in der staatsbürgerlichen Gesellschaft tritt diese Scheidung ein. Erst hier entsteht die Selbständigkeit der gesetzgebenden Gewalt in den Kammern, und die der vollziehenden Gewalt in den Ministerien, wäh- rend das Staatsoberhaupt über beiden steht, und jetzt ist daher auch ein Verwaltungsrecht als das Recht dieser drei Faktoren in Beziehung auf Wille und That des Staats möglich und nothwendig. Allerdings muß sich zu dem Ende zuerst die Selbständigkeit und das Recht des Gesetzes ausbilden; der rechtliche Begriff des "Gesetzes" ist das große Kriterium des Beginnens dieser Epoche, oder des durch die Volksver- tretung unter Zustimmung des Staatsoberhaupts zu Stande gekommenen Staatswillens. So wie aber dieser feststeht, schließt sich daran die Bildung des Verwaltungsrechts als des Rechts der selbständigen Verordnung gegenüber dem Gesetze; und dieses Recht ist es, welches wir das verfassungsmäßige Verwaltungsrecht nennen. Natürlich besteht auch dieses zuerst nur im Princip. Seine Entwicklung empfängt es, indem es klar wird, daß für die vollziehende Gewalt die bloße Ausführung der bestehenden Gesetze nicht genügen kann, sondern daß sie eine, fast auf allen Punkten über dasselbe hinausgehende, das Gesetz erfüllende und zum Theil ersetzende Funktion hat. Mit dieser Erkenntniß ist dann die zweite gegeben, daß die Vollzugsgewalt auch in dieser ihrer selbständigen Funktion in Harmonie mit dem Gesetze stehen muß. Daraus entsteht ein Proceß, der diese Harmonie auf jedem Punkte des Staatslebens erhält und wieder herstellt, wenn sie gestört ist. So wie dieser Proceß nun seinerseits wieder in feste rechtliche Form gebracht wird, entsteht daraus das System des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts. Dieses System aber schließt sich naturgemäß an die einzelnen Vollzugsgewalten der Vollziehung an, und so entstehen die elementaren Principien desselben, nach dem Wesen und dem Begriff der Verordnung, der Organisation und des Zwanges geordnet.
Das oberste Princip dieses verfassungsmäßigen Verwaltungs- rechts ist demnach, daß die Verordnung nie mit dem Gesetze im Widerspruche stehen darf, so weit ein solches da ist. Wo sie es dennoch thut, wird diese Unterordnung hergestellt durch die Klage gegen die ungesetzliche Verordnung; steht aber die Verfügung mit der Verordnung im Widerspruch, so entsteht die Beschwerde. Beide sind absolute verfassungsmäßige Rechte der Staatsbürger. Wo aber die Verordnung über das Gesetz hinausgeht, weil es mangelt, da tritt die Verantwortlichkeit der Vollzugsgewalt ein, durch welche die Har- monie des Willens und der That desselben nicht mehr mit dem Wort- laut, sondern mit dem Geiste der Gesetzgebung hergestellt wird. Das ist das verfassungsmäßige Verordnungsrecht.
in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft tritt dieſe Scheidung ein. Erſt hier entſteht die Selbſtändigkeit der geſetzgebenden Gewalt in den Kammern, und die der vollziehenden Gewalt in den Miniſterien, wäh- rend das Staatsoberhaupt über beiden ſteht, und jetzt iſt daher auch ein Verwaltungsrecht als das Recht dieſer drei Faktoren in Beziehung auf Wille und That des Staats möglich und nothwendig. Allerdings muß ſich zu dem Ende zuerſt die Selbſtändigkeit und das Recht des Geſetzes ausbilden; der rechtliche Begriff des „Geſetzes“ iſt das große Kriterium des Beginnens dieſer Epoche, oder des durch die Volksver- tretung unter Zuſtimmung des Staatsoberhaupts zu Stande gekommenen Staatswillens. So wie aber dieſer feſtſteht, ſchließt ſich daran die Bildung des Verwaltungsrechts als des Rechts der ſelbſtändigen Verordnung gegenüber dem Geſetze; und dieſes Recht iſt es, welches wir das verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht nennen. Natürlich beſteht auch dieſes zuerſt nur im Princip. Seine Entwicklung empfängt es, indem es klar wird, daß für die vollziehende Gewalt die bloße Ausführung der beſtehenden Geſetze nicht genügen kann, ſondern daß ſie eine, faſt auf allen Punkten über daſſelbe hinausgehende, das Geſetz erfüllende und zum Theil erſetzende Funktion hat. Mit dieſer Erkenntniß iſt dann die zweite gegeben, daß die Vollzugsgewalt auch in dieſer ihrer ſelbſtändigen Funktion in Harmonie mit dem Geſetze ſtehen muß. Daraus entſteht ein Proceß, der dieſe Harmonie auf jedem Punkte des Staatslebens erhält und wieder herſtellt, wenn ſie geſtört iſt. So wie dieſer Proceß nun ſeinerſeits wieder in feſte rechtliche Form gebracht wird, entſteht daraus das Syſtem des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts. Dieſes Syſtem aber ſchließt ſich naturgemäß an die einzelnen Vollzugsgewalten der Vollziehung an, und ſo entſtehen die elementaren Principien deſſelben, nach dem Weſen und dem Begriff der Verordnung, der Organiſation und des Zwanges geordnet.
Das oberſte Princip dieſes verfaſſungsmäßigen Verwaltungs- rechts iſt demnach, daß die Verordnung nie mit dem Geſetze im Widerſpruche ſtehen darf, ſo weit ein ſolches da iſt. Wo ſie es dennoch thut, wird dieſe Unterordnung hergeſtellt durch die Klage gegen die ungeſetzliche Verordnung; ſteht aber die Verfügung mit der Verordnung im Widerſpruch, ſo entſteht die Beſchwerde. Beide ſind abſolute verfaſſungsmäßige Rechte der Staatsbürger. Wo aber die Verordnung über das Geſetz hinausgeht, weil es mangelt, da tritt die Verantwortlichkeit der Vollzugsgewalt ein, durch welche die Har- monie des Willens und der That deſſelben nicht mehr mit dem Wort- laut, ſondern mit dem Geiſte der Geſetzgebung hergeſtellt wird. Das iſt das verfaſſungsmäßige Verordnungsrecht.
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in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft tritt dieſe Scheidung ein. Erſt
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rend das Staatsoberhaupt über beiden ſteht, und jetzt iſt daher auch
ein Verwaltungsrecht als das Recht dieſer drei Faktoren in Beziehung
auf Wille und That des Staats möglich und nothwendig. Allerdings
muß ſich zu dem Ende zuerſt die Selbſtändigkeit und das Recht des
Geſetzes ausbilden; der rechtliche Begriff des „Geſetzes“ iſt das große
Kriterium des Beginnens dieſer Epoche, oder des durch die Volksver-
tretung unter Zuſtimmung des Staatsoberhaupts zu Stande gekommenen
Staatswillens. So wie aber dieſer feſtſteht, ſchließt ſich daran die
Bildung des Verwaltungsrechts als des Rechts der ſelbſtändigen
Verordnung gegenüber dem Geſetze; und dieſes Recht iſt es,
welches wir das verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht nennen.
Natürlich beſteht auch dieſes zuerſt nur im Princip. Seine Entwicklung
empfängt es, indem es klar wird, daß für die vollziehende Gewalt die
bloße Ausführung der beſtehenden Geſetze nicht genügen kann, ſondern
daß ſie eine, faſt auf allen Punkten über daſſelbe hinausgehende, das
Geſetz erfüllende und zum Theil erſetzende Funktion hat. Mit dieſer
Erkenntniß iſt dann die zweite gegeben, daß die Vollzugsgewalt auch
in dieſer ihrer ſelbſtändigen Funktion in Harmonie mit dem Geſetze
ſtehen muß. Daraus entſteht ein Proceß, der dieſe Harmonie auf jedem
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iſt. So wie dieſer Proceß nun ſeinerſeits wieder in feſte rechtliche Form
gebracht wird, entſteht daraus das Syſtem des verfaſſungsmäßigen
Verwaltungsrechts. Dieſes Syſtem aber ſchließt ſich naturgemäß an
die einzelnen Vollzugsgewalten der Vollziehung an, und ſo entſtehen
die elementaren Principien deſſelben, nach dem Weſen und dem Begriff
der Verordnung, der Organiſation und des Zwanges geordnet.
Das oberſte Princip dieſes verfaſſungsmäßigen Verwaltungs-
rechts iſt demnach, daß die Verordnung nie mit dem Geſetze im
Widerſpruche ſtehen darf, ſo weit ein ſolches da iſt. Wo ſie es
dennoch thut, wird dieſe Unterordnung hergeſtellt durch die Klage
gegen die ungeſetzliche Verordnung; ſteht aber die Verfügung mit der
Verordnung im Widerſpruch, ſo entſteht die Beſchwerde. Beide ſind
abſolute verfaſſungsmäßige Rechte der Staatsbürger. Wo aber die
Verordnung über das Geſetz hinausgeht, weil es mangelt, da tritt die
Verantwortlichkeit der Vollzugsgewalt ein, durch welche die Har-
monie des Willens und der That deſſelben nicht mehr mit dem Wort-
laut, ſondern mit dem Geiſte der Geſetzgebung hergeſtellt wird. Das
iſt das verfaſſungsmäßige Verordnungsrecht.
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/42>, abgerufen am 24.11.2024.
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