Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

eigentlich ihre Geschichte bildet; ihre wesentliche Fundation war die dadurch
entstandene Schuld des Staates an die Bank, durch welche sie so innig
mit der Finanzverwaltung zusammenhängt. (Vergl. J. v. Hauer, Beiträge
zur Geschichte der österr. Finanzen und Bidermann, die Wiener Stadtbank.
1859.) Die Errichtung der Creditanstalt schied dann definitiv den Unternehmungs-
credit vom Zahlungscredit. -- Die übrigen deutschen "Banken" bilden nur eine
Anzahl von Instituten, von denen die meisten zugleich Unternehmungscredit
gewähren, und einige sogar direkt durch ihre Statuten dazu verpflichtet sind,
während über die Notenemission und Fundation durchaus kein gemeinsames
Princip existirt, vielmehr die widersprechendsten Grundsätze zur Geltung gelangt
sind. Das ist nur erklärlich durch den Mangel einheitlicher Gesetzgebung in
Deutschland, und wird ohne dieselbe auch nicht besser werden. Von einem
deutschen Bankrecht oder Bankwesen kann dabei keine Rede sein (s. das Material
bei Hübner; die Zusammenstellung bei Stein S. 155 ff.).

II. Der Unternehmungscredit und sein öffentliches Recht.
Wirthschaftliche Funktion.

Ursprünglich nun erscheint in der Volkswirthschaft das Creditwesen
mit dem Darlehen einerseits und dem Zahlungscredit andererseits er-
schöpft. Allein das Darlehen beruht auf einem bestehenden Vermögen,
und der Zahlungscredit auf einem abgeschlossenen Geschäft. Wo daher
eine künftige Unternehmung für Anlage und Betrieb Credit sucht,
genügen beide nicht. Die neue Unternehmung sucht eine andere Art
des Credits. Das Wesen dieses Credits besteht darin, daß derselbe
seine Sicherheit in dem Werthe der Unternehmung an sich, und seine
Verzinsung in dem Ertrage derselben sucht, während er die Rückzahlung
nur als gewöhnliche industrielle Amortisation der Anlage betrachtet.
Er erscheint daher nicht als ein Darlehen eines Gläubigers an einen
Schuldner, sondern als eine Betheiligung eines Capitals an einem
Unternehmen. Er kann daher zu seiner Entwicklung weder durch die
Anstalten für Darlehen, noch durch Realcredit, noch durch Zahlungs-
credit gelangen, sondern fordert und erzeugt sich seinen eigenen Kreis
von Organen, deren Lebensprincip nach dem Obigen nicht bloß das
Hingeben eines Capitals, sondern die Theilnahme der Creditoren an
der Unternehmung selbst ist; das ist, der Unternehmungscredit wird,
unentwickelt in vielen Darlehen liegend und meist nur durch die Höhe
des Zinsfußes angedeutet (foenus nauticum) erst durch das Gesell-
schaftswesen zu einer selbständigen Creditform
, die alsbald
neben Zahlungs- und Vorschußcredit eine mächtige und wichtige Stelle
in der ganzen Volkswirthschaft einnimmt. Das Entstehen und die
Organisirung des Unternehmungscredits muß daher zunächst als ein
naturgemäßer Proceß des volkswirthschaftlichen Lebens betrachtet werden.

eigentlich ihre Geſchichte bildet; ihre weſentliche Fundation war die dadurch
entſtandene Schuld des Staates an die Bank, durch welche ſie ſo innig
mit der Finanzverwaltung zuſammenhängt. (Vergl. J. v. Hauer, Beiträge
zur Geſchichte der öſterr. Finanzen und Bidermann, die Wiener Stadtbank.
1859.) Die Errichtung der Creditanſtalt ſchied dann definitiv den Unternehmungs-
credit vom Zahlungscredit. — Die übrigen deutſchen „Banken“ bilden nur eine
Anzahl von Inſtituten, von denen die meiſten zugleich Unternehmungscredit
gewähren, und einige ſogar direkt durch ihre Statuten dazu verpflichtet ſind,
während über die Notenemiſſion und Fundation durchaus kein gemeinſames
Princip exiſtirt, vielmehr die widerſprechendſten Grundſätze zur Geltung gelangt
ſind. Das iſt nur erklärlich durch den Mangel einheitlicher Geſetzgebung in
Deutſchland, und wird ohne dieſelbe auch nicht beſſer werden. Von einem
deutſchen Bankrecht oder Bankweſen kann dabei keine Rede ſein (ſ. das Material
bei Hübner; die Zuſammenſtellung bei Stein S. 155 ff.).

II. Der Unternehmungscredit und ſein öffentliches Recht.
Wirthſchaftliche Funktion.

Urſprünglich nun erſcheint in der Volkswirthſchaft das Creditweſen
mit dem Darlehen einerſeits und dem Zahlungscredit andererſeits er-
ſchöpft. Allein das Darlehen beruht auf einem beſtehenden Vermögen,
und der Zahlungscredit auf einem abgeſchloſſenen Geſchäft. Wo daher
eine künftige Unternehmung für Anlage und Betrieb Credit ſucht,
genügen beide nicht. Die neue Unternehmung ſucht eine andere Art
des Credits. Das Weſen dieſes Credits beſteht darin, daß derſelbe
ſeine Sicherheit in dem Werthe der Unternehmung an ſich, und ſeine
Verzinſung in dem Ertrage derſelben ſucht, während er die Rückzahlung
nur als gewöhnliche induſtrielle Amortiſation der Anlage betrachtet.
Er erſcheint daher nicht als ein Darlehen eines Gläubigers an einen
Schuldner, ſondern als eine Betheiligung eines Capitals an einem
Unternehmen. Er kann daher zu ſeiner Entwicklung weder durch die
Anſtalten für Darlehen, noch durch Realcredit, noch durch Zahlungs-
credit gelangen, ſondern fordert und erzeugt ſich ſeinen eigenen Kreis
von Organen, deren Lebensprincip nach dem Obigen nicht bloß das
Hingeben eines Capitals, ſondern die Theilnahme der Creditoren an
der Unternehmung ſelbſt iſt; das iſt, der Unternehmungscredit wird,
unentwickelt in vielen Darlehen liegend und meiſt nur durch die Höhe
des Zinsfußes angedeutet (foenus nauticum) erſt durch das Geſell-
ſchaftsweſen zu einer ſelbſtändigen Creditform
, die alsbald
neben Zahlungs- und Vorſchußcredit eine mächtige und wichtige Stelle
in der ganzen Volkswirthſchaft einnimmt. Das Entſtehen und die
Organiſirung des Unternehmungscredits muß daher zunächſt als ein
naturgemäßer Proceß des volkswirthſchaftlichen Lebens betrachtet werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0324" n="300"/>
eigentlich ihre Ge&#x017F;chichte bildet; ihre we&#x017F;entliche Fundation war die dadurch<lb/>
ent&#x017F;tandene <hi rendition="#g">Schuld des Staates an die Bank</hi>, durch welche &#x017F;ie &#x017F;o innig<lb/>
mit der Finanzverwaltung zu&#x017F;ammenhängt. (Vergl. J. v. <hi rendition="#g">Hauer</hi>, Beiträge<lb/>
zur Ge&#x017F;chichte der ö&#x017F;terr. Finanzen und <hi rendition="#g">Bidermann</hi>, die Wiener Stadtbank.<lb/>
1859.) Die Errichtung der Creditan&#x017F;talt &#x017F;chied dann definitiv den Unternehmungs-<lb/>
credit vom Zahlungscredit. &#x2014; Die übrigen deut&#x017F;chen &#x201E;Banken&#x201C; bilden nur eine<lb/>
Anzahl von In&#x017F;tituten, von denen die mei&#x017F;ten zugleich Unternehmungscredit<lb/>
gewähren, und einige &#x017F;ogar direkt durch ihre Statuten dazu verpflichtet &#x017F;ind,<lb/>
während über die Notenemi&#x017F;&#x017F;ion und Fundation durchaus kein gemein&#x017F;ames<lb/>
Princip exi&#x017F;tirt, vielmehr die wider&#x017F;prechend&#x017F;ten Grund&#x017F;ätze zur Geltung gelangt<lb/>
&#x017F;ind. Das i&#x017F;t nur erklärlich durch den Mangel einheitlicher Ge&#x017F;etzgebung in<lb/>
Deut&#x017F;chland, und wird ohne die&#x017F;elbe auch nicht be&#x017F;&#x017F;er werden. Von einem<lb/>
deut&#x017F;chen Bankrecht oder Bankwe&#x017F;en kann dabei keine Rede &#x017F;ein (&#x017F;. das Material<lb/>
bei <hi rendition="#g">Hübner</hi>; die Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung bei <hi rendition="#g">Stein</hi> S. 155 ff.).</p><lb/>
                    <p><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Der Unternehmungscredit und &#x017F;ein öffentliches Recht.</hi><lb/>
Wirth&#x017F;chaftliche Funktion.</p><lb/>
                    <p>Ur&#x017F;prünglich nun er&#x017F;cheint in der Volkswirth&#x017F;chaft das Creditwe&#x017F;en<lb/>
mit dem Darlehen einer&#x017F;eits und dem Zahlungscredit anderer&#x017F;eits er-<lb/>
&#x017F;chöpft. Allein das Darlehen beruht auf einem be&#x017F;tehenden Vermögen,<lb/>
und der Zahlungscredit auf einem abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Ge&#x017F;chäft. Wo daher<lb/>
eine <hi rendition="#g">künftige</hi> Unternehmung für Anlage und Betrieb Credit &#x017F;ucht,<lb/>
genügen beide nicht. Die neue Unternehmung &#x017F;ucht eine andere Art<lb/>
des Credits. Das We&#x017F;en die&#x017F;es Credits be&#x017F;teht darin, daß der&#x017F;elbe<lb/>
&#x017F;eine Sicherheit in dem Werthe der Unternehmung an &#x017F;ich, und &#x017F;eine<lb/>
Verzin&#x017F;ung in dem Ertrage der&#x017F;elben &#x017F;ucht, während er die Rückzahlung<lb/>
nur als gewöhnliche indu&#x017F;trielle Amorti&#x017F;ation der Anlage betrachtet.<lb/>
Er er&#x017F;cheint daher nicht als ein Darlehen eines Gläubigers an einen<lb/>
Schuldner, &#x017F;ondern als eine <hi rendition="#g">Betheiligung</hi> eines Capitals an einem<lb/>
Unternehmen. Er kann daher zu &#x017F;einer Entwicklung weder durch die<lb/>
An&#x017F;talten für Darlehen, noch durch Realcredit, noch durch Zahlungs-<lb/>
credit gelangen, &#x017F;ondern fordert und erzeugt &#x017F;ich &#x017F;einen eigenen Kreis<lb/>
von Organen, deren Lebensprincip nach dem Obigen nicht bloß das<lb/>
Hingeben eines Capitals, &#x017F;ondern die Theilnahme der Creditoren an<lb/>
der Unternehmung &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t; das i&#x017F;t, der Unternehmungscredit wird,<lb/>
unentwickelt in vielen Darlehen liegend und mei&#x017F;t nur durch die Höhe<lb/>
des Zinsfußes angedeutet <hi rendition="#aq">(foenus nauticum)</hi> er&#x017F;t durch das <hi rendition="#g">Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaftswe&#x017F;en zu einer &#x017F;elb&#x017F;tändigen Creditform</hi>, die alsbald<lb/>
neben Zahlungs- und Vor&#x017F;chußcredit eine mächtige und wichtige Stelle<lb/>
in der ganzen Volkswirth&#x017F;chaft einnimmt. Das Ent&#x017F;tehen und die<lb/>
Organi&#x017F;irung des Unternehmungscredits muß daher zunäch&#x017F;t als ein<lb/>
naturgemäßer Proceß des volkswirth&#x017F;chaftlichen Lebens betrachtet werden.</p><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0324] eigentlich ihre Geſchichte bildet; ihre weſentliche Fundation war die dadurch entſtandene Schuld des Staates an die Bank, durch welche ſie ſo innig mit der Finanzverwaltung zuſammenhängt. (Vergl. J. v. Hauer, Beiträge zur Geſchichte der öſterr. Finanzen und Bidermann, die Wiener Stadtbank. 1859.) Die Errichtung der Creditanſtalt ſchied dann definitiv den Unternehmungs- credit vom Zahlungscredit. — Die übrigen deutſchen „Banken“ bilden nur eine Anzahl von Inſtituten, von denen die meiſten zugleich Unternehmungscredit gewähren, und einige ſogar direkt durch ihre Statuten dazu verpflichtet ſind, während über die Notenemiſſion und Fundation durchaus kein gemeinſames Princip exiſtirt, vielmehr die widerſprechendſten Grundſätze zur Geltung gelangt ſind. Das iſt nur erklärlich durch den Mangel einheitlicher Geſetzgebung in Deutſchland, und wird ohne dieſelbe auch nicht beſſer werden. Von einem deutſchen Bankrecht oder Bankweſen kann dabei keine Rede ſein (ſ. das Material bei Hübner; die Zuſammenſtellung bei Stein S. 155 ff.). II. Der Unternehmungscredit und ſein öffentliches Recht. Wirthſchaftliche Funktion. Urſprünglich nun erſcheint in der Volkswirthſchaft das Creditweſen mit dem Darlehen einerſeits und dem Zahlungscredit andererſeits er- ſchöpft. Allein das Darlehen beruht auf einem beſtehenden Vermögen, und der Zahlungscredit auf einem abgeſchloſſenen Geſchäft. Wo daher eine künftige Unternehmung für Anlage und Betrieb Credit ſucht, genügen beide nicht. Die neue Unternehmung ſucht eine andere Art des Credits. Das Weſen dieſes Credits beſteht darin, daß derſelbe ſeine Sicherheit in dem Werthe der Unternehmung an ſich, und ſeine Verzinſung in dem Ertrage derſelben ſucht, während er die Rückzahlung nur als gewöhnliche induſtrielle Amortiſation der Anlage betrachtet. Er erſcheint daher nicht als ein Darlehen eines Gläubigers an einen Schuldner, ſondern als eine Betheiligung eines Capitals an einem Unternehmen. Er kann daher zu ſeiner Entwicklung weder durch die Anſtalten für Darlehen, noch durch Realcredit, noch durch Zahlungs- credit gelangen, ſondern fordert und erzeugt ſich ſeinen eigenen Kreis von Organen, deren Lebensprincip nach dem Obigen nicht bloß das Hingeben eines Capitals, ſondern die Theilnahme der Creditoren an der Unternehmung ſelbſt iſt; das iſt, der Unternehmungscredit wird, unentwickelt in vielen Darlehen liegend und meiſt nur durch die Höhe des Zinsfußes angedeutet (foenus nauticum) erſt durch das Geſell- ſchaftsweſen zu einer ſelbſtändigen Creditform, die alsbald neben Zahlungs- und Vorſchußcredit eine mächtige und wichtige Stelle in der ganzen Volkswirthſchaft einnimmt. Das Entſtehen und die Organiſirung des Unternehmungscredits muß daher zunächſt als ein naturgemäßer Proceß des volkswirthſchaftlichen Lebens betrachtet werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/324
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/324>, abgerufen am 25.11.2024.