Die Organisation der Industrie ist nun ihrem formalen Begriff nach die Gesammtheit der Organe, welche einerseits die Interessen der Industrie vertreten, und andererseits das Recht derselben bilden. Das vorige Jahrhundert steht dabei noch auf dem Standpunkt, die Organe der Regierung zur Hauptsache zu machen; die "Gesellschaften" treten jedoch schon damals neben der Regierung auf, wenn auch in sehr un- bestimmter Gestalt und mit unklarem Recht. Erst mit unserem Jahr- hundert und seiner unwiderstehlichen Selbstthätigkeit des Capitals erscheint das Vereinswesen als Grundlage dessen, was wir die Organisation der Industrie nennen müssen. Die Macht und Thätigkeit desselben, einmal zum Flusse gelangend, ist nun so groß, daß die Stel- lung der Regierung dadurch eine ganz andere wird. Denn gerade in diesem Vereine ist neben, ja über dem großen Gesammtinteresse zugleich das Sonderinteresse der bestimmten Unternehmungen und indu- striellen Gebiete thätig und es wird daher jetzt neben der Aufgabe der Regierung, alles Wichtige und Förderliche selbst zu thun, die zweite und nicht leichtere, dem durch die einzelnen Vereine vertretenen Sonder- interesse im Namen des Gesammtinteresses seine Gränzen zu setzen. Und zwar gewinnt diese Wahrheit ihre ganze Bedeutung erst dann, wenn man festhält, daß die Entwicklung der Industrie eben zugleich ein Kampf von Capital und Arbeit ist, der wie alles andere wesent- lich durch die Entwicklung des wirthschaftlichen Vereinswesens der Ca- pitalien zu den gesellschaftlichen Vereinen der Arbeiter seinen Ausdruck findet. Während daher die Sorge für das Capital fast ganz der Re- gierung durch die erste Art von Vereinen genommen ist, wird die Auf- gabe derselben durch die letztere eine doppelt schwierige. Und so hat sich hier ein ganz eigenthümlicher Organismus herausgebildet, dessen Elemente im Handelsministerium als Haupt der Regierungsthätigkeit, in den Handels- und Gewerbekammern als Formen der Selbstverwal- tung, und im Vereinswesen für Capital und Arbeit bestehen, und dessen Funktion und Charakter gerade durch das letztere als ein noch wesentlich unfertiger, im Werden begriffener betrachtet werden muß. In der That ist die wirkliche Verwaltung der Industrie das Gebiet, auf welchem dieser Charakter zu studiren ist.
Vielleicht in keinem Theile der ganzen Verwaltung tritt so sehr der Cha- rakter der einzelnen Staaten zu Tage, als in dem Gebiete der Industrie; nur muß das Einzelne einer genaueren Untersuchung unterzogen werden. In Eng- land liegt der Schwerpunkt im Vereinswesen und zwar nach allen Richtungen; in Frankreich stellt sich dagegen die Regierung an die Spitze, und läßt der
a) Organiſation.
Die Organiſation der Induſtrie iſt nun ihrem formalen Begriff nach die Geſammtheit der Organe, welche einerſeits die Intereſſen der Induſtrie vertreten, und andererſeits das Recht derſelben bilden. Das vorige Jahrhundert ſteht dabei noch auf dem Standpunkt, die Organe der Regierung zur Hauptſache zu machen; die „Geſellſchaften“ treten jedoch ſchon damals neben der Regierung auf, wenn auch in ſehr un- beſtimmter Geſtalt und mit unklarem Recht. Erſt mit unſerem Jahr- hundert und ſeiner unwiderſtehlichen Selbſtthätigkeit des Capitals erſcheint das Vereinsweſen als Grundlage deſſen, was wir die Organiſation der Induſtrie nennen müſſen. Die Macht und Thätigkeit deſſelben, einmal zum Fluſſe gelangend, iſt nun ſo groß, daß die Stel- lung der Regierung dadurch eine ganz andere wird. Denn gerade in dieſem Vereine iſt neben, ja über dem großen Geſammtintereſſe zugleich das Sonderintereſſe der beſtimmten Unternehmungen und indu- ſtriellen Gebiete thätig und es wird daher jetzt neben der Aufgabe der Regierung, alles Wichtige und Förderliche ſelbſt zu thun, die zweite und nicht leichtere, dem durch die einzelnen Vereine vertretenen Sonder- intereſſe im Namen des Geſammtintereſſes ſeine Gränzen zu ſetzen. Und zwar gewinnt dieſe Wahrheit ihre ganze Bedeutung erſt dann, wenn man feſthält, daß die Entwicklung der Induſtrie eben zugleich ein Kampf von Capital und Arbeit iſt, der wie alles andere weſent- lich durch die Entwicklung des wirthſchaftlichen Vereinsweſens der Ca- pitalien zu den geſellſchaftlichen Vereinen der Arbeiter ſeinen Ausdruck findet. Während daher die Sorge für das Capital faſt ganz der Re- gierung durch die erſte Art von Vereinen genommen iſt, wird die Auf- gabe derſelben durch die letztere eine doppelt ſchwierige. Und ſo hat ſich hier ein ganz eigenthümlicher Organismus herausgebildet, deſſen Elemente im Handelsminiſterium als Haupt der Regierungsthätigkeit, in den Handels- und Gewerbekammern als Formen der Selbſtverwal- tung, und im Vereinsweſen für Capital und Arbeit beſtehen, und deſſen Funktion und Charakter gerade durch das letztere als ein noch weſentlich unfertiger, im Werden begriffener betrachtet werden muß. In der That iſt die wirkliche Verwaltung der Induſtrie das Gebiet, auf welchem dieſer Charakter zu ſtudiren iſt.
Vielleicht in keinem Theile der ganzen Verwaltung tritt ſo ſehr der Cha- rakter der einzelnen Staaten zu Tage, als in dem Gebiete der Induſtrie; nur muß das Einzelne einer genaueren Unterſuchung unterzogen werden. In Eng- land liegt der Schwerpunkt im Vereinsweſen und zwar nach allen Richtungen; in Frankreich ſtellt ſich dagegen die Regierung an die Spitze, und läßt der
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Die Organiſation der Induſtrie iſt nun ihrem formalen Begriff
nach die Geſammtheit der Organe, welche einerſeits die Intereſſen der
Induſtrie vertreten, und andererſeits das Recht derſelben bilden. Das
vorige Jahrhundert ſteht dabei noch auf dem Standpunkt, die Organe
der Regierung zur Hauptſache zu machen; die „Geſellſchaften“ treten
jedoch ſchon damals neben der Regierung auf, wenn auch in ſehr un-
beſtimmter Geſtalt und mit unklarem Recht. Erſt mit unſerem Jahr-
hundert und ſeiner unwiderſtehlichen Selbſtthätigkeit des Capitals
erſcheint das Vereinsweſen als Grundlage deſſen, was wir die
Organiſation der Induſtrie nennen müſſen. Die Macht und Thätigkeit
deſſelben, einmal zum Fluſſe gelangend, iſt nun ſo groß, daß die Stel-
lung der Regierung dadurch eine ganz andere wird. Denn gerade in
dieſem Vereine iſt neben, ja über dem großen Geſammtintereſſe zugleich
das Sonderintereſſe der beſtimmten Unternehmungen und indu-
ſtriellen Gebiete thätig und es wird daher jetzt neben der Aufgabe der
Regierung, alles Wichtige und Förderliche ſelbſt zu thun, die zweite
und nicht leichtere, dem durch die einzelnen Vereine vertretenen Sonder-
intereſſe im Namen des Geſammtintereſſes ſeine Gränzen zu ſetzen.
Und zwar gewinnt dieſe Wahrheit ihre ganze Bedeutung erſt dann,
wenn man feſthält, daß die Entwicklung der Induſtrie eben zugleich
ein Kampf von Capital und Arbeit iſt, der wie alles andere weſent-
lich durch die Entwicklung des wirthſchaftlichen Vereinsweſens der Ca-
pitalien zu den geſellſchaftlichen Vereinen der Arbeiter ſeinen Ausdruck
findet. Während daher die Sorge für das Capital faſt ganz der Re-
gierung durch die erſte Art von Vereinen genommen iſt, wird die Auf-
gabe derſelben durch die letztere eine doppelt ſchwierige. Und ſo hat
ſich hier ein ganz eigenthümlicher Organismus herausgebildet, deſſen
Elemente im Handelsminiſterium als Haupt der Regierungsthätigkeit,
in den Handels- und Gewerbekammern als Formen der Selbſtverwal-
tung, und im Vereinsweſen für Capital und Arbeit beſtehen, und
deſſen Funktion und Charakter gerade durch das letztere als ein noch
weſentlich unfertiger, im Werden begriffener betrachtet werden muß.
In der That iſt die wirkliche Verwaltung der Induſtrie das Gebiet,
auf welchem dieſer Charakter zu ſtudiren iſt.
Vielleicht in keinem Theile der ganzen Verwaltung tritt ſo ſehr der Cha-
rakter der einzelnen Staaten zu Tage, als in dem Gebiete der Induſtrie; nur
muß das Einzelne einer genaueren Unterſuchung unterzogen werden. In Eng-
land liegt der Schwerpunkt im Vereinsweſen und zwar nach allen Richtungen;
in Frankreich ſtellt ſich dagegen die Regierung an die Spitze, und läßt der
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/379>, abgerufen am 19.11.2024.
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