bedeutende Stelle in der Geschichte Europas. Sie ist es zuerst, welche durch den innigen Zusammenhang des Handels mit der gesammten Volkswirthschaft die letztere mit ihren statistischen Thatsachen und ihren organischen Gesetzen zum Gegenstande des Nachdenkens gemacht, und das volkswirthschaftliche Bewußtsein der europäischen Staaten erzeugt hat, das ihnen von da an geblieben ist. Sie ist es aber auch ferner, welche im Gesammtverkehr Europas die beiden großen Maß- regeln ins Leben rief, an die sich die individuelle Gestaltung des volkswirthschaftlichen Lebens angeschlossen hat. Die erste besteht in dem Auftreten der Handelsverträge, die zweite in dem, in ihrem Sinne entwickelten systematischen Zollwesen, das, von dem Schutzzollsystem wesentlich verschieden, in der Prohibition und den Ausfuhrprämien culminirt, und nicht die Industrie, sondern das Geld der Unterthanen schützen will. In dieser Richtung werden große Anstrengungen gemacht; allein noch fehlt das Bewußtsein, daß die wahre Quelle der Entwick- lung des Handels nicht in den Maßregeln der Regierung für den Handel als solchen, sondern in einem höheren Gebiete liege.
II. Dieses höhere Gebiet betritt nun die zweite Epoche, die wir als die der Handelsfreiheit bezeichnen. Ihre Grundlage ist die Erkenntniß, daß die erste Voraussetzung der Blüthe des Handels nach der Natur desselben die freie Bewegung der Handelsunternehmungen selbst sein müsse. Sie beginnt mit dem vorigen Jahrhundert. Ihren ersten, noch negativen Ausdruck bildet die physiokratische Schule, ihren zweiten die Lehre von Adam Smith, dessen Hauptverdienst es ist, zu- erst den inneren Zusammenhang der Industrie mit dem Handel und die Folgen des Prohibitiv- und Privilegiensystems für die Entwicklung der Volkswirthschaft zum Bewußtsein gebracht zu haben. Von da an zeichnen sich in dem Verhältniß der Verwaltung zum Handel drei Grund- richtungen ab, die zugleich in historischem Verhältniß zu einander stehen. Die erste ist das Auftreten des schon am Ende des vorigen Jahrhunderts zur Klarheit gelangenden Princips der Handelsfreiheit, welche nicht die Beseitigung der Schutzzölle, sondern die Freiheit der Handelsunter- nehmungen überhaupt, und die grundsätzliche Beseitigung aller Monopole, Privilegien und örtlichen Gerechtsame bedeutet, welche die Bewegung des Handels hemmen. Die zweite ist die neue Tendenz der Handels- verträge, welche seit dem neunzehnten Jahrhundert nicht mehr dar- auf berechnet sind, besondere Vortheile für einzelne Nationen zu erzielen, sondern vielmehr die Gleichheit aller Unternehmungen im Handelsverkehr zu verwirklichen. Die dritte endlich ist der Kampf zwischen Schutzzoll und Freihandel, aus welchem das rationelle Zollsystem und die Erkenntniß der Gesetze hervorgeht, nach denen
bedeutende Stelle in der Geſchichte Europas. Sie iſt es zuerſt, welche durch den innigen Zuſammenhang des Handels mit der geſammten Volkswirthſchaft die letztere mit ihren ſtatiſtiſchen Thatſachen und ihren organiſchen Geſetzen zum Gegenſtande des Nachdenkens gemacht, und das volkswirthſchaftliche Bewußtſein der europäiſchen Staaten erzeugt hat, das ihnen von da an geblieben iſt. Sie iſt es aber auch ferner, welche im Geſammtverkehr Europas die beiden großen Maß- regeln ins Leben rief, an die ſich die individuelle Geſtaltung des volkswirthſchaftlichen Lebens angeſchloſſen hat. Die erſte beſteht in dem Auftreten der Handelsverträge, die zweite in dem, in ihrem Sinne entwickelten ſyſtematiſchen Zollweſen, das, von dem Schutzzollſyſtem weſentlich verſchieden, in der Prohibition und den Ausfuhrprämien culminirt, und nicht die Induſtrie, ſondern das Geld der Unterthanen ſchützen will. In dieſer Richtung werden große Anſtrengungen gemacht; allein noch fehlt das Bewußtſein, daß die wahre Quelle der Entwick- lung des Handels nicht in den Maßregeln der Regierung für den Handel als ſolchen, ſondern in einem höheren Gebiete liege.
II. Dieſes höhere Gebiet betritt nun die zweite Epoche, die wir als die der Handelsfreiheit bezeichnen. Ihre Grundlage iſt die Erkenntniß, daß die erſte Vorausſetzung der Blüthe des Handels nach der Natur deſſelben die freie Bewegung der Handelsunternehmungen ſelbſt ſein müſſe. Sie beginnt mit dem vorigen Jahrhundert. Ihren erſten, noch negativen Ausdruck bildet die phyſiokratiſche Schule, ihren zweiten die Lehre von Adam Smith, deſſen Hauptverdienſt es iſt, zu- erſt den inneren Zuſammenhang der Induſtrie mit dem Handel und die Folgen des Prohibitiv- und Privilegienſyſtems für die Entwicklung der Volkswirthſchaft zum Bewußtſein gebracht zu haben. Von da an zeichnen ſich in dem Verhältniß der Verwaltung zum Handel drei Grund- richtungen ab, die zugleich in hiſtoriſchem Verhältniß zu einander ſtehen. Die erſte iſt das Auftreten des ſchon am Ende des vorigen Jahrhunderts zur Klarheit gelangenden Princips der Handelsfreiheit, welche nicht die Beſeitigung der Schutzzölle, ſondern die Freiheit der Handelsunter- nehmungen überhaupt, und die grundſätzliche Beſeitigung aller Monopole, Privilegien und örtlichen Gerechtſame bedeutet, welche die Bewegung des Handels hemmen. Die zweite iſt die neue Tendenz der Handels- verträge, welche ſeit dem neunzehnten Jahrhundert nicht mehr dar- auf berechnet ſind, beſondere Vortheile für einzelne Nationen zu erzielen, ſondern vielmehr die Gleichheit aller Unternehmungen im Handelsverkehr zu verwirklichen. Die dritte endlich iſt der Kampf zwiſchen Schutzzoll und Freihandel, aus welchem das rationelle Zollſyſtem und die Erkenntniß der Geſetze hervorgeht, nach denen
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bedeutende Stelle in der Geſchichte Europas. Sie iſt es zuerſt, welche
durch den innigen Zuſammenhang des Handels mit der geſammten
Volkswirthſchaft die letztere mit ihren ſtatiſtiſchen Thatſachen und ihren
organiſchen Geſetzen zum Gegenſtande des Nachdenkens gemacht, und
das volkswirthſchaftliche Bewußtſein der europäiſchen Staaten
erzeugt hat, das ihnen von da an geblieben iſt. Sie iſt es aber auch
ferner, welche im Geſammtverkehr Europas die beiden großen Maß-
regeln ins Leben rief, an die ſich die individuelle Geſtaltung des
volkswirthſchaftlichen Lebens angeſchloſſen hat. Die erſte beſteht in dem
Auftreten der Handelsverträge, die zweite in dem, in ihrem Sinne
entwickelten ſyſtematiſchen Zollweſen, das, von dem Schutzzollſyſtem
weſentlich verſchieden, in der Prohibition und den Ausfuhrprämien
culminirt, und nicht die Induſtrie, ſondern das Geld der Unterthanen
ſchützen will. In dieſer Richtung werden große Anſtrengungen gemacht;
allein noch fehlt das Bewußtſein, daß die wahre Quelle der Entwick-
lung des Handels nicht in den Maßregeln der Regierung für den
Handel als ſolchen, ſondern in einem höheren Gebiete liege.
II. Dieſes höhere Gebiet betritt nun die zweite Epoche, die wir
als die der Handelsfreiheit bezeichnen. Ihre Grundlage iſt die
Erkenntniß, daß die erſte Vorausſetzung der Blüthe des Handels nach
der Natur deſſelben die freie Bewegung der Handelsunternehmungen
ſelbſt ſein müſſe. Sie beginnt mit dem vorigen Jahrhundert. Ihren
erſten, noch negativen Ausdruck bildet die phyſiokratiſche Schule, ihren
zweiten die Lehre von Adam Smith, deſſen Hauptverdienſt es iſt, zu-
erſt den inneren Zuſammenhang der Induſtrie mit dem Handel und
die Folgen des Prohibitiv- und Privilegienſyſtems für die Entwicklung
der Volkswirthſchaft zum Bewußtſein gebracht zu haben. Von da an
zeichnen ſich in dem Verhältniß der Verwaltung zum Handel drei Grund-
richtungen ab, die zugleich in hiſtoriſchem Verhältniß zu einander ſtehen.
Die erſte iſt das Auftreten des ſchon am Ende des vorigen Jahrhunderts
zur Klarheit gelangenden Princips der Handelsfreiheit, welche nicht
die Beſeitigung der Schutzzölle, ſondern die Freiheit der Handelsunter-
nehmungen überhaupt, und die grundſätzliche Beſeitigung aller Monopole,
Privilegien und örtlichen Gerechtſame bedeutet, welche die Bewegung
des Handels hemmen. Die zweite iſt die neue Tendenz der Handels-
verträge, welche ſeit dem neunzehnten Jahrhundert nicht mehr dar-
auf berechnet ſind, beſondere Vortheile für einzelne Nationen zu
erzielen, ſondern vielmehr die Gleichheit aller Unternehmungen im
Handelsverkehr zu verwirklichen. Die dritte endlich iſt der Kampf
zwiſchen Schutzzoll und Freihandel, aus welchem das rationelle
Zollſyſtem und die Erkenntniß der Geſetze hervorgeht, nach denen
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/390>, abgerufen am 22.11.2024.
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