Die ministerielle Haftung tritt da ein, wo eine in der Competenz liegende Vollziehung durch die Verordnung der Minister entweder das bestimmte Gesetz verletzt oder dasselbe nicht vollzogen hat. Die persönliche Haftung derselben tritt bei allen denjenigen einzelnen Thätigkeiten derselben ein, welche nicht zur Competenz der Minister ge- hören. Dasselbe gilt von der Haftung der Behörden. Nur haben die- selben zugleich der höheren Behörde und dem Einzelnen dafür zu haften, daß ihre Verfügungen und Zwangshandlungen einerseits mit dem Wortlaute der Gesetze, andererseits mit dem der Verordnungen übereinstimmen, während persönliche Haftung nur mit solchen Hand- lungen der Behörde zu thun hat, welche sich nicht auf die amt- liche Competenz beziehen. Die Verwirklichung der Haftung geschieht durch die Klage. Es steht daher der Volksvertretung gegen die Mini- sterien, und jedem Einzelnen gegen jede Behörde das Klagerecht in jedem Falle zu, wo dieselben ein gesetzliches Recht durch Verordnung, Verfügung und Zwang verletzen. Das Organ, welches über die Klage entscheidet, ist dem Principe nach das Gericht; bei der Klage gegen die Minister das Staatsgericht, bei der Klage gegen die Behörde das ordentliche Gericht. Das Verfahren ist im ersten Falle beson- ders normirt, im zweiten Falle gilt das gewöhnliche Gerichtsverfahren wie in jedem andern Proceß.
So einfach nun diese Grundsätze an sich sind, so langdauernd und ernst ist der Kampf, der sie zur Geltung bringt. Die historische Ent- wicklung des Staatenlebens hat es mit sich gebracht, daß von einer Ministerverantwortlichkeit und Haftung bis zu unserem Jahrhundert nur in England die Rede sein konnte, während der Gedanke einer ge- richtlichen Haftung der Behörde auch bis zur Gegenwart nirgends mit Ausnahme Englands zur Geltung gelangt ist. Der Charakter des jetzt bestehenden rechtlichen Zustandes ist daher die Verschmelzung der Verantwortlichkeit und des Klagerechts, welche bei den Ministern in Unklarheit über den Begriff der Ministerverantwortlichkeit, die zugleich die unklar gedachte Haftung derselben enthält, bei den Behörden in dem Princip der Ausschließung des Klagerechts durch das Beschwerde- recht besteht, so weit es sich um amtliche Funktionen handelt. Die ersten, noch unfertigen Vermittlungsversuche für beide Auffassungen ist die Einsetzung von "Verwaltungsgerichten" nach dem Muster der Conseils de Prefecture; allein man hat gewiß Recht, sie nur als ein Uebergangsstadium zu betrachten. Das Wesen und die Würde des Gerichts fordern eben so gut als das Recht, daß das Gericht als solches entscheide. Doch gehört ein hoher Grad der Entwicklung des staats- bürgerlichen Lebens dazu, um diesen Gedanken zur Geltung zu bringen.
Die miniſterielle Haftung tritt da ein, wo eine in der Competenz liegende Vollziehung durch die Verordnung der Miniſter entweder das beſtimmte Geſetz verletzt oder daſſelbe nicht vollzogen hat. Die perſönliche Haftung derſelben tritt bei allen denjenigen einzelnen Thätigkeiten derſelben ein, welche nicht zur Competenz der Miniſter ge- hören. Daſſelbe gilt von der Haftung der Behörden. Nur haben die- ſelben zugleich der höheren Behörde und dem Einzelnen dafür zu haften, daß ihre Verfügungen und Zwangshandlungen einerſeits mit dem Wortlaute der Geſetze, andererſeits mit dem der Verordnungen übereinſtimmen, während perſönliche Haftung nur mit ſolchen Hand- lungen der Behörde zu thun hat, welche ſich nicht auf die amt- liche Competenz beziehen. Die Verwirklichung der Haftung geſchieht durch die Klage. Es ſteht daher der Volksvertretung gegen die Mini- ſterien, und jedem Einzelnen gegen jede Behörde das Klagerecht in jedem Falle zu, wo dieſelben ein geſetzliches Recht durch Verordnung, Verfügung und Zwang verletzen. Das Organ, welches über die Klage entſcheidet, iſt dem Principe nach das Gericht; bei der Klage gegen die Miniſter das Staatsgericht, bei der Klage gegen die Behörde das ordentliche Gericht. Das Verfahren iſt im erſten Falle beſon- ders normirt, im zweiten Falle gilt das gewöhnliche Gerichtsverfahren wie in jedem andern Proceß.
So einfach nun dieſe Grundſätze an ſich ſind, ſo langdauernd und ernſt iſt der Kampf, der ſie zur Geltung bringt. Die hiſtoriſche Ent- wicklung des Staatenlebens hat es mit ſich gebracht, daß von einer Miniſterverantwortlichkeit und Haftung bis zu unſerem Jahrhundert nur in England die Rede ſein konnte, während der Gedanke einer ge- richtlichen Haftung der Behörde auch bis zur Gegenwart nirgends mit Ausnahme Englands zur Geltung gelangt iſt. Der Charakter des jetzt beſtehenden rechtlichen Zuſtandes iſt daher die Verſchmelzung der Verantwortlichkeit und des Klagerechts, welche bei den Miniſtern in Unklarheit über den Begriff der Miniſterverantwortlichkeit, die zugleich die unklar gedachte Haftung derſelben enthält, bei den Behörden in dem Princip der Ausſchließung des Klagerechts durch das Beſchwerde- recht beſteht, ſo weit es ſich um amtliche Funktionen handelt. Die erſten, noch unfertigen Vermittlungsverſuche für beide Auffaſſungen iſt die Einſetzung von „Verwaltungsgerichten“ nach dem Muſter der Conseils de Préfecture; allein man hat gewiß Recht, ſie nur als ein Uebergangsſtadium zu betrachten. Das Weſen und die Würde des Gerichts fordern eben ſo gut als das Recht, daß das Gericht als ſolches entſcheide. Doch gehört ein hoher Grad der Entwicklung des ſtaats- bürgerlichen Lebens dazu, um dieſen Gedanken zur Geltung zu bringen.
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Die miniſterielle Haftung tritt da ein, wo eine in der Competenz
liegende Vollziehung durch die Verordnung der Miniſter entweder das
beſtimmte Geſetz verletzt oder daſſelbe nicht vollzogen hat. Die
perſönliche Haftung derſelben tritt bei allen denjenigen einzelnen
Thätigkeiten derſelben ein, welche nicht zur Competenz der Miniſter ge-
hören. Daſſelbe gilt von der Haftung der Behörden. Nur haben die-
ſelben zugleich der höheren Behörde und dem Einzelnen dafür zu
haften, daß ihre Verfügungen und Zwangshandlungen einerſeits mit
dem Wortlaute der Geſetze, andererſeits mit dem der Verordnungen
übereinſtimmen, während perſönliche Haftung nur mit ſolchen Hand-
lungen der Behörde zu thun hat, welche ſich nicht auf die amt-
liche Competenz beziehen. Die Verwirklichung der Haftung geſchieht
durch die Klage. Es ſteht daher der Volksvertretung gegen die Mini-
ſterien, und jedem Einzelnen gegen jede Behörde das Klagerecht in
jedem Falle zu, wo dieſelben ein geſetzliches Recht durch Verordnung,
Verfügung und Zwang verletzen. Das Organ, welches über die Klage
entſcheidet, iſt dem Principe nach das Gericht; bei der Klage gegen
die Miniſter das Staatsgericht, bei der Klage gegen die Behörde
das ordentliche Gericht. Das Verfahren iſt im erſten Falle beſon-
ders normirt, im zweiten Falle gilt das gewöhnliche Gerichtsverfahren
wie in jedem andern Proceß.
So einfach nun dieſe Grundſätze an ſich ſind, ſo langdauernd und
ernſt iſt der Kampf, der ſie zur Geltung bringt. Die hiſtoriſche Ent-
wicklung des Staatenlebens hat es mit ſich gebracht, daß von einer
Miniſterverantwortlichkeit und Haftung bis zu unſerem Jahrhundert
nur in England die Rede ſein konnte, während der Gedanke einer ge-
richtlichen Haftung der Behörde auch bis zur Gegenwart nirgends mit
Ausnahme Englands zur Geltung gelangt iſt. Der Charakter des jetzt
beſtehenden rechtlichen Zuſtandes iſt daher die Verſchmelzung der
Verantwortlichkeit und des Klagerechts, welche bei den Miniſtern in
Unklarheit über den Begriff der Miniſterverantwortlichkeit, die zugleich
die unklar gedachte Haftung derſelben enthält, bei den Behörden in
dem Princip der Ausſchließung des Klagerechts durch das Beſchwerde-
recht beſteht, ſo weit es ſich um amtliche Funktionen handelt. Die
erſten, noch unfertigen Vermittlungsverſuche für beide Auffaſſungen
iſt die Einſetzung von „Verwaltungsgerichten“ nach dem Muſter der
Conseils de Préfecture; allein man hat gewiß Recht, ſie nur als ein
Uebergangsſtadium zu betrachten. Das Weſen und die Würde des Gerichts
fordern eben ſo gut als das Recht, daß das Gericht als ſolches
entſcheide. Doch gehört ein hoher Grad der Entwicklung des ſtaats-
bürgerlichen Lebens dazu, um dieſen Gedanken zur Geltung zu bringen.
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/48>, abgerufen am 24.11.2024.
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