Es folgt, daß die Bedingung einer soliden Versicherungsverwaltung eine gute Classeneintheilung und eine richtige Classificirung der einzelnen Fälle in diese Classen ist. Beides ist Sache der Direk- tion. Eine gute Controle sollte daher mit der Untersuchung und Motivirung dieser Classen beginnen, und Stichproben der Classi- ficirung machen. Ohne dieß Verfahren ist jede Controle werthlos.
b) Das zweite Element aller Versicherung ist die Reserve. Es ist klar, daß die eingezahlten Prämien gesammelt vorhanden sein müssen, um das Risico zahlen zu können, wenn der Schaden eintritt. Die gesammelte Prämie ist die Reserve. Jede Versicherung muß daher durch ihre Prämie zunächst ihre eigene Reserve bilden; die letztere muß aber so hoch sein, daß sie, wenn der Versicherte seine Prämie regel- mäßig zahlt, am wahrscheinlichen Ende der Versicherung die ganze ver- sicherte Summe deckt. Addirt man nun die ganze Summe aller nach diesem Grundsatze von dem Einzelnen wirklich bereits gezahlten und von der Gesellschaft gesammelten Reserven, so entsteht der Reserve- fond. Das was diesen Reservefond steigen läßt, sind daher die Einnahmen durch die Prämien; das was ihn vermindert, ist die Auszahlung des Risicos im Schadenfalle. Die Höhe des Reserve- fondes muß daher stets gleich sein der addirten Summe der bereits gebildeten Einzelreserven. Ist sie das nicht, so ist die Sicherheit jeder einzelnen Versicherung gefährdet. Die Aufgabe besteht deßhalb zunächst darin, die richtige Höhe des Reservefonds zu beurtheilen, und die Er- haltung und Verfügbarkeit desselben zur rechtlichen Bedingung der Thätigkeit der Gesellschaft zu machen. Daher ist es zu- nächst Sache des Verwaltungsrathes, diesen Reservefond gegen jede andere Verwendung als die Auszahlung der Schadenfälle zu schützen. Die Controle des Staats hat diese Funktion des Verwaltungsrathes zu bewachen. Sie muß zu dem Ende selbst die Reserve nachrechnen. Das nun ist wieder nur thunlich durch die auf den Classen beruhende Systemisirung der Reserven. Es ist klar, daß jede Classe ihre Reserve haben muß, und daß daher der Reservefond als Addition der Classenreserven erscheint. Die Controle soll daher die Höhe der Classenreserve mit den Erfahrungen über die Dauer der Versiche- rungen nach den Classen vergleichen; das Resultat wird die Beantwor- tung der Frage sein, ob die Reserven ausreichen, um den Versicherten volle Sicherheit für ihre Forderung zu gewähren, wenn sie ihre Prä- mien richtig einzahlen. Es ist falsch, dieß den Gesellschaften allein zu überlassen. Denn wenn die Reserven nicht ausreichend oder nicht flüssig sind, muß stets das eine Risico aus den Reserven des andern bezahlt werden, so daß, da dieß letztere ja doch auch zur Erhebung
Es folgt, daß die Bedingung einer ſoliden Verſicherungsverwaltung eine gute Claſſeneintheilung und eine richtige Claſſificirung der einzelnen Fälle in dieſe Claſſen iſt. Beides iſt Sache der Direk- tion. Eine gute Controle ſollte daher mit der Unterſuchung und Motivirung dieſer Claſſen beginnen, und Stichproben der Claſſi- ficirung machen. Ohne dieß Verfahren iſt jede Controle werthlos.
b) Das zweite Element aller Verſicherung iſt die Reſerve. Es iſt klar, daß die eingezahlten Prämien geſammelt vorhanden ſein müſſen, um das Riſico zahlen zu können, wenn der Schaden eintritt. Die geſammelte Prämie iſt die Reſerve. Jede Verſicherung muß daher durch ihre Prämie zunächſt ihre eigene Reſerve bilden; die letztere muß aber ſo hoch ſein, daß ſie, wenn der Verſicherte ſeine Prämie regel- mäßig zahlt, am wahrſcheinlichen Ende der Verſicherung die ganze ver- ſicherte Summe deckt. Addirt man nun die ganze Summe aller nach dieſem Grundſatze von dem Einzelnen wirklich bereits gezahlten und von der Geſellſchaft geſammelten Reſerven, ſo entſteht der Reſerve- fond. Das was dieſen Reſervefond ſteigen läßt, ſind daher die Einnahmen durch die Prämien; das was ihn vermindert, iſt die Auszahlung des Riſicos im Schadenfalle. Die Höhe des Reſerve- fondes muß daher ſtets gleich ſein der addirten Summe der bereits gebildeten Einzelreſerven. Iſt ſie das nicht, ſo iſt die Sicherheit jeder einzelnen Verſicherung gefährdet. Die Aufgabe beſteht deßhalb zunächſt darin, die richtige Höhe des Reſervefonds zu beurtheilen, und die Er- haltung und Verfügbarkeit deſſelben zur rechtlichen Bedingung der Thätigkeit der Geſellſchaft zu machen. Daher iſt es zu- nächſt Sache des Verwaltungsrathes, dieſen Reſervefond gegen jede andere Verwendung als die Auszahlung der Schadenfälle zu ſchützen. Die Controle des Staats hat dieſe Funktion des Verwaltungsrathes zu bewachen. Sie muß zu dem Ende ſelbſt die Reſerve nachrechnen. Das nun iſt wieder nur thunlich durch die auf den Claſſen beruhende Syſtemiſirung der Reſerven. Es iſt klar, daß jede Claſſe ihre Reſerve haben muß, und daß daher der Reſervefond als Addition der Claſſenreſerven erſcheint. Die Controle ſoll daher die Höhe der Claſſenreſerve mit den Erfahrungen über die Dauer der Verſiche- rungen nach den Claſſen vergleichen; das Reſultat wird die Beantwor- tung der Frage ſein, ob die Reſerven ausreichen, um den Verſicherten volle Sicherheit für ihre Forderung zu gewähren, wenn ſie ihre Prä- mien richtig einzahlen. Es iſt falſch, dieß den Geſellſchaften allein zu überlaſſen. Denn wenn die Reſerven nicht ausreichend oder nicht flüſſig ſind, muß ſtets das eine Riſico aus den Reſerven des andern bezahlt werden, ſo daß, da dieß letztere ja doch auch zur Erhebung
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Es folgt, daß die Bedingung einer ſoliden Verſicherungsverwaltung
eine gute Claſſeneintheilung und eine richtige Claſſificirung
der einzelnen Fälle in dieſe Claſſen iſt. Beides iſt Sache der Direk-
tion. Eine gute Controle ſollte daher mit der Unterſuchung und
Motivirung dieſer Claſſen beginnen, und Stichproben der Claſſi-
ficirung machen. Ohne dieß Verfahren iſt jede Controle werthlos.
b) Das zweite Element aller Verſicherung iſt die Reſerve. Es
iſt klar, daß die eingezahlten Prämien geſammelt vorhanden ſein
müſſen, um das Riſico zahlen zu können, wenn der Schaden eintritt.
Die geſammelte Prämie iſt die Reſerve. Jede Verſicherung muß daher
durch ihre Prämie zunächſt ihre eigene Reſerve bilden; die letztere
muß aber ſo hoch ſein, daß ſie, wenn der Verſicherte ſeine Prämie regel-
mäßig zahlt, am wahrſcheinlichen Ende der Verſicherung die ganze ver-
ſicherte Summe deckt. Addirt man nun die ganze Summe aller nach
dieſem Grundſatze von dem Einzelnen wirklich bereits gezahlten und
von der Geſellſchaft geſammelten Reſerven, ſo entſteht der Reſerve-
fond. Das was dieſen Reſervefond ſteigen läßt, ſind daher die
Einnahmen durch die Prämien; das was ihn vermindert, iſt die
Auszahlung des Riſicos im Schadenfalle. Die Höhe des Reſerve-
fondes muß daher ſtets gleich ſein der addirten Summe der bereits
gebildeten Einzelreſerven. Iſt ſie das nicht, ſo iſt die Sicherheit jeder
einzelnen Verſicherung gefährdet. Die Aufgabe beſteht deßhalb zunächſt
darin, die richtige Höhe des Reſervefonds zu beurtheilen, und die Er-
haltung und Verfügbarkeit deſſelben zur rechtlichen Bedingung
der Thätigkeit der Geſellſchaft zu machen. Daher iſt es zu-
nächſt Sache des Verwaltungsrathes, dieſen Reſervefond gegen jede
andere Verwendung als die Auszahlung der Schadenfälle zu ſchützen.
Die Controle des Staats hat dieſe Funktion des Verwaltungsrathes
zu bewachen. Sie muß zu dem Ende ſelbſt die Reſerve nachrechnen.
Das nun iſt wieder nur thunlich durch die auf den Claſſen beruhende
Syſtemiſirung der Reſerven. Es iſt klar, daß jede Claſſe ihre
Reſerve haben muß, und daß daher der Reſervefond als Addition
der Claſſenreſerven erſcheint. Die Controle ſoll daher die Höhe
der Claſſenreſerve mit den Erfahrungen über die Dauer der Verſiche-
rungen nach den Claſſen vergleichen; das Reſultat wird die Beantwor-
tung der Frage ſein, ob die Reſerven ausreichen, um den Verſicherten
volle Sicherheit für ihre Forderung zu gewähren, wenn ſie ihre Prä-
mien richtig einzahlen. Es iſt falſch, dieß den Geſellſchaften allein
zu überlaſſen. Denn wenn die Reſerven nicht ausreichend oder nicht
flüſſig ſind, muß ſtets das eine Riſico aus den Reſerven des andern
bezahlt werden, ſo daß, da dieß letztere ja doch auch zur Erhebung
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/196>, abgerufen am 22.12.2024.
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