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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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ihre häusliche Unfreiheit nur eine bestimmte Modifikation der Geschlechterunfrei-
heit war. Mit dem 19. Jahrhundert beginnt dagegen der Gedanke der persön-
lichen Selbständigkeit auch für das Gesinde Platz zu greifen; die alten Verhältnisse
werden unklar, und jetzt fängt die Gesetzgebung an, die eigentlichen Gesinde-
ordnungen
zu entwerfen, die noch bis in die dreißiger Jahre unseres Jahr-
hunderts den Grundsatz der Abhängigkeit, der leichten häuslichen Züchtigung
und des Anspruches auf Hülfe von Seiten der Herrschaft festhalten, obwohl im
Ganzen das rein privatrechtliche Rechtsverhältniß vorwiegt und die einzelnen
Bestimmungen beherrscht. Bis zur völligen Gültigkeit des reinen Lohnver-
trages ist es noch nicht gediehen, obwohl das wirkliche Leben die Loslösung des
Gesindes vom Hauswesen und Hausrecht vollzogen hat, und jede neue Gesetz-
gebung nur noch die französischen Grundsätze anwenden konnte (vergl. über
louage d'ouvrage in dieser Beziehung namentlich Duvergier, Droit civil
XIX.
322. 338). Gesindeordnungen des vorigen Jahrhunderts: Bayern:
von 1781; Detmold: 1752. Mit dem Jahre 1809 (badische Gesindeordnung
vom 15. April 1809) beginnt die deutsche Gesetzgebung der Uebergangsepoche;
Wiener Gesindeordnung von 1810; Stubenrauch, Verwaltungsgesetzkunde
II. §. 433; neue österreich. Gesindeordnungen nach den einzelnen Provinzen
von 1856 und 1857; preußische erste Gesindeordnung vom 8. Nov. 1810;
besondere Gesindeordnung von 1844--1847; vergl. Rönne, Staatsrecht II. 349;
nebst einer nicht unbedeutenden Literatur (seit 1840); Bayern: Gesindeordnung
von 1781 und die folgenden von 1804, 1815 und 1828; Pözl, Verwaltungs-
recht §. 112. -- K. Sachsen: Dienstbotenordnung von 1835. -- Württem-
berg
: Stuttgarter Gesindeordnung vom 27. Okt. 1819. Andere bei Mitter-
maier
, deutsches Privatrecht II. §. 294; Vorstellung von einem "Gemeinen
deutschen Gesinderecht."

B. Das Geschlechterrecht.
Begriff und Inhalt.

Die zweite große gesellschaftliche Erscheinung ist das Geschlecht.
Das was wir unter dem Geschlechterwesen und Geschlechterrecht ver-
stehen, bildet eine der wichtigsten Thatsachen der Geschichte. Das
Gegenwärtige aber sowohl als die daraus sich ergebende Aufgabe der
Verwaltung kann nur als Theil eines großen, noch keineswegs abge-
schlossenen Processes erkannt werden. Man muß in dieser Beziehung
nothwendig das Wesen des Geschlechts, den Adel und das Majorat
unterscheiden.

1) Das Geschlecht ist die durch mehrere Generationen erhaltene
Familie, deren geistiges Element die Tradition bestimmter öffentlicher
Leistungen und die damit verbundene Ehre ist. Das Dasein eines Ge-
schlechts bedeutet daher eine Kraft in der Familie, welche stark genug
ist, der Auflösung zu widerstehen, und den Sporn für jedes Mitglied,
die Ehre des ganzen Geschlechts durch eigene Leistungen zu bewahren.

ihre häusliche Unfreiheit nur eine beſtimmte Modifikation der Geſchlechterunfrei-
heit war. Mit dem 19. Jahrhundert beginnt dagegen der Gedanke der perſön-
lichen Selbſtändigkeit auch für das Geſinde Platz zu greifen; die alten Verhältniſſe
werden unklar, und jetzt fängt die Geſetzgebung an, die eigentlichen Geſinde-
ordnungen
zu entwerfen, die noch bis in die dreißiger Jahre unſeres Jahr-
hunderts den Grundſatz der Abhängigkeit, der leichten häuslichen Züchtigung
und des Anſpruches auf Hülfe von Seiten der Herrſchaft feſthalten, obwohl im
Ganzen das rein privatrechtliche Rechtsverhältniß vorwiegt und die einzelnen
Beſtimmungen beherrſcht. Bis zur völligen Gültigkeit des reinen Lohnver-
trages iſt es noch nicht gediehen, obwohl das wirkliche Leben die Loslöſung des
Geſindes vom Hausweſen und Hausrecht vollzogen hat, und jede neue Geſetz-
gebung nur noch die franzöſiſchen Grundſätze anwenden konnte (vergl. über
louage d’ouvrage in dieſer Beziehung namentlich Duvergier, Droit civil
XIX.
322. 338). Geſindeordnungen des vorigen Jahrhunderts: Bayern:
von 1781; Detmold: 1752. Mit dem Jahre 1809 (badiſche Geſindeordnung
vom 15. April 1809) beginnt die deutſche Geſetzgebung der Uebergangsepoche;
Wiener Geſindeordnung von 1810; Stubenrauch, Verwaltungsgeſetzkunde
II. §. 433; neue öſterreich. Geſindeordnungen nach den einzelnen Provinzen
von 1856 und 1857; preußiſche erſte Geſindeordnung vom 8. Nov. 1810;
beſondere Geſindeordnung von 1844—1847; vergl. Rönne, Staatsrecht II. 349;
nebſt einer nicht unbedeutenden Literatur (ſeit 1840); Bayern: Geſindeordnung
von 1781 und die folgenden von 1804, 1815 und 1828; Pözl, Verwaltungs-
recht §. 112. — K. Sachſen: Dienſtbotenordnung von 1835. — Württem-
berg
: Stuttgarter Geſindeordnung vom 27. Okt. 1819. Andere bei Mitter-
maier
, deutſches Privatrecht II. §. 294; Vorſtellung von einem „Gemeinen
deutſchen Geſinderecht.“

B. Das Geſchlechterrecht.
Begriff und Inhalt.

Die zweite große geſellſchaftliche Erſcheinung iſt das Geſchlecht.
Das was wir unter dem Geſchlechterweſen und Geſchlechterrecht ver-
ſtehen, bildet eine der wichtigſten Thatſachen der Geſchichte. Das
Gegenwärtige aber ſowohl als die daraus ſich ergebende Aufgabe der
Verwaltung kann nur als Theil eines großen, noch keineswegs abge-
ſchloſſenen Proceſſes erkannt werden. Man muß in dieſer Beziehung
nothwendig das Weſen des Geſchlechts, den Adel und das Majorat
unterſcheiden.

1) Das Geſchlecht iſt die durch mehrere Generationen erhaltene
Familie, deren geiſtiges Element die Tradition beſtimmter öffentlicher
Leiſtungen und die damit verbundene Ehre iſt. Das Daſein eines Ge-
ſchlechts bedeutet daher eine Kraft in der Familie, welche ſtark genug
iſt, der Auflöſung zu widerſtehen, und den Sporn für jedes Mitglied,
die Ehre des ganzen Geſchlechts durch eigene Leiſtungen zu bewahren.

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[405/0429] ihre häusliche Unfreiheit nur eine beſtimmte Modifikation der Geſchlechterunfrei- heit war. Mit dem 19. Jahrhundert beginnt dagegen der Gedanke der perſön- lichen Selbſtändigkeit auch für das Geſinde Platz zu greifen; die alten Verhältniſſe werden unklar, und jetzt fängt die Geſetzgebung an, die eigentlichen Geſinde- ordnungen zu entwerfen, die noch bis in die dreißiger Jahre unſeres Jahr- hunderts den Grundſatz der Abhängigkeit, der leichten häuslichen Züchtigung und des Anſpruches auf Hülfe von Seiten der Herrſchaft feſthalten, obwohl im Ganzen das rein privatrechtliche Rechtsverhältniß vorwiegt und die einzelnen Beſtimmungen beherrſcht. Bis zur völligen Gültigkeit des reinen Lohnver- trages iſt es noch nicht gediehen, obwohl das wirkliche Leben die Loslöſung des Geſindes vom Hausweſen und Hausrecht vollzogen hat, und jede neue Geſetz- gebung nur noch die franzöſiſchen Grundſätze anwenden konnte (vergl. über louage d’ouvrage in dieſer Beziehung namentlich Duvergier, Droit civil XIX. 322. 338). Geſindeordnungen des vorigen Jahrhunderts: Bayern: von 1781; Detmold: 1752. Mit dem Jahre 1809 (badiſche Geſindeordnung vom 15. April 1809) beginnt die deutſche Geſetzgebung der Uebergangsepoche; Wiener Geſindeordnung von 1810; Stubenrauch, Verwaltungsgeſetzkunde II. §. 433; neue öſterreich. Geſindeordnungen nach den einzelnen Provinzen von 1856 und 1857; preußiſche erſte Geſindeordnung vom 8. Nov. 1810; beſondere Geſindeordnung von 1844—1847; vergl. Rönne, Staatsrecht II. 349; nebſt einer nicht unbedeutenden Literatur (ſeit 1840); Bayern: Geſindeordnung von 1781 und die folgenden von 1804, 1815 und 1828; Pözl, Verwaltungs- recht §. 112. — K. Sachſen: Dienſtbotenordnung von 1835. — Württem- berg: Stuttgarter Geſindeordnung vom 27. Okt. 1819. Andere bei Mitter- maier, deutſches Privatrecht II. §. 294; Vorſtellung von einem „Gemeinen deutſchen Geſinderecht.“ B. Das Geſchlechterrecht. Begriff und Inhalt. Die zweite große geſellſchaftliche Erſcheinung iſt das Geſchlecht. Das was wir unter dem Geſchlechterweſen und Geſchlechterrecht ver- ſtehen, bildet eine der wichtigſten Thatſachen der Geſchichte. Das Gegenwärtige aber ſowohl als die daraus ſich ergebende Aufgabe der Verwaltung kann nur als Theil eines großen, noch keineswegs abge- ſchloſſenen Proceſſes erkannt werden. Man muß in dieſer Beziehung nothwendig das Weſen des Geſchlechts, den Adel und das Majorat unterſcheiden. 1) Das Geſchlecht iſt die durch mehrere Generationen erhaltene Familie, deren geiſtiges Element die Tradition beſtimmter öffentlicher Leiſtungen und die damit verbundene Ehre iſt. Das Daſein eines Ge- ſchlechts bedeutet daher eine Kraft in der Familie, welche ſtark genug iſt, der Auflöſung zu widerſtehen, und den Sporn für jedes Mitglied, die Ehre des ganzen Geſchlechts durch eigene Leiſtungen zu bewahren.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/429>, abgerufen am 19.11.2024.