Recht enthält daher die Gesammtheit der Begränzungen der Einzelnen durch ihre Einheit mit der Persönlichkeit des Staats.
Da nun der Staat ein organisches Wesen ist, so folgt, daß jedes seiner organischen Elemente wieder sein eigenes Recht hat.
So entsteht der Begriff des Systems des öffentlichen Rechts, das wir das Staatsrecht nennen, indem es das Recht der Persön- lichkeit des Staats ist. Das Staatsrecht enthält daher das Recht des Staatsoberhaupts, das Recht der Verfassung und das Recht der Ver- waltung, und innerhalb des letzteren das Recht der vollziehenden Ge- walt und der eigentlichen Verwaltung. Und auch hier wieder ist es klar, daß die Rechtskunde die Kenntniß der positiv bestehenden Rechts- normen ist, während die Rechtswissenschaft dieselben aus dem Wesen des Staats entwickelt. Die Wissenschaft des Verwaltungs- rechts zeigt daher das Recht der Verwaltung im weitesten Sinne als Consequenz und Bedingung der Funktionen, welche wir die Verwaltung nennen; die Wissenschaft des Verwaltungsrechts ist daher keine selb- ständige Wissenschaft, sondern das Correlat der Verwaltungslehre -- die Verwaltung als rechtlich anerkannte Thatsache neben der Verwaltung als organische Funktion. Dieß sind die formalen Grundbegriffe des Rechtssystems; und es ergibt sich somit, daß es kein eigenes Rechts- system der Verwaltung geben kann, sondern daß das Rechtssystem der- selben mit ihrem organischen System identisch ist und sein muß.
B.Die Elemente der Rechtsgeschichte. Das Eine, was bei dieser Auffassung ungelöst bleibt, ist nun die Frage nach dem Wechsel des Rechts. Der allgemeine Begriff des Werdens aller Persönlichkeit, also auch des Staats, erklärt zwar die Verschiedenheit, nicht aber den Inhalt desselben. Von allen Gebieten des Rechts wechselt aber das Verwaltungsrecht am meisten. Hier am wenigsten reichen daher Rechts- kunde und Rechtswissenschaft aus. Erst die zur Wissenschaft erhobene Geschichte des Rechts gibt das Verständniß dieses zum Theil höchst interessanten Wechsels von Erscheinungen, welche das ganze Leben der Rechtsbildung in der Verwaltung durchdringen.
Die Grundlage dieser Wissenschaft, die hier vorausgesetzt werden muß, ist nun die Wissenschaft der Gesellschaft.
Die Gesellschaft hat drei große Grundformen, die sich in der ganzen Welt wiederholen, oft in der wechselndsten Weise verbunden und ver- mengt sind, oft in den stärksten Kämpfen einander entgegentreten. Die erste dieser Formen ist die Geschlechterordnung, deren Lebens- princip die Einheit der Menschen unter einander auf Grundlage der gemeinsamen Abstammung ist; die zweite ist die ständische Ordnung, in welcher die Gemeinschaft des Berufes die Grundlage und der Zweck
Recht enthält daher die Geſammtheit der Begränzungen der Einzelnen durch ihre Einheit mit der Perſönlichkeit des Staats.
Da nun der Staat ein organiſches Weſen iſt, ſo folgt, daß jedes ſeiner organiſchen Elemente wieder ſein eigenes Recht hat.
So entſteht der Begriff des Syſtems des öffentlichen Rechts, das wir das Staatsrecht nennen, indem es das Recht der Perſön- lichkeit des Staats iſt. Das Staatsrecht enthält daher das Recht des Staatsoberhaupts, das Recht der Verfaſſung und das Recht der Ver- waltung, und innerhalb des letzteren das Recht der vollziehenden Ge- walt und der eigentlichen Verwaltung. Und auch hier wieder iſt es klar, daß die Rechtskunde die Kenntniß der poſitiv beſtehenden Rechts- normen iſt, während die Rechtswiſſenſchaft dieſelben aus dem Weſen des Staats entwickelt. Die Wiſſenſchaft des Verwaltungs- rechts zeigt daher das Recht der Verwaltung im weiteſten Sinne als Conſequenz und Bedingung der Funktionen, welche wir die Verwaltung nennen; die Wiſſenſchaft des Verwaltungsrechts iſt daher keine ſelb- ſtändige Wiſſenſchaft, ſondern das Correlat der Verwaltungslehre — die Verwaltung als rechtlich anerkannte Thatſache neben der Verwaltung als organiſche Funktion. Dieß ſind die formalen Grundbegriffe des Rechtsſyſtems; und es ergibt ſich ſomit, daß es kein eigenes Rechts- ſyſtem der Verwaltung geben kann, ſondern daß das Rechtsſyſtem der- ſelben mit ihrem organiſchen Syſtem identiſch iſt und ſein muß.
B.Die Elemente der Rechtsgeſchichte. Das Eine, was bei dieſer Auffaſſung ungelöst bleibt, iſt nun die Frage nach dem Wechſel des Rechts. Der allgemeine Begriff des Werdens aller Perſönlichkeit, alſo auch des Staats, erklärt zwar die Verſchiedenheit, nicht aber den Inhalt deſſelben. Von allen Gebieten des Rechts wechſelt aber das Verwaltungsrecht am meiſten. Hier am wenigſten reichen daher Rechts- kunde und Rechtswiſſenſchaft aus. Erſt die zur Wiſſenſchaft erhobene Geſchichte des Rechts gibt das Verſtändniß dieſes zum Theil höchſt intereſſanten Wechſels von Erſcheinungen, welche das ganze Leben der Rechtsbildung in der Verwaltung durchdringen.
Die Grundlage dieſer Wiſſenſchaft, die hier vorausgeſetzt werden muß, iſt nun die Wiſſenſchaft der Geſellſchaft.
Die Geſellſchaft hat drei große Grundformen, die ſich in der ganzen Welt wiederholen, oft in der wechſelndſten Weiſe verbunden und ver- mengt ſind, oft in den ſtärkſten Kämpfen einander entgegentreten. Die erſte dieſer Formen iſt die Geſchlechterordnung, deren Lebens- princip die Einheit der Menſchen unter einander auf Grundlage der gemeinſamen Abſtammung iſt; die zweite iſt die ſtändiſche Ordnung, in welcher die Gemeinſchaft des Berufes die Grundlage und der Zweck
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Recht enthält daher die Geſammtheit der Begränzungen der Einzelnen
durch ihre Einheit mit der Perſönlichkeit des Staats.
Da nun der Staat ein organiſches Weſen iſt, ſo folgt, daß jedes
ſeiner organiſchen Elemente wieder ſein eigenes Recht hat.
So entſteht der Begriff des Syſtems des öffentlichen Rechts,
das wir das Staatsrecht nennen, indem es das Recht der Perſön-
lichkeit des Staats iſt. Das Staatsrecht enthält daher das Recht des
Staatsoberhaupts, das Recht der Verfaſſung und das Recht der Ver-
waltung, und innerhalb des letzteren das Recht der vollziehenden Ge-
walt und der eigentlichen Verwaltung. Und auch hier wieder iſt es
klar, daß die Rechtskunde die Kenntniß der poſitiv beſtehenden Rechts-
normen iſt, während die Rechtswiſſenſchaft dieſelben aus dem Weſen
des Staats entwickelt. Die Wiſſenſchaft des Verwaltungs-
rechts zeigt daher das Recht der Verwaltung im weiteſten Sinne als
Conſequenz und Bedingung der Funktionen, welche wir die Verwaltung
nennen; die Wiſſenſchaft des Verwaltungsrechts iſt daher keine ſelb-
ſtändige Wiſſenſchaft, ſondern das Correlat der Verwaltungslehre —
die Verwaltung als rechtlich anerkannte Thatſache neben der Verwaltung
als organiſche Funktion. Dieß ſind die formalen Grundbegriffe des
Rechtsſyſtems; und es ergibt ſich ſomit, daß es kein eigenes Rechts-
ſyſtem der Verwaltung geben kann, ſondern daß das Rechtsſyſtem der-
ſelben mit ihrem organiſchen Syſtem identiſch iſt und ſein muß.
B. Die Elemente der Rechtsgeſchichte. Das Eine, was bei
dieſer Auffaſſung ungelöst bleibt, iſt nun die Frage nach dem Wechſel
des Rechts. Der allgemeine Begriff des Werdens aller Perſönlichkeit,
alſo auch des Staats, erklärt zwar die Verſchiedenheit, nicht aber den
Inhalt deſſelben. Von allen Gebieten des Rechts wechſelt aber das
Verwaltungsrecht am meiſten. Hier am wenigſten reichen daher Rechts-
kunde und Rechtswiſſenſchaft aus. Erſt die zur Wiſſenſchaft erhobene
Geſchichte des Rechts gibt das Verſtändniß dieſes zum Theil höchſt
intereſſanten Wechſels von Erſcheinungen, welche das ganze Leben der
Rechtsbildung in der Verwaltung durchdringen.
Die Grundlage dieſer Wiſſenſchaft, die hier vorausgeſetzt werden
muß, iſt nun die Wiſſenſchaft der Geſellſchaft.
Die Geſellſchaft hat drei große Grundformen, die ſich in der ganzen
Welt wiederholen, oft in der wechſelndſten Weiſe verbunden und ver-
mengt ſind, oft in den ſtärkſten Kämpfen einander entgegentreten.
Die erſte dieſer Formen iſt die Geſchlechterordnung, deren Lebens-
princip die Einheit der Menſchen unter einander auf Grundlage der
gemeinſamen Abſtammung iſt; die zweite iſt die ſtändiſche Ordnung,
in welcher die Gemeinſchaft des Berufes die Grundlage und der Zweck
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/35>, abgerufen am 16.07.2024.
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