunkte entſteht das neue öffentliche Vereins-
recht unſerer Zeit.

Dieß öffentliche Vereinsrecht iſt nun nichts anderes, als die An-
wendung der Principien der juriſtiſchen Perſönlichkeit, der Autonomie
und der Oberaufſicht auf das Vereinsweſen.

Demnach iſt jeder Verein vermöge ſeiner der Regierung anzuzei-
genden Conſtituirung eine juriſtiſche Perſönlichkeit. Der Genehmigung
bedürfen nur die Vereine, welche ein beſonderes Recht der vollziehenden
Gewalt oder eine Unterſtützung des Staats nöthig haben (Eiſenbahnen,
Banken mit Notenausgabe).

Die Regierung hat das Recht, die Thätigkeit der Vereine zu beob-
achten, dieſelben zu ſiſtiren und die Vereine zu ſuſpendiren. Auflöſungen
ſollen nur vom Gericht ausgeſprochen werden.

Jeder Verein, als Organ des öffentlichen Lebens, muß als juri-
ſtiſche Perſönlichkeit dem Gerichte, in ſeiner Thätigkeit dem Publikum
bekannt ſein. Daher ſind geheime Vereine an und für ſich ver-
boten. Aus dem erſten Satze folgt, daß jeder Verein ſich und ſeine
Organe dem Gerichte anzuzeigen hat; aus dem zweiten folgt, daß
jeder Verein ſeine Rechenſchaftsberichte veröffentlichen muß. Ge-
nehmigung
der Beſchlüſſe, ſelbſt bei Statutenänderungen, tritt nur
da ein, wo die Genehmigung der Conſtituirung aus den obigen Grün-
den nothwendig ward.

Das innere Vereinsrecht entſteht ſeinerſeits durch die — in der
bisherigen Geſetzgebung höchſt mangelhafte — Scheidung der drei Or-
gane und ihrer Funktion. Dabei iſt feſtzuhalten, daß es die große
Aufgabe der Aktiengeſellſchaften war und bleiben wird, vermöge des
wirthſchaftlichen Intereſſes der einzelnen Mitglieder, das nur bei ihnen
recht lebendig iſt, eine ſtrenge und klare Formulirung des inneren
Vereinsrechtes zu erzeugen.

Das Präſidium vertritt die Einheit. Zunächſt nach außen,
indem ſeine Zuſtimmung zu jedem Akte des Vereins erforderlich iſt,
um als Vereinsakt zu gelten. Nach innen hat das Präſidium die
Statuten und das ſtaatliche Recht gegenüber den Organen des Vereins
zur Geltung zu bringen und kann daher die Beſchlüſſe ſiſtiren. Dafür
iſt es aber nicht bloß verantwortlich, ſondern auch haftbar.

Die Generalverſammlung iſt der beſchließende Körper. Sie
iſt nothwendig. Ihre Beſchlüſſe ſind gegenüber den übrigen Organen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0062" n="38"/>
der Erlaubniß des Verbotes und der &#x017F;charfen Ueberwachung. Die ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ungsmäßige Epoche, nach Ueberwindung des er&#x017F;ten Eindruckes, daß<lb/>
die Vereine <hi rendition="#g">ab&#x017F;olut</hi> frei &#x017F;ein &#x017F;ollten, erkennt jetzt in ihnen Organe<lb/>
des lebendigen, &#x017F;elb&#x017F;tthätigen Staatsbürgerthums und der Vollziehung,<lb/>
und aus <hi rendition="#g">die&#x017F;em</hi> Ge&#x017F;ichtspunkte ent&#x017F;teht das neue öffentliche Vereins-<lb/>
recht un&#x017F;erer Zeit.</p><lb/>
                <p>Dieß öffentliche Vereinsrecht i&#x017F;t nun nichts anderes, als die An-<lb/>
wendung der Principien der juri&#x017F;ti&#x017F;chen Per&#x017F;önlichkeit, der Autonomie<lb/>
und der Oberauf&#x017F;icht auf das Vereinswe&#x017F;en.</p><lb/>
                <p>Demnach i&#x017F;t jeder Verein vermöge &#x017F;einer der Regierung anzuzei-<lb/>
genden Con&#x017F;tituirung eine juri&#x017F;ti&#x017F;che Per&#x017F;önlichkeit. Der Genehmigung<lb/>
bedürfen nur die Vereine, welche ein be&#x017F;onderes Recht der vollziehenden<lb/>
Gewalt oder eine Unter&#x017F;tützung des Staats nöthig haben (Ei&#x017F;enbahnen,<lb/>
Banken mit Notenausgabe).</p><lb/>
                <p>Die Regierung hat das Recht, die Thätigkeit der Vereine zu beob-<lb/>
achten, die&#x017F;elben zu &#x017F;i&#x017F;tiren und die Vereine zu &#x017F;u&#x017F;pendiren. <hi rendition="#g">Auflö&#x017F;ungen</hi><lb/>
&#x017F;ollen nur vom Gericht ausge&#x017F;prochen werden.</p><lb/>
                <p>Jeder Verein, als Organ des öffentlichen Lebens, muß als juri-<lb/>
&#x017F;ti&#x017F;che Per&#x017F;önlichkeit dem Gerichte, in &#x017F;einer Thätigkeit dem Publikum<lb/><hi rendition="#g">bekannt</hi> &#x017F;ein. Daher &#x017F;ind <hi rendition="#g">geheime</hi> Vereine an und für &#x017F;ich ver-<lb/>
boten. Aus dem er&#x017F;ten Satze folgt, daß jeder Verein &#x017F;ich und &#x017F;eine<lb/>
Organe dem <hi rendition="#g">Gerichte</hi> anzuzeigen hat; aus dem zweiten folgt, daß<lb/>
jeder Verein &#x017F;eine Rechen&#x017F;chaftsberichte <hi rendition="#g">veröffentlichen</hi> muß. <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
nehmigung</hi> der Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;elb&#x017F;t bei Statutenänderungen, tritt nur<lb/>
da ein, wo die Genehmigung der Con&#x017F;tituirung aus den obigen Grün-<lb/>
den nothwendig ward.</p><lb/>
                <p>Das <hi rendition="#g">innere</hi> Vereinsrecht ent&#x017F;teht &#x017F;einer&#x017F;eits durch die &#x2014; in der<lb/>
bisherigen Ge&#x017F;etzgebung höch&#x017F;t mangelhafte &#x2014; Scheidung der drei Or-<lb/>
gane und ihrer Funktion. Dabei i&#x017F;t fe&#x017F;tzuhalten, daß es die große<lb/>
Aufgabe der Aktienge&#x017F;ell&#x017F;chaften war und bleiben wird, vermöge des<lb/>
wirth&#x017F;chaftlichen Intere&#x017F;&#x017F;es der einzelnen Mitglieder, das nur bei ihnen<lb/>
recht lebendig i&#x017F;t, eine &#x017F;trenge und klare Formulirung des inneren<lb/>
Vereinsrechtes zu erzeugen.</p><lb/>
                <p>Das Prä&#x017F;idium vertritt die <hi rendition="#g">Einheit</hi>. Zunäch&#x017F;t nach außen,<lb/>
indem &#x017F;eine Zu&#x017F;timmung zu jedem Akte des Vereins erforderlich i&#x017F;t,<lb/>
um als Vereinsakt zu gelten. Nach innen hat das Prä&#x017F;idium die<lb/>
Statuten <hi rendition="#g">und</hi> das &#x017F;taatliche Recht gegenüber den Organen des Vereins<lb/>
zur Geltung zu bringen und kann daher die Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e &#x017F;i&#x017F;tiren. Dafür<lb/>
i&#x017F;t es aber nicht bloß verantwortlich, &#x017F;ondern auch haftbar.</p><lb/>
                <p>Die <hi rendition="#g">Generalver&#x017F;ammlung</hi> i&#x017F;t der be&#x017F;chließende Körper. Sie<lb/>
i&#x017F;t nothwendig. Ihre Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ind gegenüber den übrigen Organen<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0062] der Erlaubniß des Verbotes und der ſcharfen Ueberwachung. Die ver- faſſungsmäßige Epoche, nach Ueberwindung des erſten Eindruckes, daß die Vereine abſolut frei ſein ſollten, erkennt jetzt in ihnen Organe des lebendigen, ſelbſtthätigen Staatsbürgerthums und der Vollziehung, und aus dieſem Geſichtspunkte entſteht das neue öffentliche Vereins- recht unſerer Zeit. Dieß öffentliche Vereinsrecht iſt nun nichts anderes, als die An- wendung der Principien der juriſtiſchen Perſönlichkeit, der Autonomie und der Oberaufſicht auf das Vereinsweſen. Demnach iſt jeder Verein vermöge ſeiner der Regierung anzuzei- genden Conſtituirung eine juriſtiſche Perſönlichkeit. Der Genehmigung bedürfen nur die Vereine, welche ein beſonderes Recht der vollziehenden Gewalt oder eine Unterſtützung des Staats nöthig haben (Eiſenbahnen, Banken mit Notenausgabe). Die Regierung hat das Recht, die Thätigkeit der Vereine zu beob- achten, dieſelben zu ſiſtiren und die Vereine zu ſuſpendiren. Auflöſungen ſollen nur vom Gericht ausgeſprochen werden. Jeder Verein, als Organ des öffentlichen Lebens, muß als juri- ſtiſche Perſönlichkeit dem Gerichte, in ſeiner Thätigkeit dem Publikum bekannt ſein. Daher ſind geheime Vereine an und für ſich ver- boten. Aus dem erſten Satze folgt, daß jeder Verein ſich und ſeine Organe dem Gerichte anzuzeigen hat; aus dem zweiten folgt, daß jeder Verein ſeine Rechenſchaftsberichte veröffentlichen muß. Ge- nehmigung der Beſchlüſſe, ſelbſt bei Statutenänderungen, tritt nur da ein, wo die Genehmigung der Conſtituirung aus den obigen Grün- den nothwendig ward. Das innere Vereinsrecht entſteht ſeinerſeits durch die — in der bisherigen Geſetzgebung höchſt mangelhafte — Scheidung der drei Or- gane und ihrer Funktion. Dabei iſt feſtzuhalten, daß es die große Aufgabe der Aktiengeſellſchaften war und bleiben wird, vermöge des wirthſchaftlichen Intereſſes der einzelnen Mitglieder, das nur bei ihnen recht lebendig iſt, eine ſtrenge und klare Formulirung des inneren Vereinsrechtes zu erzeugen. Das Präſidium vertritt die Einheit. Zunächſt nach außen, indem ſeine Zuſtimmung zu jedem Akte des Vereins erforderlich iſt, um als Vereinsakt zu gelten. Nach innen hat das Präſidium die Statuten und das ſtaatliche Recht gegenüber den Organen des Vereins zur Geltung zu bringen und kann daher die Beſchlüſſe ſiſtiren. Dafür iſt es aber nicht bloß verantwortlich, ſondern auch haftbar. Die Generalverſammlung iſt der beſchließende Körper. Sie iſt nothwendig. Ihre Beſchlüſſe ſind gegenüber den übrigen Organen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/62
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/62>, abgerufen am 24.11.2024.