dem französischen Vorbilde; aus dem sogleich anzuführenden Grunde entbehrt er in Princip und Ausführung der rechten Selbständigkeit, was gleichfalls von dem österreichischen gilt. Es ist nämlich drittens unzweifelhaft, daß seit 1848 ganz Europa demselben Zuge folgt, der für Deutschland seit 1824 für das ganze Zollwesen thätig gewesen ist. Das Zollsystem ist ein Mittel in der Hand der Politik geworden. An dem Zolle ist zuerst Deutschlands Einheit groß geworden; die Geschichte des Zollvereins ist ein Theil der Geschichte Deutsch- lands, und die Tarifsätze sind in den meisten Fällen Compromisse zwischen den Interessen der Theile des Ganzen, so daß der reine Charakter der Zölle dabei verloren geht. Seit 1848 ist dagegen diese Verwendung des Zollwesens allgemein geworden. Seinen Hauptausdruck fand jenes Princip zuerst in dem Februarvertrag von 1853 für das Verhältniß zwischen Oesterreich und Preußen, dann aber in dem französischen Handelsvertrag mit England vom 23. Jan. 1860 und im französisch-deutschen Zollvertrag vom 2. Aug. 1862; die Verträge zwischen Frankreich und Belgien von 1854 gehören gleichfalls in diese Kategorie. Es dürfte jedoch kaum zweifelhaft sein, daß diese Epoche als eine im Wesent- lichen überwundene zu gelten hat. Das Zollwesen Europas wird in nächster Zeit wieder die Selbständigkeit der einzelnen Länder zum Grunde legen. Die Literatur ist meist Parteiliteratur, die streng wissenschaftliche Be- handlung beschränkt sich auf den Streit über das Princip, das Eingehen auf systematische Behandlung fehlt. Die Nationalökonomie überläßt die Frage der Volkswirthschaftspflege, und diese selbst ist noch unfertig. Vergl. Rau, Volks- wirthschaftspflege II. §. 207 und 305 ff. Die bedeutendste Arbeit bleibt der Bericht der volkswirthschaftlichen Commission der württembergischen Kammer über den preußisch-französischen Handelsvertrag (Moritz Mohl). J. G. Cotta'sche Buchhandlung 1864.
2) Das Handelsrecht.
Begriff, Princip und Inhalt.
Während nun in Handelsverträgen und Zollwesen der Handel als internationaler Verkehr erscheint, ist das, was wir unter der Handels- ordnung verstehen, der Inhalt desjenigen, was die Verwaltung für den inneren Handel zu leisten hat.
So wie nämlich der Handel sich in der Volkswirthschaft zu selb- ständigem Leben entwickelt, erzeugt er zwei Dinge, die speciell ihn und sein Wesen enthalten und vertreten. Das erste ist eine neue Gestalt und ein neues Gebiet des Verkehrs und seines Rechts, ein dem Handel als solchem angehöriges Vertragsrecht, das wir im engeren Sinne des Wortes das Handelsrecht nennen. Das zweite sind specielle, selbständige Anstalten und Formen des Handels, die gleichfalls ihre eigene Ordnung fordern. Allerdings nun erzeugt sich das im Handel rastlos thätige und auf jedem Punkte lebendige Einzel- interesse der Unternehmungen beider mit eigener Thätigkeit; allein die
dem franzöſiſchen Vorbilde; aus dem ſogleich anzuführenden Grunde entbehrt er in Princip und Ausführung der rechten Selbſtändigkeit, was gleichfalls von dem öſterreichiſchen gilt. Es iſt nämlich drittens unzweifelhaft, daß ſeit 1848 ganz Europa demſelben Zuge folgt, der für Deutſchland ſeit 1824 für das ganze Zollweſen thätig geweſen iſt. Das Zollſyſtem iſt ein Mittel in der Hand der Politik geworden. An dem Zolle iſt zuerſt Deutſchlands Einheit groß geworden; die Geſchichte des Zollvereins iſt ein Theil der Geſchichte Deutſch- lands, und die Tarifſätze ſind in den meiſten Fällen Compromiſſe zwiſchen den Intereſſen der Theile des Ganzen, ſo daß der reine Charakter der Zölle dabei verloren geht. Seit 1848 iſt dagegen dieſe Verwendung des Zollweſens allgemein geworden. Seinen Hauptausdruck fand jenes Princip zuerſt in dem Februarvertrag von 1853 für das Verhältniß zwiſchen Oeſterreich und Preußen, dann aber in dem franzöſiſchen Handelsvertrag mit England vom 23. Jan. 1860 und im franzöſiſch-deutſchen Zollvertrag vom 2. Aug. 1862; die Verträge zwiſchen Frankreich und Belgien von 1854 gehören gleichfalls in dieſe Kategorie. Es dürfte jedoch kaum zweifelhaft ſein, daß dieſe Epoche als eine im Weſent- lichen überwundene zu gelten hat. Das Zollweſen Europas wird in nächſter Zeit wieder die Selbſtändigkeit der einzelnen Länder zum Grunde legen. Die Literatur iſt meiſt Parteiliteratur, die ſtreng wiſſenſchaftliche Be- handlung beſchränkt ſich auf den Streit über das Princip, das Eingehen auf ſyſtematiſche Behandlung fehlt. Die Nationalökonomie überläßt die Frage der Volkswirthſchaftspflege, und dieſe ſelbſt iſt noch unfertig. Vergl. Rau, Volks- wirthſchaftspflege II. §. 207 und 305 ff. Die bedeutendſte Arbeit bleibt der Bericht der volkswirthſchaftlichen Commiſſion der württembergiſchen Kammer über den preußiſch-franzöſiſchen Handelsvertrag (Moritz Mohl). J. G. Cotta’ſche Buchhandlung 1864.
2) Das Handelsrecht.
Begriff, Princip und Inhalt.
Während nun in Handelsverträgen und Zollweſen der Handel als internationaler Verkehr erſcheint, iſt das, was wir unter der Handels- ordnung verſtehen, der Inhalt desjenigen, was die Verwaltung für den inneren Handel zu leiſten hat.
So wie nämlich der Handel ſich in der Volkswirthſchaft zu ſelb- ſtändigem Leben entwickelt, erzeugt er zwei Dinge, die ſpeciell ihn und ſein Weſen enthalten und vertreten. Das erſte iſt eine neue Geſtalt und ein neues Gebiet des Verkehrs und ſeines Rechts, ein dem Handel als ſolchem angehöriges Vertragsrecht, das wir im engeren Sinne des Wortes das Handelsrecht nennen. Das zweite ſind ſpecielle, ſelbſtändige Anſtalten und Formen des Handels, die gleichfalls ihre eigene Ordnung fordern. Allerdings nun erzeugt ſich das im Handel raſtlos thätige und auf jedem Punkte lebendige Einzel- intereſſe der Unternehmungen beider mit eigener Thätigkeit; allein die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><p><pbfacs="#f0400"n="376"/>
dem franzöſiſchen Vorbilde; aus dem ſogleich anzuführenden Grunde entbehrt<lb/>
er in Princip und Ausführung der rechten Selbſtändigkeit, was gleichfalls von<lb/>
dem öſterreichiſchen gilt. Es iſt nämlich <hirendition="#g">drittens</hi> unzweifelhaft, daß ſeit 1848<lb/>
ganz Europa demſelben Zuge folgt, der für Deutſchland ſeit 1824 für das<lb/>
ganze Zollweſen thätig geweſen iſt. Das Zollſyſtem iſt ein <hirendition="#g">Mittel in der<lb/>
Hand der Politik</hi> geworden. An dem Zolle iſt zuerſt Deutſchlands Einheit<lb/>
groß geworden; die Geſchichte des Zollvereins iſt ein Theil der Geſchichte Deutſch-<lb/>
lands, und die Tarifſätze ſind in den meiſten Fällen <hirendition="#g">Compromiſſe</hi> zwiſchen<lb/>
den Intereſſen der Theile des Ganzen, ſo daß der reine Charakter der Zölle<lb/>
dabei verloren geht. Seit 1848 iſt dagegen dieſe Verwendung des Zollweſens<lb/>
allgemein geworden. Seinen Hauptausdruck fand jenes Princip zuerſt in dem<lb/>
Februarvertrag von 1853 für das Verhältniß zwiſchen Oeſterreich und Preußen,<lb/>
dann aber in dem franzöſiſchen Handelsvertrag mit <hirendition="#g">England</hi> vom 23. Jan.<lb/>
1860 und im franzöſiſch-deutſchen Zollvertrag vom 2. Aug. 1862; die Verträge<lb/>
zwiſchen Frankreich und Belgien von 1854 gehören gleichfalls in dieſe Kategorie.<lb/>
Es dürfte jedoch kaum zweifelhaft ſein, daß dieſe Epoche als eine im Weſent-<lb/>
lichen überwundene zu gelten hat. Das Zollweſen Europas wird in nächſter<lb/>
Zeit wieder <hirendition="#g">die Selbſtändigkeit der einzelnen Länder zum Grunde<lb/>
legen</hi>. Die Literatur iſt meiſt Parteiliteratur, die ſtreng wiſſenſchaftliche Be-<lb/>
handlung beſchränkt ſich auf den Streit über das Princip, das Eingehen auf<lb/>ſyſtematiſche Behandlung fehlt. Die Nationalökonomie überläßt die Frage der<lb/>
Volkswirthſchaftspflege, und dieſe ſelbſt iſt noch unfertig. Vergl. <hirendition="#g">Rau</hi>, Volks-<lb/>
wirthſchaftspflege <hirendition="#aq">II.</hi> §. 207 und 305 ff. Die bedeutendſte Arbeit bleibt der<lb/><hirendition="#g">Bericht</hi> der volkswirthſchaftlichen Commiſſion der württembergiſchen Kammer<lb/>
über den preußiſch-franzöſiſchen Handelsvertrag (Moritz Mohl). J. G. Cotta’ſche<lb/>
Buchhandlung 1864.</p></div><lb/><divn="7"><head>2) Das Handelsrecht.</head><lb/><p><hirendition="#g">Begriff, Princip und Inhalt</hi>.</p><lb/><p>Während nun in Handelsverträgen und Zollweſen der Handel als<lb/>
internationaler Verkehr erſcheint, iſt das, was wir unter der <hirendition="#g">Handels-<lb/>
ordnung</hi> verſtehen, der Inhalt desjenigen, was die Verwaltung für<lb/>
den inneren Handel zu leiſten hat.</p><lb/><p>So wie nämlich der Handel ſich in der Volkswirthſchaft zu <hirendition="#g">ſelb-<lb/>ſtändigem</hi> Leben entwickelt, erzeugt er zwei Dinge, die ſpeciell ihn<lb/>
und ſein Weſen enthalten und vertreten. Das <hirendition="#g">erſte</hi> iſt eine neue<lb/>
Geſtalt und ein neues Gebiet des <hirendition="#g">Verkehrs</hi> und ſeines Rechts, ein<lb/>
dem Handel als ſolchem angehöriges <hirendition="#g">Vertragsrecht</hi>, das wir im<lb/>
engeren Sinne des Wortes das <hirendition="#g">Handelsrecht</hi> nennen. Das zweite<lb/>ſind ſpecielle, ſelbſtändige <hirendition="#g">Anſtalten</hi> und <hirendition="#g">Formen</hi> des Handels, die<lb/>
gleichfalls ihre eigene Ordnung fordern. Allerdings nun erzeugt ſich<lb/>
das im Handel raſtlos thätige und auf jedem Punkte lebendige Einzel-<lb/>
intereſſe der Unternehmungen beider mit eigener Thätigkeit; allein die<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[376/0400]
dem franzöſiſchen Vorbilde; aus dem ſogleich anzuführenden Grunde entbehrt
er in Princip und Ausführung der rechten Selbſtändigkeit, was gleichfalls von
dem öſterreichiſchen gilt. Es iſt nämlich drittens unzweifelhaft, daß ſeit 1848
ganz Europa demſelben Zuge folgt, der für Deutſchland ſeit 1824 für das
ganze Zollweſen thätig geweſen iſt. Das Zollſyſtem iſt ein Mittel in der
Hand der Politik geworden. An dem Zolle iſt zuerſt Deutſchlands Einheit
groß geworden; die Geſchichte des Zollvereins iſt ein Theil der Geſchichte Deutſch-
lands, und die Tarifſätze ſind in den meiſten Fällen Compromiſſe zwiſchen
den Intereſſen der Theile des Ganzen, ſo daß der reine Charakter der Zölle
dabei verloren geht. Seit 1848 iſt dagegen dieſe Verwendung des Zollweſens
allgemein geworden. Seinen Hauptausdruck fand jenes Princip zuerſt in dem
Februarvertrag von 1853 für das Verhältniß zwiſchen Oeſterreich und Preußen,
dann aber in dem franzöſiſchen Handelsvertrag mit England vom 23. Jan.
1860 und im franzöſiſch-deutſchen Zollvertrag vom 2. Aug. 1862; die Verträge
zwiſchen Frankreich und Belgien von 1854 gehören gleichfalls in dieſe Kategorie.
Es dürfte jedoch kaum zweifelhaft ſein, daß dieſe Epoche als eine im Weſent-
lichen überwundene zu gelten hat. Das Zollweſen Europas wird in nächſter
Zeit wieder die Selbſtändigkeit der einzelnen Länder zum Grunde
legen. Die Literatur iſt meiſt Parteiliteratur, die ſtreng wiſſenſchaftliche Be-
handlung beſchränkt ſich auf den Streit über das Princip, das Eingehen auf
ſyſtematiſche Behandlung fehlt. Die Nationalökonomie überläßt die Frage der
Volkswirthſchaftspflege, und dieſe ſelbſt iſt noch unfertig. Vergl. Rau, Volks-
wirthſchaftspflege II. §. 207 und 305 ff. Die bedeutendſte Arbeit bleibt der
Bericht der volkswirthſchaftlichen Commiſſion der württembergiſchen Kammer
über den preußiſch-franzöſiſchen Handelsvertrag (Moritz Mohl). J. G. Cotta’ſche
Buchhandlung 1864.
2) Das Handelsrecht.
Begriff, Princip und Inhalt.
Während nun in Handelsverträgen und Zollweſen der Handel als
internationaler Verkehr erſcheint, iſt das, was wir unter der Handels-
ordnung verſtehen, der Inhalt desjenigen, was die Verwaltung für
den inneren Handel zu leiſten hat.
So wie nämlich der Handel ſich in der Volkswirthſchaft zu ſelb-
ſtändigem Leben entwickelt, erzeugt er zwei Dinge, die ſpeciell ihn
und ſein Weſen enthalten und vertreten. Das erſte iſt eine neue
Geſtalt und ein neues Gebiet des Verkehrs und ſeines Rechts, ein
dem Handel als ſolchem angehöriges Vertragsrecht, das wir im
engeren Sinne des Wortes das Handelsrecht nennen. Das zweite
ſind ſpecielle, ſelbſtändige Anſtalten und Formen des Handels, die
gleichfalls ihre eigene Ordnung fordern. Allerdings nun erzeugt ſich
das im Handel raſtlos thätige und auf jedem Punkte lebendige Einzel-
intereſſe der Unternehmungen beider mit eigener Thätigkeit; allein die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/400>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.