Gebiet wirft. Ein faßbares Resultat liefern sie dem Leben nicht; aber der Gedanke ist erwacht und weiter arbeitend gelangt er zu seinem zweiten, weit ernsteren Ergebniß.
Das nämlich wird klar in dieser Epoche, daß es unmöglich ist, von dem Capital zu verlangen, es solle sich selbst freiwillig seiner herrschenden Stellung in der staatsbürgerlichen Gesellschaft entäußern, und zu dem Ende sich selber aufgeben. Soll daher etwas für die auf- steigende Bewegung der niederen capitallosen Classe geschehen, so wird das nicht durch die rohe Gewalt des Communismus und nicht durch die schönen Theorien des Socialismus geschehen, sondern es kann nur vollzogen werden durch eine dritte Potenz, welche ihrerseits über Ca- pital und Arbeit, aber doch nicht über der höchsten Idee der gesell- schaftlichen Entwicklung steht. Diese Potenz ist der Staat. Und jetzt bereits in der Mitte der vierziger Jahre, beginnt jene Bewegung der arbeitenden Classen, welche die Macht und selbst die Idee des Staats zu Dienern der aufsteigenden Classenbewegung, oder genauer der In- teressen der capitallosen Arbeit machen wollen. Es ist durchaus noth- wendig, die hier eintretenden Erscheinungen zu ordnen, um nicht in Allgemeinheiten zu verfallen. Dieser Staat, dem jenes gesellschaftliche Interesse sich unterwerfen wollte, war und blieb ein doppelter. Er hatte und hat eine Verfassung und eine Verwaltung. Man kann sich daher nicht an den Staat im Allgemeinen, sondern man muß sich an seine Verfassung oder an seine Verwaltung wenden, wenn man will, daß er thätig sein soll. So groß ist die Macht dieses organischen Ver- hältnisses, daß dieß auch da geschieht, wo man sich jenes Unterschiedes nicht klar bewußt wird. Auch die gesellschaftliche Bewegung entwickelte dem entsprechend sofort die zwei Richtungen, die in Namen und In- halt jedem bekannt sind. Die eine Forderung derselben richtete sich auf die Verfassung; ihr Princip war die Vertretung der capitallosen Arbeit in der Gesetzgebung, und damit die staatsrechtliche Möglichkeit, den Willen des Staats den Interessen der niederen Classe dienstbar zu machen; ihr Programm war daher die Wahlreform und zwar auf Grundlage des von jedem Capitalbesitz unabhängigen, das ist allgemeinen Stimmrechts. Die zweite Forderung, gleichzeitig ent- stehend, richtete sich dagegen auf die Verwaltung; ihr Princip war das Eintreten des Staats für die capitallose Arbeit; ihr erstes Pro- gramm war der Versuch, das "Recht auf Arbeit" zu einem verfassungs- mäßigen Rechte der Arbeiter zu machen; ihr zweites dagegen die Her- stellung von solchen Staatsanstalten, durch welche der Staat dem Arbeiter ein Capital zur Verfügung stellen solle; ihr Programm war das der Staatshülfe. In den verschiedensten Formen tritt diese
Gebiet wirft. Ein faßbares Reſultat liefern ſie dem Leben nicht; aber der Gedanke iſt erwacht und weiter arbeitend gelangt er zu ſeinem zweiten, weit ernſteren Ergebniß.
Das nämlich wird klar in dieſer Epoche, daß es unmöglich iſt, von dem Capital zu verlangen, es ſolle ſich ſelbſt freiwillig ſeiner herrſchenden Stellung in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft entäußern, und zu dem Ende ſich ſelber aufgeben. Soll daher etwas für die auf- ſteigende Bewegung der niederen capitalloſen Claſſe geſchehen, ſo wird das nicht durch die rohe Gewalt des Communismus und nicht durch die ſchönen Theorien des Socialismus geſchehen, ſondern es kann nur vollzogen werden durch eine dritte Potenz, welche ihrerſeits über Ca- pital und Arbeit, aber doch nicht über der höchſten Idee der geſell- ſchaftlichen Entwicklung ſteht. Dieſe Potenz iſt der Staat. Und jetzt bereits in der Mitte der vierziger Jahre, beginnt jene Bewegung der arbeitenden Claſſen, welche die Macht und ſelbſt die Idee des Staats zu Dienern der aufſteigenden Claſſenbewegung, oder genauer der In- tereſſen der capitalloſen Arbeit machen wollen. Es iſt durchaus noth- wendig, die hier eintretenden Erſcheinungen zu ordnen, um nicht in Allgemeinheiten zu verfallen. Dieſer Staat, dem jenes geſellſchaftliche Intereſſe ſich unterwerfen wollte, war und blieb ein doppelter. Er hatte und hat eine Verfaſſung und eine Verwaltung. Man kann ſich daher nicht an den Staat im Allgemeinen, ſondern man muß ſich an ſeine Verfaſſung oder an ſeine Verwaltung wenden, wenn man will, daß er thätig ſein ſoll. So groß iſt die Macht dieſes organiſchen Ver- hältniſſes, daß dieß auch da geſchieht, wo man ſich jenes Unterſchiedes nicht klar bewußt wird. Auch die geſellſchaftliche Bewegung entwickelte dem entſprechend ſofort die zwei Richtungen, die in Namen und In- halt jedem bekannt ſind. Die eine Forderung derſelben richtete ſich auf die Verfaſſung; ihr Princip war die Vertretung der capitalloſen Arbeit in der Geſetzgebung, und damit die ſtaatsrechtliche Möglichkeit, den Willen des Staats den Intereſſen der niederen Claſſe dienſtbar zu machen; ihr Programm war daher die Wahlreform und zwar auf Grundlage des von jedem Capitalbeſitz unabhängigen, das iſt allgemeinen Stimmrechts. Die zweite Forderung, gleichzeitig ent- ſtehend, richtete ſich dagegen auf die Verwaltung; ihr Princip war das Eintreten des Staats für die capitalloſe Arbeit; ihr erſtes Pro- gramm war der Verſuch, das „Recht auf Arbeit“ zu einem verfaſſungs- mäßigen Rechte der Arbeiter zu machen; ihr zweites dagegen die Her- ſtellung von ſolchen Staatsanſtalten, durch welche der Staat dem Arbeiter ein Capital zur Verfügung ſtellen ſolle; ihr Programm war das der Staatshülfe. In den verſchiedenſten Formen tritt dieſe
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Gebiet wirft. Ein faßbares Reſultat liefern ſie dem Leben nicht; aber
der Gedanke iſt erwacht und weiter arbeitend gelangt er zu ſeinem
zweiten, weit ernſteren Ergebniß.
Das nämlich wird klar in dieſer Epoche, daß es unmöglich iſt,
von dem Capital zu verlangen, es ſolle ſich ſelbſt freiwillig ſeiner
herrſchenden Stellung in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft entäußern,
und zu dem Ende ſich ſelber aufgeben. Soll daher etwas für die auf-
ſteigende Bewegung der niederen capitalloſen Claſſe geſchehen, ſo wird
das nicht durch die rohe Gewalt des Communismus und nicht durch
die ſchönen Theorien des Socialismus geſchehen, ſondern es kann nur
vollzogen werden durch eine dritte Potenz, welche ihrerſeits über Ca-
pital und Arbeit, aber doch nicht über der höchſten Idee der geſell-
ſchaftlichen Entwicklung ſteht. Dieſe Potenz iſt der Staat. Und jetzt
bereits in der Mitte der vierziger Jahre, beginnt jene Bewegung der
arbeitenden Claſſen, welche die Macht und ſelbſt die Idee des Staats
zu Dienern der aufſteigenden Claſſenbewegung, oder genauer der In-
tereſſen der capitalloſen Arbeit machen wollen. Es iſt durchaus noth-
wendig, die hier eintretenden Erſcheinungen zu ordnen, um nicht in
Allgemeinheiten zu verfallen. Dieſer Staat, dem jenes geſellſchaftliche
Intereſſe ſich unterwerfen wollte, war und blieb ein doppelter. Er
hatte und hat eine Verfaſſung und eine Verwaltung. Man kann ſich
daher nicht an den Staat im Allgemeinen, ſondern man muß ſich an
ſeine Verfaſſung oder an ſeine Verwaltung wenden, wenn man will,
daß er thätig ſein ſoll. So groß iſt die Macht dieſes organiſchen Ver-
hältniſſes, daß dieß auch da geſchieht, wo man ſich jenes Unterſchiedes
nicht klar bewußt wird. Auch die geſellſchaftliche Bewegung entwickelte
dem entſprechend ſofort die zwei Richtungen, die in Namen und In-
halt jedem bekannt ſind. Die eine Forderung derſelben richtete ſich auf
die Verfaſſung; ihr Princip war die Vertretung der capitalloſen
Arbeit in der Geſetzgebung, und damit die ſtaatsrechtliche Möglichkeit,
den Willen des Staats den Intereſſen der niederen Claſſe dienſtbar zu
machen; ihr Programm war daher die Wahlreform und zwar auf
Grundlage des von jedem Capitalbeſitz unabhängigen, das iſt
allgemeinen Stimmrechts. Die zweite Forderung, gleichzeitig ent-
ſtehend, richtete ſich dagegen auf die Verwaltung; ihr Princip war
das Eintreten des Staats für die capitalloſe Arbeit; ihr erſtes Pro-
gramm war der Verſuch, das „Recht auf Arbeit“ zu einem verfaſſungs-
mäßigen Rechte der Arbeiter zu machen; ihr zweites dagegen die Her-
ſtellung von ſolchen Staatsanſtalten, durch welche der Staat dem
Arbeiter ein Capital zur Verfügung ſtellen ſolle; ihr Programm war
das der Staatshülfe. In den verſchiedenſten Formen tritt dieſe
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/467>, abgerufen am 24.11.2024.
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