Der Hauptgrund, weßhalb die bisherigen Arbeiten über die Gesellschafts- lehre so wenig Resultate geliefert haben, besteht darin, daß man den Zusam- menhang der Gesellschaft und ihrer Gegensätze mit der Rechtsbildung nicht strenger untersucht hat (vergl. Stein, Geschichte der socialen Bewegung, Ein- leitung). Die beiden Versuche, den inneren Zusammenhang nachzuweisen in Stein, französische Rechtsgeschichte von Warnkönig und Stein Bd. III. und Gneist, Engl. Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Es dürfte noch einige Zeit dauern, bis die deutsche Rechtsgeschichte diese Auffassung zulassen wird.
Die beiden Principien in der Geschichte der Gesellschaft.
Von dem obigen Standpunkt erscheint nun allerdings die Gesell- schaft mit ihrer Entwicklung und ihren Gegensätzen als der wahre Inhalt dessen, was wir die innere Geschichte der Völker, ja der Welt nennen möchten. Um so nothwendiger ist es, die beiden Principien festzustellen, welche ihrerseits diese mächtige, die ganze Weltgeschichte beherrschende Bewegung selbst wieder beherrschen.
Das erste dieser Principien ist der allmählige aber unabweisbare Sieg der staatsbürgerlichen Gesellschaft über die Geschlechter- und Ständeordnung. Denn nur sie beruht ganz auf dem letzten Element alles Werdens, der durch eigene That sich Ehre und Macht verschaffen- den Persönlichkeit. Allerdings vernichtet sie niemals ganz die beiden letzten Ordnungen, sondern sie nimmt sie vielmehr in sich auf und gestaltet sie um; allein nur diejenigen Völker sind wahrhaft lebensfähig, welche fähig sind, diese freie Gesellschaftsordnung bei sich zu erzeugen und zur Geltung zu bringen. Alle anderen Völker gehen zu Grunde. Und da nun nur der gewerbliche Besitz die Fähigkeit hat, dieser Ge- sellschaftsordnung die ihr entsprechende freie materielle Basis zu geben, die ihrerseits die freie, selbständige Persönlichkeit erzeugt und enthält, so ergibt sich der vielgesuchte Punkt, auf welchem die Nationalökonomie mit der Geschichte der Gesellschaft zusammenhängt; der Kampf und die Geschichte der gewerblichen Thätigkeit sind der Kampf und die Geschichte der staatsbürgerlichen Gesellschaft. Da aber endlich jede Gesellschafts- ordnung ihre Verfassung, ihre Verwaltung und ihr bürgerliches Recht erzeugt, so folgt, daß der Schlußpunkt und zugleich der Keim aller Rechtsgeschichte den Sieg der staatsbürgerlichen Rechtsordnung über die der Geschlechter- und Ständeordnung enthält. So greifen hier die größten Faktoren lebendig wirkend in einander, in dem unendlichen Reichthum des Lebens ihre organische Einheit erzeugend.
Dem nun zur Seite steht das zweite große Princip dieser Ent- wicklung; und dieses Princip ist die eigentliche Grundlage der Verwal- tung der Gesellschaft und ihres Rechts.
Der Hauptgrund, weßhalb die bisherigen Arbeiten über die Geſellſchafts- lehre ſo wenig Reſultate geliefert haben, beſteht darin, daß man den Zuſam- menhang der Geſellſchaft und ihrer Gegenſätze mit der Rechtsbildung nicht ſtrenger unterſucht hat (vergl. Stein, Geſchichte der ſocialen Bewegung, Ein- leitung). Die beiden Verſuche, den inneren Zuſammenhang nachzuweiſen in Stein, franzöſiſche Rechtsgeſchichte von Warnkönig und Stein Bd. III. und Gneiſt, Engl. Verfaſſungs- und Verwaltungsrecht. Es dürfte noch einige Zeit dauern, bis die deutſche Rechtsgeſchichte dieſe Auffaſſung zulaſſen wird.
Die beiden Principien in der Geſchichte der Geſellſchaft.
Von dem obigen Standpunkt erſcheint nun allerdings die Geſell- ſchaft mit ihrer Entwicklung und ihren Gegenſätzen als der wahre Inhalt deſſen, was wir die innere Geſchichte der Völker, ja der Welt nennen möchten. Um ſo nothwendiger iſt es, die beiden Principien feſtzuſtellen, welche ihrerſeits dieſe mächtige, die ganze Weltgeſchichte beherrſchende Bewegung ſelbſt wieder beherrſchen.
Das erſte dieſer Principien iſt der allmählige aber unabweisbare Sieg der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft über die Geſchlechter- und Ständeordnung. Denn nur ſie beruht ganz auf dem letzten Element alles Werdens, der durch eigene That ſich Ehre und Macht verſchaffen- den Perſönlichkeit. Allerdings vernichtet ſie niemals ganz die beiden letzten Ordnungen, ſondern ſie nimmt ſie vielmehr in ſich auf und geſtaltet ſie um; allein nur diejenigen Völker ſind wahrhaft lebensfähig, welche fähig ſind, dieſe freie Geſellſchaftsordnung bei ſich zu erzeugen und zur Geltung zu bringen. Alle anderen Völker gehen zu Grunde. Und da nun nur der gewerbliche Beſitz die Fähigkeit hat, dieſer Ge- ſellſchaftsordnung die ihr entſprechende freie materielle Baſis zu geben, die ihrerſeits die freie, ſelbſtändige Perſönlichkeit erzeugt und enthält, ſo ergibt ſich der vielgeſuchte Punkt, auf welchem die Nationalökonomie mit der Geſchichte der Geſellſchaft zuſammenhängt; der Kampf und die Geſchichte der gewerblichen Thätigkeit ſind der Kampf und die Geſchichte der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft. Da aber endlich jede Geſellſchafts- ordnung ihre Verfaſſung, ihre Verwaltung und ihr bürgerliches Recht erzeugt, ſo folgt, daß der Schlußpunkt und zugleich der Keim aller Rechtsgeſchichte den Sieg der ſtaatsbürgerlichen Rechtsordnung über die der Geſchlechter- und Ständeordnung enthält. So greifen hier die größten Faktoren lebendig wirkend in einander, in dem unendlichen Reichthum des Lebens ihre organiſche Einheit erzeugend.
Dem nun zur Seite ſteht das zweite große Princip dieſer Ent- wicklung; und dieſes Princip iſt die eigentliche Grundlage der Verwal- tung der Geſellſchaft und ihres Rechts.
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Der Hauptgrund, weßhalb die bisherigen Arbeiten über die Geſellſchafts-
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ſtrenger unterſucht hat (vergl. Stein, Geſchichte der ſocialen Bewegung, Ein-
leitung). Die beiden Verſuche, den inneren Zuſammenhang nachzuweiſen in
Stein, franzöſiſche Rechtsgeſchichte von Warnkönig und Stein Bd. III. und
Gneiſt, Engl. Verfaſſungs- und Verwaltungsrecht. Es dürfte noch einige
Zeit dauern, bis die deutſche Rechtsgeſchichte dieſe Auffaſſung zulaſſen wird.
Die beiden Principien in der Geſchichte der Geſellſchaft.
Von dem obigen Standpunkt erſcheint nun allerdings die Geſell-
ſchaft mit ihrer Entwicklung und ihren Gegenſätzen als der wahre
Inhalt deſſen, was wir die innere Geſchichte der Völker, ja der Welt
nennen möchten. Um ſo nothwendiger iſt es, die beiden Principien
feſtzuſtellen, welche ihrerſeits dieſe mächtige, die ganze Weltgeſchichte
beherrſchende Bewegung ſelbſt wieder beherrſchen.
Das erſte dieſer Principien iſt der allmählige aber unabweisbare
Sieg der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft über die Geſchlechter- und
Ständeordnung. Denn nur ſie beruht ganz auf dem letzten Element
alles Werdens, der durch eigene That ſich Ehre und Macht verſchaffen-
den Perſönlichkeit. Allerdings vernichtet ſie niemals ganz die beiden
letzten Ordnungen, ſondern ſie nimmt ſie vielmehr in ſich auf und
geſtaltet ſie um; allein nur diejenigen Völker ſind wahrhaft lebensfähig,
welche fähig ſind, dieſe freie Geſellſchaftsordnung bei ſich zu erzeugen
und zur Geltung zu bringen. Alle anderen Völker gehen zu Grunde.
Und da nun nur der gewerbliche Beſitz die Fähigkeit hat, dieſer Ge-
ſellſchaftsordnung die ihr entſprechende freie materielle Baſis zu geben,
die ihrerſeits die freie, ſelbſtändige Perſönlichkeit erzeugt und enthält,
ſo ergibt ſich der vielgeſuchte Punkt, auf welchem die Nationalökonomie
mit der Geſchichte der Geſellſchaft zuſammenhängt; der Kampf und die
Geſchichte der gewerblichen Thätigkeit ſind der Kampf und die Geſchichte
der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft. Da aber endlich jede Geſellſchafts-
ordnung ihre Verfaſſung, ihre Verwaltung und ihr bürgerliches Recht
erzeugt, ſo folgt, daß der Schlußpunkt und zugleich der Keim aller
Rechtsgeſchichte den Sieg der ſtaatsbürgerlichen Rechtsordnung über die
der Geſchlechter- und Ständeordnung enthält. So greifen hier die
größten Faktoren lebendig wirkend in einander, in dem unendlichen
Reichthum des Lebens ihre organiſche Einheit erzeugend.
Dem nun zur Seite ſteht das zweite große Princip dieſer Ent-
wicklung; und dieſes Princip iſt die eigentliche Grundlage der Verwal-
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/422>, abgerufen am 19.11.2024.
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