christlichen Religion tritt auf, und macht die Armenunterstützung zu einer Pflicht des geistigen Berufes. So wie daher die Kirche aus einem Berufe ein Stand mit organisirter Thätigkeit und eigenem Be- sitze wird, so übernimmt sie neben der Gemeinde die Aufgabe, aus ihren Mitteln eine Armenunterstützung zu geben. Das kirchliche Armenwesen stellt sich neben das der Grundherrlichkeit. Ihr ethisches Princip ist, daß die Armuth im Namen der Religion die Unterstützung des Besitzes fordern kann; ihr praktisches, daß diese Unterstützung nicht wie die der Grundherrlichkeit an die Gemeinde gebunden, sondern eine allgemeine menschliche Pflicht sein solle. Von ihr aus gehen daher die Institute, welche die Mittel für die Armenhülfe im allgemein mensch- lichen Sinne darbieten, einerseits die kirchlichen Sammlungen (Kling- beutel etc.), andererseits auch die Stiftungen. Es war natürlich, daß sie dafür die Verwaltung derselben behielt. Diese Auffassung des all- gemein menschlichen Elements in der Armenpflicht bleibt dauernd; eben so der Gedanke, daß die kirchlichen Organe der Armuth die geistige Erhebung und den religiösen Trost geben sollen; endlich die Verschmel- zung der Kirchengemeinde mit der Ortsgemeinde im Armenwesen. Allein eine objektive Pflicht zur Armenunterstützung entsteht auch dadurch nicht.
Diese nun tritt erst ein in der staatsbürgerlichen Gesellschaftsord- nung; und hier gewinnt sie auch den Charakter der Verschmelzung mit dem gesellschaftlichen Hülfswesen, die erst in unserer Zeit behoben wird. Sie beginnt stets erst da, wo die Kirche durch die Reformation ihre ständische Stellung verliert, und daher auch die Armenpflege nicht weiter führen kann. Da nun die Armuth natürlich dauert, und die Pflicht zur Unterstützung gleichfalls dauernd anerkannt wird, so muß jetzt der Staat sie ordnen. Aus dieser Nothwendigkeit geht daher die neue, dritte Epoche des Armenwesens hervor, welche wir die der ge- setzlichen Armenordnungen nennen. Das Princip der gesetzlichen Armenordnung ist, daß jeder Arme als solcher ein öffentliches Recht auf die Unterstützung gegen die Noth habe; daß mithin die Pflicht zur Unterstützung ein Theil des öffentlichen Rechts sei; daß die Gesetzgebung daher einerseits allerdings den Mißbrauch des Armenrechts durch Bettel und Vagabundenthum polizeilich bekämpfen müsse, aber auch dafür zu sorgen habe, daß die wirkliche Armenpflege durch die Gemeinde mit Hülfe der kirchlichen Institute auch regelmäßig und genügend aus- geübt werde. Das Armenwesen wird daher ein Theil der Verwaltung, ausgeführt wesentlich durch den Selbstverwaltungskörper der Gemeinden, nach den gleichartig geltenden Grundsätzen der Armengesetzgebung, und unter der Oberaufsicht der Regierung, die freilich in sehr verschiedener Weise ausgeführt wird.
chriſtlichen Religion tritt auf, und macht die Armenunterſtützung zu einer Pflicht des geiſtigen Berufes. So wie daher die Kirche aus einem Berufe ein Stand mit organiſirter Thätigkeit und eigenem Be- ſitze wird, ſo übernimmt ſie neben der Gemeinde die Aufgabe, aus ihren Mitteln eine Armenunterſtützung zu geben. Das kirchliche Armenweſen ſtellt ſich neben das der Grundherrlichkeit. Ihr ethiſches Princip iſt, daß die Armuth im Namen der Religion die Unterſtützung des Beſitzes fordern kann; ihr praktiſches, daß dieſe Unterſtützung nicht wie die der Grundherrlichkeit an die Gemeinde gebunden, ſondern eine allgemeine menſchliche Pflicht ſein ſolle. Von ihr aus gehen daher die Inſtitute, welche die Mittel für die Armenhülfe im allgemein menſch- lichen Sinne darbieten, einerſeits die kirchlichen Sammlungen (Kling- beutel ꝛc.), andererſeits auch die Stiftungen. Es war natürlich, daß ſie dafür die Verwaltung derſelben behielt. Dieſe Auffaſſung des all- gemein menſchlichen Elements in der Armenpflicht bleibt dauernd; eben ſo der Gedanke, daß die kirchlichen Organe der Armuth die geiſtige Erhebung und den religiöſen Troſt geben ſollen; endlich die Verſchmel- zung der Kirchengemeinde mit der Ortsgemeinde im Armenweſen. Allein eine objektive Pflicht zur Armenunterſtützung entſteht auch dadurch nicht.
Dieſe nun tritt erſt ein in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsord- nung; und hier gewinnt ſie auch den Charakter der Verſchmelzung mit dem geſellſchaftlichen Hülfsweſen, die erſt in unſerer Zeit behoben wird. Sie beginnt ſtets erſt da, wo die Kirche durch die Reformation ihre ſtändiſche Stellung verliert, und daher auch die Armenpflege nicht weiter führen kann. Da nun die Armuth natürlich dauert, und die Pflicht zur Unterſtützung gleichfalls dauernd anerkannt wird, ſo muß jetzt der Staat ſie ordnen. Aus dieſer Nothwendigkeit geht daher die neue, dritte Epoche des Armenweſens hervor, welche wir die der ge- ſetzlichen Armenordnungen nennen. Das Princip der geſetzlichen Armenordnung iſt, daß jeder Arme als ſolcher ein öffentliches Recht auf die Unterſtützung gegen die Noth habe; daß mithin die Pflicht zur Unterſtützung ein Theil des öffentlichen Rechts ſei; daß die Geſetzgebung daher einerſeits allerdings den Mißbrauch des Armenrechts durch Bettel und Vagabundenthum polizeilich bekämpfen müſſe, aber auch dafür zu ſorgen habe, daß die wirkliche Armenpflege durch die Gemeinde mit Hülfe der kirchlichen Inſtitute auch regelmäßig und genügend aus- geübt werde. Das Armenweſen wird daher ein Theil der Verwaltung, ausgeführt weſentlich durch den Selbſtverwaltungskörper der Gemeinden, nach den gleichartig geltenden Grundſätzen der Armengeſetzgebung, und unter der Oberaufſicht der Regierung, die freilich in ſehr verſchiedener Weiſe ausgeführt wird.
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chriſtlichen Religion tritt auf, und macht die Armenunterſtützung zu
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einem Berufe ein Stand mit organiſirter Thätigkeit und eigenem Be-
ſitze wird, ſo übernimmt ſie neben der Gemeinde die Aufgabe, aus
ihren Mitteln eine Armenunterſtützung zu geben. Das kirchliche
Armenweſen ſtellt ſich neben das der Grundherrlichkeit. Ihr ethiſches
Princip iſt, daß die Armuth im Namen der Religion die Unterſtützung
des Beſitzes fordern kann; ihr praktiſches, daß dieſe Unterſtützung nicht
wie die der Grundherrlichkeit an die Gemeinde gebunden, ſondern eine
allgemeine menſchliche Pflicht ſein ſolle. Von ihr aus gehen daher die
Inſtitute, welche die Mittel für die Armenhülfe im allgemein menſch-
lichen Sinne darbieten, einerſeits die kirchlichen Sammlungen (Kling-
beutel ꝛc.), andererſeits auch die Stiftungen. Es war natürlich, daß
ſie dafür die Verwaltung derſelben behielt. Dieſe Auffaſſung des all-
gemein menſchlichen Elements in der Armenpflicht bleibt dauernd; eben
ſo der Gedanke, daß die kirchlichen Organe der Armuth die geiſtige
Erhebung und den religiöſen Troſt geben ſollen; endlich die Verſchmel-
zung der Kirchengemeinde mit der Ortsgemeinde im Armenweſen. Allein
eine objektive Pflicht zur Armenunterſtützung entſteht auch dadurch nicht.
Dieſe nun tritt erſt ein in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsord-
nung; und hier gewinnt ſie auch den Charakter der Verſchmelzung mit
dem geſellſchaftlichen Hülfsweſen, die erſt in unſerer Zeit behoben wird.
Sie beginnt ſtets erſt da, wo die Kirche durch die Reformation ihre
ſtändiſche Stellung verliert, und daher auch die Armenpflege nicht
weiter führen kann. Da nun die Armuth natürlich dauert, und die
Pflicht zur Unterſtützung gleichfalls dauernd anerkannt wird, ſo muß
jetzt der Staat ſie ordnen. Aus dieſer Nothwendigkeit geht daher die
neue, dritte Epoche des Armenweſens hervor, welche wir die der ge-
ſetzlichen Armenordnungen nennen. Das Princip der geſetzlichen
Armenordnung iſt, daß jeder Arme als ſolcher ein öffentliches Recht
auf die Unterſtützung gegen die Noth habe; daß mithin die Pflicht zur
Unterſtützung ein Theil des öffentlichen Rechts ſei; daß die Geſetzgebung
daher einerſeits allerdings den Mißbrauch des Armenrechts durch
Bettel und Vagabundenthum polizeilich bekämpfen müſſe, aber auch
dafür zu ſorgen habe, daß die wirkliche Armenpflege durch die Gemeinde
mit Hülfe der kirchlichen Inſtitute auch regelmäßig und genügend aus-
geübt werde. Das Armenweſen wird daher ein Theil der Verwaltung,
ausgeführt weſentlich durch den Selbſtverwaltungskörper der Gemeinden,
nach den gleichartig geltenden Grundſätzen der Armengeſetzgebung, und
unter der Oberaufſicht der Regierung, die freilich in ſehr verſchiedener
Weiſe ausgeführt wird.
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/446>, abgerufen am 22.11.2024.
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