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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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etwa das Recht des Einzelnen verletzen könnte; hierfür tritt vielmehr
das innere Selbstverwaltungsrecht ein. Sie ist die rechtliche Conse-
quenz des Satzes, daß jede Selbstverwaltung stets ein organisches
Glied des Ganzen bleibt; der Inhalt ihres Rechts besteht demnach
darin, die Harmonie zwischen der Autonomie in Verfassung und Ver-
waltung der Selbstverwaltungskörper mit den Gesetzen der Verwaltung
des Staats herzustellen. Sie hat daher zuerst zu sorgen, daß die
Competenz nicht überschritten werde; sie hat zu dem Ende das Recht
der Kenntnißnahme von den Beschlüssen und Vollziehungen der Selbst-
verwaltung; sie hat das Recht der Sistirung und der Nichtigkeits-
erklärung der Beschlüsse und der Auflösung der Organe, stets unter
der Haftung der verordnenden Gewalt, und zwar nach den Regeln der
Haftung bei den Verordnungen. Hier sind nun Begriffe und Recht
noch sehr im Werden und sehr verschieden in den einzelnen Ländern;
es ist ein weites Gebiet und nur durch eingehende Studien an der
Hand fester Begriffe zu bewältigen.

B. Das innere Rechtssystem der Selbstverwaltung ist an sich
sehr einfach, in der Wirklichkeit aber höchst unausgebildet. Denn fast
allenthalben fehlt seine Grundlage, die klare und bewußte Scheidung
der drei Organismen, namentlich der vollziehenden von der beschließen-
den Gewalt in den Gemeinden.

Das Princip dieses ganzen Rechtssystems ist kein anderes, als die
Anwendung der Grundsätze von Verantwortlichkeit der Vollzugsorgane
gegenüber den beschließenden (Magistrat gegenüber der Gemeindever-
tretung) und der Haftung derselben für jeden einzelnen Akt, mit dem
sie das [bestehe]nde Recht von Gesetz oder Verordnung verletzen. Es gibt
daher ein [Beschw]erderecht gegen die ganze Gemeinde so wie gegen die
einzelnen [O]rgane eben so können Gemeinde und Gemeindeorgane vor
dem ordentlichen Gerichte gellagt werden. Um das zur vollen Ent-
wicklung zu bringen, bedarf es allerdings statt der Ortsgemeinde der
Verwaltungsgemeinde, denn nur diese ist fähig, die einzelnen Organe
bei sich zu entwickeln und ihr besonderes Recht festzustellen. Hier liegt
der Fortschritt auf diesem hochwichtigen Gebiete.

Natürlich nun sind alle diese Grundsätze je nach den bestehenden
Gesetzen über Landschaft, Gemeinde und Corporationen sehr verschieden
mehr oder weniger im Geiste einer freieren Bewegung durchgeführt,
und mehr oder weniger je nach den einzelnen Ländern noch mit den
historischen Grundsätzen des Geschlechter- und ständischen Rechts durch-
flochten. Die Erklärung des Bestehenden aus diesen Grundlagen ist die
Geschichte der Selbstverwaltung.

etwa das Recht des Einzelnen verletzen könnte; hierfür tritt vielmehr
das innere Selbſtverwaltungsrecht ein. Sie iſt die rechtliche Conſe-
quenz des Satzes, daß jede Selbſtverwaltung ſtets ein organiſches
Glied des Ganzen bleibt; der Inhalt ihres Rechts beſteht demnach
darin, die Harmonie zwiſchen der Autonomie in Verfaſſung und Ver-
waltung der Selbſtverwaltungskörper mit den Geſetzen der Verwaltung
des Staats herzuſtellen. Sie hat daher zuerſt zu ſorgen, daß die
Competenz nicht überſchritten werde; ſie hat zu dem Ende das Recht
der Kenntnißnahme von den Beſchlüſſen und Vollziehungen der Selbſt-
verwaltung; ſie hat das Recht der Siſtirung und der Nichtigkeits-
erklärung der Beſchlüſſe und der Auflöſung der Organe, ſtets unter
der Haftung der verordnenden Gewalt, und zwar nach den Regeln der
Haftung bei den Verordnungen. Hier ſind nun Begriffe und Recht
noch ſehr im Werden und ſehr verſchieden in den einzelnen Ländern;
es iſt ein weites Gebiet und nur durch eingehende Studien an der
Hand feſter Begriffe zu bewältigen.

B. Das innere Rechtsſyſtem der Selbſtverwaltung iſt an ſich
ſehr einfach, in der Wirklichkeit aber höchſt unausgebildet. Denn faſt
allenthalben fehlt ſeine Grundlage, die klare und bewußte Scheidung
der drei Organismen, namentlich der vollziehenden von der beſchließen-
den Gewalt in den Gemeinden.

Das Princip dieſes ganzen Rechtsſyſtems iſt kein anderes, als die
Anwendung der Grundſätze von Verantwortlichkeit der Vollzugsorgane
gegenüber den beſchließenden (Magiſtrat gegenüber der Gemeindever-
tretung) und der Haftung derſelben für jeden einzelnen Akt, mit dem
ſie das [beſtehe]nde Recht von Geſetz oder Verordnung verletzen. Es gibt
daher ein [Beschw]erderecht gegen die ganze Gemeinde ſo wie gegen die
einzelnen [O]rgane eben ſo können Gemeinde und Gemeindeorgane vor
dem ordentlichen Gerichte gellagt werden. Um das zur vollen Ent-
wicklung zu bringen, bedarf es allerdings ſtatt der Ortsgemeinde der
Verwaltungsgemeinde, denn nur dieſe iſt fähig, die einzelnen Organe
bei ſich zu entwickeln und ihr beſonderes Recht feſtzuſtellen. Hier liegt
der Fortſchritt auf dieſem hochwichtigen Gebiete.

Natürlich nun ſind alle dieſe Grundſätze je nach den beſtehenden
Geſetzen über Landſchaft, Gemeinde und Corporationen ſehr verſchieden
mehr oder weniger im Geiſte einer freieren Bewegung durchgeführt,
und mehr oder weniger je nach den einzelnen Ländern noch mit den
hiſtoriſchen Grundſätzen des Geſchlechter- und ſtändiſchen Rechts durch-
flochten. Die Erklärung des Beſtehenden aus dieſen Grundlagen iſt die
Geſchichte der Selbſtverwaltung.

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[31/0055] etwa das Recht des Einzelnen verletzen könnte; hierfür tritt vielmehr das innere Selbſtverwaltungsrecht ein. Sie iſt die rechtliche Conſe- quenz des Satzes, daß jede Selbſtverwaltung ſtets ein organiſches Glied des Ganzen bleibt; der Inhalt ihres Rechts beſteht demnach darin, die Harmonie zwiſchen der Autonomie in Verfaſſung und Ver- waltung der Selbſtverwaltungskörper mit den Geſetzen der Verwaltung des Staats herzuſtellen. Sie hat daher zuerſt zu ſorgen, daß die Competenz nicht überſchritten werde; ſie hat zu dem Ende das Recht der Kenntnißnahme von den Beſchlüſſen und Vollziehungen der Selbſt- verwaltung; ſie hat das Recht der Siſtirung und der Nichtigkeits- erklärung der Beſchlüſſe und der Auflöſung der Organe, ſtets unter der Haftung der verordnenden Gewalt, und zwar nach den Regeln der Haftung bei den Verordnungen. Hier ſind nun Begriffe und Recht noch ſehr im Werden und ſehr verſchieden in den einzelnen Ländern; es iſt ein weites Gebiet und nur durch eingehende Studien an der Hand feſter Begriffe zu bewältigen. B. Das innere Rechtsſyſtem der Selbſtverwaltung iſt an ſich ſehr einfach, in der Wirklichkeit aber höchſt unausgebildet. Denn faſt allenthalben fehlt ſeine Grundlage, die klare und bewußte Scheidung der drei Organismen, namentlich der vollziehenden von der beſchließen- den Gewalt in den Gemeinden. Das Princip dieſes ganzen Rechtsſyſtems iſt kein anderes, als die Anwendung der Grundſätze von Verantwortlichkeit der Vollzugsorgane gegenüber den beſchließenden (Magiſtrat gegenüber der Gemeindever- tretung) und der Haftung derſelben für jeden einzelnen Akt, mit dem ſie das beſtehende Recht von Geſetz oder Verordnung verletzen. Es gibt daher ein Beschwerderecht gegen die ganze Gemeinde ſo wie gegen die einzelnen Organe eben ſo können Gemeinde und Gemeindeorgane vor dem ordentlichen Gerichte gellagt werden. Um das zur vollen Ent- wicklung zu bringen, bedarf es allerdings ſtatt der Ortsgemeinde der Verwaltungsgemeinde, denn nur dieſe iſt fähig, die einzelnen Organe bei ſich zu entwickeln und ihr beſonderes Recht feſtzuſtellen. Hier liegt der Fortſchritt auf dieſem hochwichtigen Gebiete. Natürlich nun ſind alle dieſe Grundſätze je nach den beſtehenden Geſetzen über Landſchaft, Gemeinde und Corporationen ſehr verſchieden mehr oder weniger im Geiſte einer freieren Bewegung durchgeführt, und mehr oder weniger je nach den einzelnen Ländern noch mit den hiſtoriſchen Grundſätzen des Geſchlechter- und ſtändiſchen Rechts durch- flochten. Die Erklärung des Beſtehenden aus dieſen Grundlagen iſt die Geſchichte der Selbſtverwaltung.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/55>, abgerufen am 25.11.2024.