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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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die Regierung das Recht, ein Herabgehen unter das concessionsmäßige
Maximum zu fordern, aber sie muß dafür nach den Grundsätzen der
Enteignung ein Verfahren einleiten und Entschädigung leisten.
Das natürliche Correktiv dieses Rechts ist nicht das Eingreifen der
Regierung, sondern die Concurrenz der Bahnen, die mit jedem
Tage bedeutender wirkt.

b) Das Transportrecht ist gleichfalls zunächst das reine Privat-
recht für den Transport von Personen und Gütern; das öffentliche
Recht erzeugt den Grundsatz der Pflicht zur Aufnahme beider gegen
Zahlung des Tarifs und zur Beförderung derselben nach Maßgabe der
Fahrpläne. Die Entwicklung des Transportrechts beginnt da, wo der
Transport zugleich eine Spedition und eine Lieferung wird; dasselbe
fällt damit unter das Frachtgeschäft; dabei muß den Bahnen die Be-
rechtigung gelassen werden, den Transport auf Grundlage der geneh-
migten Fahrpläne nach ihrem Ermessen zu ordnen. Die betreffenden
Fragen können erst durch ihre Scheidung von dem Haftungsrecht richtig
beurtheilt werden.

c) Das Haftungsrecht der Bahnen, das seinerseits erst durch
die Anerkennung ihrer privatrechtlichen Natur zur Entwicklung gediehen
ist, enthält drei Grundformen. Es ist zuerst das rein bürgerliche
Haftungsrecht, mit den gewöhnlichen Grundsätzen über dolus und
culpa ohne Rücksicht auf das Objekt oder die Art der Beschädigungen,
die Dritten durch den Betrieb entstehen; es ist zweitens die han-
delsrechtliche
Haftungspflicht nach den Grundsätzen des Handels-
gesetzbuches, und für die dem Handelsrecht angehörigen Leistungen; es
ist drittens das öffentliche Haftrecht, das wieder theils die Haf-
tung der Gesellschaft als Ganzes gegenüber der Regierung für die Er-
haltung ihrer Betriebsfunktion ist, theils aber die, durch die Natur
des Betriebes bedingte vielbestrittene onerose Haftung der Bahnen
gegenüber den einzelnen Beschädigten, deren Grundprincip darin be-
steht, daß nicht wie bei bürgerlicher Haftung dem Beschädigten der
Beweis der Verschuldung durch die Bahn, sondern umgekehrt der Bahn
der Entlastungsbeweis der unabwendbaren Gewalt obliegt, um sich von
der Ersatzpflicht zu befreien. Die Höhe des Ersatzes ist immer Sache
des Gerichts.

Das Princip der Genehmigung der Tarife ist fast so alt wie die Bahn-
gesetzgebung selbst; formell im preuß. Gesetz von 1838 anerkannt §. 29. 30; ebenso
in den englischen Regulations. Das Princip der Cheap trains bereits ein-
geführt mit 7. 8. Vict. 85, und genauer regulirt 21. 22. Vict. 75 (1858).
Das französische Recht betrachtet überhaupt den Tarif nur von dem Standpunkt
der Erlaubniß der Regierung "le Gouvernement accorde a la societe l'au-

die Regierung das Recht, ein Herabgehen unter das conceſſionsmäßige
Maximum zu fordern, aber ſie muß dafür nach den Grundſätzen der
Enteignung ein Verfahren einleiten und Entſchädigung leiſten.
Das natürliche Correktiv dieſes Rechts iſt nicht das Eingreifen der
Regierung, ſondern die Concurrenz der Bahnen, die mit jedem
Tage bedeutender wirkt.

b) Das Transportrecht iſt gleichfalls zunächſt das reine Privat-
recht für den Transport von Perſonen und Gütern; das öffentliche
Recht erzeugt den Grundſatz der Pflicht zur Aufnahme beider gegen
Zahlung des Tarifs und zur Beförderung derſelben nach Maßgabe der
Fahrpläne. Die Entwicklung des Transportrechts beginnt da, wo der
Transport zugleich eine Spedition und eine Lieferung wird; daſſelbe
fällt damit unter das Frachtgeſchäft; dabei muß den Bahnen die Be-
rechtigung gelaſſen werden, den Transport auf Grundlage der geneh-
migten Fahrpläne nach ihrem Ermeſſen zu ordnen. Die betreffenden
Fragen können erſt durch ihre Scheidung von dem Haftungsrecht richtig
beurtheilt werden.

c) Das Haftungsrecht der Bahnen, das ſeinerſeits erſt durch
die Anerkennung ihrer privatrechtlichen Natur zur Entwicklung gediehen
iſt, enthält drei Grundformen. Es iſt zuerſt das rein bürgerliche
Haftungsrecht, mit den gewöhnlichen Grundſätzen über dolus und
culpa ohne Rückſicht auf das Objekt oder die Art der Beſchädigungen,
die Dritten durch den Betrieb entſtehen; es iſt zweitens die han-
delsrechtliche
Haftungspflicht nach den Grundſätzen des Handels-
geſetzbuches, und für die dem Handelsrecht angehörigen Leiſtungen; es
iſt drittens das öffentliche Haftrecht, das wieder theils die Haf-
tung der Geſellſchaft als Ganzes gegenüber der Regierung für die Er-
haltung ihrer Betriebsfunktion iſt, theils aber die, durch die Natur
des Betriebes bedingte vielbeſtrittene oneroſe Haftung der Bahnen
gegenüber den einzelnen Beſchädigten, deren Grundprincip darin be-
ſteht, daß nicht wie bei bürgerlicher Haftung dem Beſchädigten der
Beweis der Verſchuldung durch die Bahn, ſondern umgekehrt der Bahn
der Entlaſtungsbeweis der unabwendbaren Gewalt obliegt, um ſich von
der Erſatzpflicht zu befreien. Die Höhe des Erſatzes iſt immer Sache
des Gerichts.

Das Princip der Genehmigung der Tarife iſt faſt ſo alt wie die Bahn-
geſetzgebung ſelbſt; formell im preuß. Geſetz von 1838 anerkannt §. 29. 30; ebenſo
in den engliſchen Regulations. Das Princip der Cheap trains bereits ein-
geführt mit 7. 8. Vict. 85, und genauer regulirt 21. 22. Vict. 75 (1858).
Das franzöſiſche Recht betrachtet überhaupt den Tarif nur von dem Standpunkt
der Erlaubniß der Regierung „le Gouvernement accorde à la société l’au-

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[220/0244] die Regierung das Recht, ein Herabgehen unter das conceſſionsmäßige Maximum zu fordern, aber ſie muß dafür nach den Grundſätzen der Enteignung ein Verfahren einleiten und Entſchädigung leiſten. Das natürliche Correktiv dieſes Rechts iſt nicht das Eingreifen der Regierung, ſondern die Concurrenz der Bahnen, die mit jedem Tage bedeutender wirkt. b) Das Transportrecht iſt gleichfalls zunächſt das reine Privat- recht für den Transport von Perſonen und Gütern; das öffentliche Recht erzeugt den Grundſatz der Pflicht zur Aufnahme beider gegen Zahlung des Tarifs und zur Beförderung derſelben nach Maßgabe der Fahrpläne. Die Entwicklung des Transportrechts beginnt da, wo der Transport zugleich eine Spedition und eine Lieferung wird; daſſelbe fällt damit unter das Frachtgeſchäft; dabei muß den Bahnen die Be- rechtigung gelaſſen werden, den Transport auf Grundlage der geneh- migten Fahrpläne nach ihrem Ermeſſen zu ordnen. Die betreffenden Fragen können erſt durch ihre Scheidung von dem Haftungsrecht richtig beurtheilt werden. c) Das Haftungsrecht der Bahnen, das ſeinerſeits erſt durch die Anerkennung ihrer privatrechtlichen Natur zur Entwicklung gediehen iſt, enthält drei Grundformen. Es iſt zuerſt das rein bürgerliche Haftungsrecht, mit den gewöhnlichen Grundſätzen über dolus und culpa ohne Rückſicht auf das Objekt oder die Art der Beſchädigungen, die Dritten durch den Betrieb entſtehen; es iſt zweitens die han- delsrechtliche Haftungspflicht nach den Grundſätzen des Handels- geſetzbuches, und für die dem Handelsrecht angehörigen Leiſtungen; es iſt drittens das öffentliche Haftrecht, das wieder theils die Haf- tung der Geſellſchaft als Ganzes gegenüber der Regierung für die Er- haltung ihrer Betriebsfunktion iſt, theils aber die, durch die Natur des Betriebes bedingte vielbeſtrittene oneroſe Haftung der Bahnen gegenüber den einzelnen Beſchädigten, deren Grundprincip darin be- ſteht, daß nicht wie bei bürgerlicher Haftung dem Beſchädigten der Beweis der Verſchuldung durch die Bahn, ſondern umgekehrt der Bahn der Entlaſtungsbeweis der unabwendbaren Gewalt obliegt, um ſich von der Erſatzpflicht zu befreien. Die Höhe des Erſatzes iſt immer Sache des Gerichts. Das Princip der Genehmigung der Tarife iſt faſt ſo alt wie die Bahn- geſetzgebung ſelbſt; formell im preuß. Geſetz von 1838 anerkannt §. 29. 30; ebenſo in den engliſchen Regulations. Das Princip der Cheap trains bereits ein- geführt mit 7. 8. Vict. 85, und genauer regulirt 21. 22. Vict. 75 (1858). Das franzöſiſche Recht betrachtet überhaupt den Tarif nur von dem Standpunkt der Erlaubniß der Regierung „le Gouvernement accorde à la société l’au-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/244>, abgerufen am 23.11.2024.