Das, was wir das Postwesen nennen, beginnt jedoch erst da, wo diese Regierungsanstalten auch den Verkehr der Einzelnen in sich auf- nehmen. Dadurch entsteht die erste Epoche des Postwesens, in welcher die Regierungspost noch die Hauptsache ist und die Briefe der Einzel- nen nur noch mitgenommen werden. Sie geht ungefähr bis zum achtzehnten Jahrhundert. Die zweite Epoche steht bereits auf dem Standpunkt, die Beförderung des Einzelverkehrs als solche zur Auf- gabe der Post zu machen, und daher sich, wenn auch nur langsam und unvollkommen, nach den Bedürfnissen des Verkehrs statt wie früher nach denen der Regierung zu richten. Es entstehen daher in dieser zweiten Epoche bereits die drei formalen Kriterien einer jeden wirklichen Postverwaltung, die centrale Organisation, die örtliche Aus- dehnung und Ordnung der Postlinien und Poststationen und der Unter- schied von Brief- und Fahrpost, nebst dem dazu gehörigen System der Postgebühren. Allein noch ist das ganze Postwesen vorzugsweise eine Einkommensquelle und die Forderung eines von derselben zu er- zielenden Reinertrags wird noch immer für alle Theile des Postwesens ausschließlich maßgebend. Erst im neunzehnten Jahrhundert entsteht unter heftigen Kämpfen der Gedanke, daß die Post nicht so sehr ein finanzielles Institut, als vielmehr eine Verwaltungsanstalt sein solle; und jetzt entwickelt sich auf Grundlage dieser Idee das Postwesen der Gegenwart, das in Princip, System und Ausführung eine der großartigsten Erscheinungen aller Zeiten ist. Die Elemente desselben sind folgende.
Die Geschichte des Postwesens in Deutschland, wo man zuerst über das- selbe nachgedacht hat und zuletzt zu einer tüchtigen Verwaltung der Post ge- langt ist, beruht von Anfang an auf dem Gegensatz zwischen dem Kaiser und den Reichsständen mit ihrem Territorialrecht. Erste regelmäßige Post 1516 zwischen Wien und Brüssel, besorgt durch die Familie Taxis, erste Anerkennung als Reichspost (Reichsabschd. 1522); darauf Entstehung einzelner Linien; Reichs- post als Regal des Kaisers; Verleihung an Taxis 1615; zugleich territoriale Postlinien; der Kampf zwischen beiden bricht aus; Ausbreitung des Verkehrs durch die einzelnen Reichsstände; vergebliche Versuche des Kaisers, hier zu helfen: J. P. Osn. Art. 9. §. 1 -- "ut immoderata postarum onera et impedi- menta tollantur." Das Haus Taxis erwirbt indessen durch Verträge die Post in vielen Kleinstaaten; dagegen führt Oesterreich sein eigenes Postwesen ein (1624 Verleihung an das Haus Paar); die meisten norddeutschen Staaten be- halten ihr Territorialpostwesen. Unter dem Streit über die Gränze der Reichs- regalität geht fast das Postwesen zu Grunde; vergebliches Bemühen der kaiser- lichen Regierung Gleichheit und Ordnung herzustellen (Wahlcapitulation 1. 8; Moser, Reichstagsgeschäfte S. 1370; weitläuftige Literatur über die Regalität Klüber, öffentliches Recht §. 434 ff.) Justi, Polizeiwissenschaft 4. Buch,
Das, was wir das Poſtweſen nennen, beginnt jedoch erſt da, wo dieſe Regierungsanſtalten auch den Verkehr der Einzelnen in ſich auf- nehmen. Dadurch entſteht die erſte Epoche des Poſtweſens, in welcher die Regierungspoſt noch die Hauptſache iſt und die Briefe der Einzel- nen nur noch mitgenommen werden. Sie geht ungefähr bis zum achtzehnten Jahrhundert. Die zweite Epoche ſteht bereits auf dem Standpunkt, die Beförderung des Einzelverkehrs als ſolche zur Auf- gabe der Poſt zu machen, und daher ſich, wenn auch nur langſam und unvollkommen, nach den Bedürfniſſen des Verkehrs ſtatt wie früher nach denen der Regierung zu richten. Es entſtehen daher in dieſer zweiten Epoche bereits die drei formalen Kriterien einer jeden wirklichen Poſtverwaltung, die centrale Organiſation, die örtliche Aus- dehnung und Ordnung der Poſtlinien und Poſtſtationen und der Unter- ſchied von Brief- und Fahrpoſt, nebſt dem dazu gehörigen Syſtem der Poſtgebühren. Allein noch iſt das ganze Poſtweſen vorzugsweiſe eine Einkommensquelle und die Forderung eines von derſelben zu er- zielenden Reinertrags wird noch immer für alle Theile des Poſtweſens ausſchließlich maßgebend. Erſt im neunzehnten Jahrhundert entſteht unter heftigen Kämpfen der Gedanke, daß die Poſt nicht ſo ſehr ein finanzielles Inſtitut, als vielmehr eine Verwaltungsanſtalt ſein ſolle; und jetzt entwickelt ſich auf Grundlage dieſer Idee das Poſtweſen der Gegenwart, das in Princip, Syſtem und Ausführung eine der großartigſten Erſcheinungen aller Zeiten iſt. Die Elemente deſſelben ſind folgende.
Die Geſchichte des Poſtweſens in Deutſchland, wo man zuerſt über das- ſelbe nachgedacht hat und zuletzt zu einer tüchtigen Verwaltung der Poſt ge- langt iſt, beruht von Anfang an auf dem Gegenſatz zwiſchen dem Kaiſer und den Reichsſtänden mit ihrem Territorialrecht. Erſte regelmäßige Poſt 1516 zwiſchen Wien und Brüſſel, beſorgt durch die Familie Taxis, erſte Anerkennung als Reichspoſt (Reichsabſchd. 1522); darauf Entſtehung einzelner Linien; Reichs- poſt als Regal des Kaiſers; Verleihung an Taxis 1615; zugleich territoriale Poſtlinien; der Kampf zwiſchen beiden bricht aus; Ausbreitung des Verkehrs durch die einzelnen Reichsſtände; vergebliche Verſuche des Kaiſers, hier zu helfen: J. P. Osn. Art. 9. §. 1 — „ut immoderata postarum onera et impedi- menta tollantur.“ Das Haus Taxis erwirbt indeſſen durch Verträge die Poſt in vielen Kleinſtaaten; dagegen führt Oeſterreich ſein eigenes Poſtweſen ein (1624 Verleihung an das Haus Paar); die meiſten norddeutſchen Staaten be- halten ihr Territorialpoſtweſen. Unter dem Streit über die Gränze der Reichs- regalität geht faſt das Poſtweſen zu Grunde; vergebliches Bemühen der kaiſer- lichen Regierung Gleichheit und Ordnung herzuſtellen (Wahlcapitulation 1. 8; Moſer, Reichstagsgeſchäfte S. 1370; weitläuftige Literatur über die Regalität Klüber, öffentliches Recht §. 434 ff.) Juſti, Polizeiwiſſenſchaft 4. Buch,
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Das, was wir das Poſtweſen nennen, beginnt jedoch erſt da, wo dieſe
Regierungsanſtalten auch den Verkehr der Einzelnen in ſich auf-
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die Regierungspoſt noch die Hauptſache iſt und die Briefe der Einzel-
nen nur noch mitgenommen werden. Sie geht ungefähr bis zum
achtzehnten Jahrhundert. Die zweite Epoche ſteht bereits auf dem
Standpunkt, die Beförderung des Einzelverkehrs als ſolche zur Auf-
gabe der Poſt zu machen, und daher ſich, wenn auch nur langſam
und unvollkommen, nach den Bedürfniſſen des Verkehrs ſtatt wie
früher nach denen der Regierung zu richten. Es entſtehen daher in
dieſer zweiten Epoche bereits die drei formalen Kriterien einer jeden
wirklichen Poſtverwaltung, die centrale Organiſation, die örtliche Aus-
dehnung und Ordnung der Poſtlinien und Poſtſtationen und der Unter-
ſchied von Brief- und Fahrpoſt, nebſt dem dazu gehörigen Syſtem
der Poſtgebühren. Allein noch iſt das ganze Poſtweſen vorzugsweiſe
eine Einkommensquelle und die Forderung eines von derſelben zu er-
zielenden Reinertrags wird noch immer für alle Theile des Poſtweſens
ausſchließlich maßgebend. Erſt im neunzehnten Jahrhundert entſteht
unter heftigen Kämpfen der Gedanke, daß die Poſt nicht ſo ſehr ein
finanzielles Inſtitut, als vielmehr eine Verwaltungsanſtalt ſein ſolle;
und jetzt entwickelt ſich auf Grundlage dieſer Idee das Poſtweſen
der Gegenwart, das in Princip, Syſtem und Ausführung eine der
großartigſten Erſcheinungen aller Zeiten iſt. Die Elemente deſſelben
ſind folgende.
Die Geſchichte des Poſtweſens in Deutſchland, wo man zuerſt über das-
ſelbe nachgedacht hat und zuletzt zu einer tüchtigen Verwaltung der Poſt ge-
langt iſt, beruht von Anfang an auf dem Gegenſatz zwiſchen dem Kaiſer und
den Reichsſtänden mit ihrem Territorialrecht. Erſte regelmäßige Poſt 1516
zwiſchen Wien und Brüſſel, beſorgt durch die Familie Taxis, erſte Anerkennung
als Reichspoſt (Reichsabſchd. 1522); darauf Entſtehung einzelner Linien; Reichs-
poſt als Regal des Kaiſers; Verleihung an Taxis 1615; zugleich territoriale
Poſtlinien; der Kampf zwiſchen beiden bricht aus; Ausbreitung des Verkehrs
durch die einzelnen Reichsſtände; vergebliche Verſuche des Kaiſers, hier zu helfen:
J. P. Osn. Art. 9. §. 1 — „ut immoderata postarum onera et impedi-
menta tollantur.“ Das Haus Taxis erwirbt indeſſen durch Verträge die Poſt
in vielen Kleinſtaaten; dagegen führt Oeſterreich ſein eigenes Poſtweſen ein
(1624 Verleihung an das Haus Paar); die meiſten norddeutſchen Staaten be-
halten ihr Territorialpoſtweſen. Unter dem Streit über die Gränze der Reichs-
regalität geht faſt das Poſtweſen zu Grunde; vergebliches Bemühen der kaiſer-
lichen Regierung Gleichheit und Ordnung herzuſtellen (Wahlcapitulation 1. 8;
Moſer, Reichstagsgeſchäfte S. 1370; weitläuftige Literatur über die Regalität
Klüber, öffentliches Recht §. 434 ff.) Juſti, Polizeiwiſſenſchaft 4. Buch,
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/222>, abgerufen am 29.11.2024.
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