Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.Es ist nun ein wesentlicher Fortschritt unserer Zeit, daß wir ge- a) Armenbetheilung. Die Armenbetheilung als die direkte Armenunterstützung, im Ein- Die Armenkreise sollen möglichst klein sein, um die Einzelbeur- Es ist eben so leicht, diese Grundsätze theoretisch weiter auszubilden, als Es iſt nun ein weſentlicher Fortſchritt unſerer Zeit, daß wir ge- a) Armenbetheilung. Die Armenbetheilung als die direkte Armenunterſtützung, im Ein- Die Armenkreiſe ſollen möglichſt klein ſein, um die Einzelbeur- Es iſt eben ſo leicht, dieſe Grundſätze theoretiſch weiter auszubilden, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <pb facs="#f0462" n="438"/> <p>Es iſt nun ein weſentlicher Fortſchritt unſerer Zeit, daß wir ge-<lb/> lernt haben, die Aufgabe der Armenunterſtützung von der <hi rendition="#g">ſocialen<lb/> Frage zu ſcheiden</hi>. Die Nothwendigkeit dieſer Scheidung bedarf<lb/> keines weiteren Nachweiſes. Aber es iſt feſtzuhalten, daß nur ſie es<lb/> iſt, welche das ganze Armenunterſtützungsweſen zuletzt ſo einfach macht,<lb/> wie es in Folgendem erſcheint.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">a</hi>) Armenbetheilung.</p><lb/> <p>Die Armenbetheilung als die direkte Armenunterſtützung, im Ein-<lb/> zelnen unendlich vielgeſtaltig, iſt in ihren Grundzügen ſehr einfach.<lb/> Wird dieſelbe von Gemeinden gegeben, ſo iſt es richtig dieſe Grundſätze<lb/> durch Gemeindebeſchluß feſtzuſtellen; Unterſtützungsvereine ſollten die-<lb/> ſelben principiell durchführen.</p><lb/> <p>Die Armenkreiſe ſollen möglichſt <hi rendition="#g">klein</hi> ſein, um die Einzelbeur-<lb/> theilung zuzulaſſen. Sie ſoll ſo <hi rendition="#g">wenig</hi> als möglich in baarem Gelde,<lb/> ſondern ſo viel als thunlich in Naturalien beſtehen. Sie ſoll in mög-<lb/> lichſt <hi rendition="#g">kurzen</hi> Terminen gegeben werden. Sie ſoll nie größer ſein,<lb/> als zur Deckung des dringendſten Bedürfniſſes. Sie ſoll nie gegeben<lb/> werden, ohne vorhergehende Conſtatirung der <hi rendition="#g">Noth</hi>, nicht bloß der<lb/> Armuth. Sie ſoll ſtets darauf bedacht ſein, ſo bald als möglich zu<lb/> enden. Sie ſoll geradezu <hi rendition="#g">verweigert werden</hi>, wenn der Noth-<lb/> leidende nachweisbar einen Erwerb, wenn er auch noch ſo gering iſt,<lb/> ausſchlägt. Sie ſoll daher ſtets verbunden ſein mit dem Verſuche, den<lb/> Armen irgend eine <hi rendition="#g">Arbeit</hi> zu geben. Jede Unterſtützung, welche dem<lb/> Erwerbfähigen, der Arbeit finden kann, gegeben wird, iſt ein <hi rendition="#g">Unrecht</hi>.<lb/> Die Frage nach der Errichtung eigener <hi rendition="#g">Arbeitshäuſer</hi> iſt keine<lb/> Frage des Princips, ſondern der Zweckmäßigkeit, ebenſo die ihrer Ein-<lb/> richtung. Es iſt <hi rendition="#g">Pflicht</hi> der Gemeindeglieder, wo ſie können, den<lb/> Unterſtützten irgend eine Arbeit zu geben. Das Uebrige muß den<lb/> lokalen Verhältniſſen überlaſſen bleiben.</p><lb/> <p>Es iſt eben ſo leicht, dieſe Grundſätze theoretiſch weiter auszubilden, als<lb/> es ſchwer iſt, ſie praktiſch gut durchzuführen. — Das <hi rendition="#g">engliſche</hi> Syſtem be-<lb/> ruht auf der ſtrengen Unterſcheidung der Unterſtützung der Hausarmen (<hi rendition="#aq">out<lb/> door relief</hi>) und der Aufnahme in die Arbeitshäuſer <hi rendition="#aq">(in door relief);</hi> das<lb/> continentale Syſtem hat das Syſtem der Arbeitshäuſer mehr als ein <hi rendition="#g">Straf-<lb/> mittel</hi> aufgefaßt. Die Literatur darüber war früher viel reicher als in neueſter<lb/> Zeit, wo das ſociale Element in den Vordergrund getreten iſt (vergl. <hi rendition="#g">Rau</hi><lb/> §. 342 ff.; <hi rendition="#g">Mohl</hi>, Polizeiwiſſenſchaft <hi rendition="#aq">I.</hi> §. 62; <hi rendition="#g">Gerando</hi> <hi rendition="#aq">IV.</hi> 193 ff.); in <hi rendition="#g">Frank-<lb/> reich</hi> werden die Hausarmen vielfach in Familien untergebracht, ebend. 211.<lb/> Die engliſchen <hi rendition="#aq">Workhouses:</hi> <hi rendition="#g">Kries</hi>, Engl. Armenweſen S. 19 ff.; <hi rendition="#g">Gerando</hi><lb/><hi rendition="#aq">III.</hi> 520 mit Vergleichung analoger Einrichtungen in Frankreich, der Schweiz,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [438/0462]
Es iſt nun ein weſentlicher Fortſchritt unſerer Zeit, daß wir ge-
lernt haben, die Aufgabe der Armenunterſtützung von der ſocialen
Frage zu ſcheiden. Die Nothwendigkeit dieſer Scheidung bedarf
keines weiteren Nachweiſes. Aber es iſt feſtzuhalten, daß nur ſie es
iſt, welche das ganze Armenunterſtützungsweſen zuletzt ſo einfach macht,
wie es in Folgendem erſcheint.
a) Armenbetheilung.
Die Armenbetheilung als die direkte Armenunterſtützung, im Ein-
zelnen unendlich vielgeſtaltig, iſt in ihren Grundzügen ſehr einfach.
Wird dieſelbe von Gemeinden gegeben, ſo iſt es richtig dieſe Grundſätze
durch Gemeindebeſchluß feſtzuſtellen; Unterſtützungsvereine ſollten die-
ſelben principiell durchführen.
Die Armenkreiſe ſollen möglichſt klein ſein, um die Einzelbeur-
theilung zuzulaſſen. Sie ſoll ſo wenig als möglich in baarem Gelde,
ſondern ſo viel als thunlich in Naturalien beſtehen. Sie ſoll in mög-
lichſt kurzen Terminen gegeben werden. Sie ſoll nie größer ſein,
als zur Deckung des dringendſten Bedürfniſſes. Sie ſoll nie gegeben
werden, ohne vorhergehende Conſtatirung der Noth, nicht bloß der
Armuth. Sie ſoll ſtets darauf bedacht ſein, ſo bald als möglich zu
enden. Sie ſoll geradezu verweigert werden, wenn der Noth-
leidende nachweisbar einen Erwerb, wenn er auch noch ſo gering iſt,
ausſchlägt. Sie ſoll daher ſtets verbunden ſein mit dem Verſuche, den
Armen irgend eine Arbeit zu geben. Jede Unterſtützung, welche dem
Erwerbfähigen, der Arbeit finden kann, gegeben wird, iſt ein Unrecht.
Die Frage nach der Errichtung eigener Arbeitshäuſer iſt keine
Frage des Princips, ſondern der Zweckmäßigkeit, ebenſo die ihrer Ein-
richtung. Es iſt Pflicht der Gemeindeglieder, wo ſie können, den
Unterſtützten irgend eine Arbeit zu geben. Das Uebrige muß den
lokalen Verhältniſſen überlaſſen bleiben.
Es iſt eben ſo leicht, dieſe Grundſätze theoretiſch weiter auszubilden, als
es ſchwer iſt, ſie praktiſch gut durchzuführen. — Das engliſche Syſtem be-
ruht auf der ſtrengen Unterſcheidung der Unterſtützung der Hausarmen (out
door relief) und der Aufnahme in die Arbeitshäuſer (in door relief); das
continentale Syſtem hat das Syſtem der Arbeitshäuſer mehr als ein Straf-
mittel aufgefaßt. Die Literatur darüber war früher viel reicher als in neueſter
Zeit, wo das ſociale Element in den Vordergrund getreten iſt (vergl. Rau
§. 342 ff.; Mohl, Polizeiwiſſenſchaft I. §. 62; Gerando IV. 193 ff.); in Frank-
reich werden die Hausarmen vielfach in Familien untergebracht, ebend. 211.
Die engliſchen Workhouses: Kries, Engl. Armenweſen S. 19 ff.; Gerando
III. 520 mit Vergleichung analoger Einrichtungen in Frankreich, der Schweiz,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |