Es ist kein Zweifel, daß die Vertheilung der Fähigkeit, die Capi- talien zu benützen, eine andere ist, als die Vertheilung der Capitalien selbst. Es ist kein Zweifel, daß das Capital in den Händen des Fähigen sowohl für diesen, als für den weniger fähigen Besitzer, als endlich durch beides für die Gemeinschaft am meisten leistet. Eine der ersten Bedingungen der höchsten wirthschaftlichen Entwicklung ist daher dasjenige Element, welches beständig dahin arbeitet, die Verwerthung des vorhandenen Capitals den Erwerbfähigsten zuzuführen. Dieses Element ist der Credit. Es ist daher zunächst kein Zweifel, daß der Beginn der Entwicklung des Credits zugleich der Beginn alles volks- wirthschaftlichen Aufschwunges ist. Allein der Credit ist eben so sehr ein gewaltiger gesellschaftlicher Faktor. Der tiefste Widerspruch aller gesellschaftlichen Zustände beruht nicht darauf, daß die persönliche Fähigkeit kein Capital besitzt, sondern daß sie nicht im Stande ist, zur Benützung des ihr entsprechenden Capitals zum Zwecke des Er- werbs zu gelangen. Der Credit ist es, der diesen Widerspruch löst. Der Credit gleicht nicht das Eigenthum aus, sondern den Besitz. Er gibt nicht die Gleichheit im Capital, wohl aber die Gleichheit im Er- werb; er ist es, der, indem er das Recht bestehen läßt, zugleich die gleiche Berechtigung der wirthschaftlichen Kraft gegenüber der Ungleich- heit des Vermögens verwirklicht. Er ist damit die Quelle des Erwerbs und der Capitalbildung durch seine Vertheilung der Capitalsbenützung nach der Tüchtigkeit und Thätigkeit der Persönlichkeit; durch ihn ge- langt jede Persönlichkeit zu so viel Capital, als sie zu besitzen wirklich werth ist; in ihm lebt daher an letzter Stelle etwas viel Höheres, als ein bloß wirthschaftliches Verkehrsverhältniß; er ist in der That die höchste Harmonie zwischen der unantastbaren Härte des Eigenthums- rechts und den unabweisbaren Forderungen der freien persönlichen Entwicklung; denn während das Capital zeigt, was jemand werth ge- wesen ist, gibt der Credit, was jemand werth ist. Der Credit ist daher bestimmt, durch seine wirthschaftlichen Gesetze die große sociale Frage des Gegensatzes zwischen Besitz und Arbeit zu lösen; in ihm lebt die Zukunft der Volkswirthschaft und die der Gesellschaft, und in diesem Sinne hat unsere Zeit vollkommen Recht, wenn sie in ihm den Schwer- punkt ihrer höchsten theoretischen und praktischen Aufgaben anerkennt.
Ist dem nun so, so ist endlich auch kein Zweifel, daß Wesen und Organisation dieses Faktors nicht bloß mehr Sache der Einzelnen, des Creditgebers und Nehmers, sondern zugleich eine hochwichtige An- gelegenheit der Verwaltung ist. Das kann daher nicht mehr die Frage sein, ob das Creditwesen als ein organischer Theil des Ge- sammtlebens zu betrachten sei; die Frage, um welche es sich handelt,
Es iſt kein Zweifel, daß die Vertheilung der Fähigkeit, die Capi- talien zu benützen, eine andere iſt, als die Vertheilung der Capitalien ſelbſt. Es iſt kein Zweifel, daß das Capital in den Händen des Fähigen ſowohl für dieſen, als für den weniger fähigen Beſitzer, als endlich durch beides für die Gemeinſchaft am meiſten leiſtet. Eine der erſten Bedingungen der höchſten wirthſchaftlichen Entwicklung iſt daher dasjenige Element, welches beſtändig dahin arbeitet, die Verwerthung des vorhandenen Capitals den Erwerbfähigſten zuzuführen. Dieſes Element iſt der Credit. Es iſt daher zunächſt kein Zweifel, daß der Beginn der Entwicklung des Credits zugleich der Beginn alles volks- wirthſchaftlichen Aufſchwunges iſt. Allein der Credit iſt eben ſo ſehr ein gewaltiger geſellſchaftlicher Faktor. Der tiefſte Widerſpruch aller geſellſchaftlichen Zuſtände beruht nicht darauf, daß die perſönliche Fähigkeit kein Capital beſitzt, ſondern daß ſie nicht im Stande iſt, zur Benützung des ihr entſprechenden Capitals zum Zwecke des Er- werbs zu gelangen. Der Credit iſt es, der dieſen Widerſpruch löst. Der Credit gleicht nicht das Eigenthum aus, ſondern den Beſitz. Er gibt nicht die Gleichheit im Capital, wohl aber die Gleichheit im Er- werb; er iſt es, der, indem er das Recht beſtehen läßt, zugleich die gleiche Berechtigung der wirthſchaftlichen Kraft gegenüber der Ungleich- heit des Vermögens verwirklicht. Er iſt damit die Quelle des Erwerbs und der Capitalbildung durch ſeine Vertheilung der Capitalsbenützung nach der Tüchtigkeit und Thätigkeit der Perſönlichkeit; durch ihn ge- langt jede Perſönlichkeit zu ſo viel Capital, als ſie zu beſitzen wirklich werth iſt; in ihm lebt daher an letzter Stelle etwas viel Höheres, als ein bloß wirthſchaftliches Verkehrsverhältniß; er iſt in der That die höchſte Harmonie zwiſchen der unantaſtbaren Härte des Eigenthums- rechts und den unabweisbaren Forderungen der freien perſönlichen Entwicklung; denn während das Capital zeigt, was jemand werth ge- weſen iſt, gibt der Credit, was jemand werth iſt. Der Credit iſt daher beſtimmt, durch ſeine wirthſchaftlichen Geſetze die große ſociale Frage des Gegenſatzes zwiſchen Beſitz und Arbeit zu löſen; in ihm lebt die Zukunft der Volkswirthſchaft und die der Geſellſchaft, und in dieſem Sinne hat unſere Zeit vollkommen Recht, wenn ſie in ihm den Schwer- punkt ihrer höchſten theoretiſchen und praktiſchen Aufgaben anerkennt.
Iſt dem nun ſo, ſo iſt endlich auch kein Zweifel, daß Weſen und Organiſation dieſes Faktors nicht bloß mehr Sache der Einzelnen, des Creditgebers und Nehmers, ſondern zugleich eine hochwichtige An- gelegenheit der Verwaltung iſt. Das kann daher nicht mehr die Frage ſein, ob das Creditweſen als ein organiſcher Theil des Ge- ſammtlebens zu betrachten ſei; die Frage, um welche es ſich handelt,
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Es iſt kein Zweifel, daß die Vertheilung der Fähigkeit, die Capi-
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ſelbſt. Es iſt kein Zweifel, daß das Capital in den Händen des
Fähigen ſowohl für dieſen, als für den weniger fähigen Beſitzer, als
endlich durch beides für die Gemeinſchaft am meiſten leiſtet. Eine der
erſten Bedingungen der höchſten wirthſchaftlichen Entwicklung iſt daher
dasjenige Element, welches beſtändig dahin arbeitet, die Verwerthung
des vorhandenen Capitals den Erwerbfähigſten zuzuführen. Dieſes
Element iſt der Credit. Es iſt daher zunächſt kein Zweifel, daß der
Beginn der Entwicklung des Credits zugleich der Beginn alles volks-
wirthſchaftlichen Aufſchwunges iſt. Allein der Credit iſt eben ſo ſehr
ein gewaltiger geſellſchaftlicher Faktor. Der tiefſte Widerſpruch aller
geſellſchaftlichen Zuſtände beruht nicht darauf, daß die perſönliche
Fähigkeit kein Capital beſitzt, ſondern daß ſie nicht im Stande iſt,
zur Benützung des ihr entſprechenden Capitals zum Zwecke des Er-
werbs zu gelangen. Der Credit iſt es, der dieſen Widerſpruch löst.
Der Credit gleicht nicht das Eigenthum aus, ſondern den Beſitz. Er
gibt nicht die Gleichheit im Capital, wohl aber die Gleichheit im Er-
werb; er iſt es, der, indem er das Recht beſtehen läßt, zugleich die
gleiche Berechtigung der wirthſchaftlichen Kraft gegenüber der Ungleich-
heit des Vermögens verwirklicht. Er iſt damit die Quelle des Erwerbs
und der Capitalbildung durch ſeine Vertheilung der Capitalsbenützung
nach der Tüchtigkeit und Thätigkeit der Perſönlichkeit; durch ihn ge-
langt jede Perſönlichkeit zu ſo viel Capital, als ſie zu beſitzen wirklich
werth iſt; in ihm lebt daher an letzter Stelle etwas viel Höheres, als
ein bloß wirthſchaftliches Verkehrsverhältniß; er iſt in der That die
höchſte Harmonie zwiſchen der unantaſtbaren Härte des Eigenthums-
rechts und den unabweisbaren Forderungen der freien perſönlichen
Entwicklung; denn während das Capital zeigt, was jemand werth ge-
weſen iſt, gibt der Credit, was jemand werth iſt. Der Credit iſt daher
beſtimmt, durch ſeine wirthſchaftlichen Geſetze die große ſociale Frage
des Gegenſatzes zwiſchen Beſitz und Arbeit zu löſen; in ihm lebt die
Zukunft der Volkswirthſchaft und die der Geſellſchaft, und in dieſem
Sinne hat unſere Zeit vollkommen Recht, wenn ſie in ihm den Schwer-
punkt ihrer höchſten theoretiſchen und praktiſchen Aufgaben anerkennt.
Iſt dem nun ſo, ſo iſt endlich auch kein Zweifel, daß Weſen
und Organiſation dieſes Faktors nicht bloß mehr Sache der Einzelnen,
des Creditgebers und Nehmers, ſondern zugleich eine hochwichtige An-
gelegenheit der Verwaltung iſt. Das kann daher nicht mehr
die Frage ſein, ob das Creditweſen als ein organiſcher Theil des Ge-
ſammtlebens zu betrachten ſei; die Frage, um welche es ſich handelt,
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/269>, abgerufen am 22.11.2024.
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