nisation des Versicherungswesens geht daher von gleichartigen Unter- nehmungen aus, und entsteht zunächst in der Form des Vereinswesens. Aus dem letzteren Grunde kennt die alte Welt kein Versicherungswesen, aus dem ersteren das Mittelalter nicht. Dasselbe entsteht erst mit dem Welthandel im fünfzehnten Jahrhundert und zwar für die Schifffahrt als Seeversicherung durch freie Versicherungsvereine; von da geht es über auf die Städte als örtliche (städtische) Feuer-Assecuranzen; im siebzehnten Jahrhundert greifen dann die Regierungen hinein, und errichten öffentliche Brandschadenversicherungen auch für das flache Land mit Verpflichtung zur Theilnahme und unter amtlicher Verwal- tung. Frankreich und England halten sich allerdings davon frei, da- für aber entsteht die erste große Seeversicherungsgesetzgebung in der Ordonnance de la marine von 1667, während mit dem englischen Handel das Vereinswesen aufblüht. Im achtzehnten Jahrhundert geht das Versicherungswesen dann auf die Theorie über; das Versicherungs- recht wird Gegenstand historischer und juristischer Forschung, und die großen Versicherungsgesellschaften, namentlich Englands, beginnen zu internationalen Instituten zu werden. Im neunzehnten Jahrhundert löst sich dann auch das Feuerversicherungswesen in den übrigen euro- päischen Staaten von der Vormundschaft der Regierung ab, mit Aus- nahme Preußens und einiger andern deutschen Staaten, welche an den Beschränkungen des vorigen Jahrhunderts auch jetzt noch festhalten. Das Versicherungswesen entwickelt sich nunmehr in gleichem Schritte mit Verkehr und Credit zu einem integrirenden Element des gesammten volkswirthschaftlichen Lebens; es bildet sich einerseits das Schadenver- sicherungswesen in seinen Hauptzweigen, der See- und der Feuer- versicherung, daneben in Hagel- und Viehversicherung zu einem großartigen Systeme aus, an das sich die Lebensversicherung als neue und eigenthümliche Form der Capitalbildung anschließt; die große Ge- meinsamkeit des Verkehrs verbindet die Gesellschaften in der Form der Rückversicherungen wieder unter einander, und erzeugt in den Rück- versicherungsgesellschaften selbständige Organe dieser Gegen- seitigkeit, so daß jetzt das Versicherungswesen, von kleinen Anfängen ausgehend, zu einem alle Welttheile in Credit und Verkehr gleichmäßig umfassenden, gewaltigen Organismus geworden ist, eine der großartig- sten Erscheinungen, welche die Weltgeschichte kennt, und die nunmehr auf allen Punkten der Erde jeden Einzelnen zwar nicht vor dem ele- mentaren Verlust seiner Güter, wohl aber ihres Werthes schützt.
Auf diesem hohen Standpunkte nun verlieren offenbar die Verei- nigungen für die Versicherung ihren ursprünglichen Charakter. Sie können gegenüber einer solchen, die ganze Welt umfassenden und den
niſation des Verſicherungsweſens geht daher von gleichartigen Unter- nehmungen aus, und entſteht zunächſt in der Form des Vereinsweſens. Aus dem letzteren Grunde kennt die alte Welt kein Verſicherungsweſen, aus dem erſteren das Mittelalter nicht. Daſſelbe entſteht erſt mit dem Welthandel im fünfzehnten Jahrhundert und zwar für die Schifffahrt als Seeverſicherung durch freie Verſicherungsvereine; von da geht es über auf die Städte als örtliche (ſtädtiſche) Feuer-Aſſecuranzen; im ſiebzehnten Jahrhundert greifen dann die Regierungen hinein, und errichten öffentliche Brandſchadenverſicherungen auch für das flache Land mit Verpflichtung zur Theilnahme und unter amtlicher Verwal- tung. Frankreich und England halten ſich allerdings davon frei, da- für aber entſteht die erſte große Seeverſicherungsgeſetzgebung in der Ordonnance de la marine von 1667, während mit dem engliſchen Handel das Vereinsweſen aufblüht. Im achtzehnten Jahrhundert geht das Verſicherungsweſen dann auf die Theorie über; das Verſicherungs- recht wird Gegenſtand hiſtoriſcher und juriſtiſcher Forſchung, und die großen Verſicherungsgeſellſchaften, namentlich Englands, beginnen zu internationalen Inſtituten zu werden. Im neunzehnten Jahrhundert löst ſich dann auch das Feuerverſicherungsweſen in den übrigen euro- päiſchen Staaten von der Vormundſchaft der Regierung ab, mit Aus- nahme Preußens und einiger andern deutſchen Staaten, welche an den Beſchränkungen des vorigen Jahrhunderts auch jetzt noch feſthalten. Das Verſicherungsweſen entwickelt ſich nunmehr in gleichem Schritte mit Verkehr und Credit zu einem integrirenden Element des geſammten volkswirthſchaftlichen Lebens; es bildet ſich einerſeits das Schadenver- ſicherungsweſen in ſeinen Hauptzweigen, der See- und der Feuer- verſicherung, daneben in Hagel- und Viehverſicherung zu einem großartigen Syſteme aus, an das ſich die Lebensverſicherung als neue und eigenthümliche Form der Capitalbildung anſchließt; die große Ge- meinſamkeit des Verkehrs verbindet die Geſellſchaften in der Form der Rückverſicherungen wieder unter einander, und erzeugt in den Rück- verſicherungsgeſellſchaften ſelbſtändige Organe dieſer Gegen- ſeitigkeit, ſo daß jetzt das Verſicherungsweſen, von kleinen Anfängen ausgehend, zu einem alle Welttheile in Credit und Verkehr gleichmäßig umfaſſenden, gewaltigen Organismus geworden iſt, eine der großartig- ſten Erſcheinungen, welche die Weltgeſchichte kennt, und die nunmehr auf allen Punkten der Erde jeden Einzelnen zwar nicht vor dem ele- mentaren Verluſt ſeiner Güter, wohl aber ihres Werthes ſchützt.
Auf dieſem hohen Standpunkte nun verlieren offenbar die Verei- nigungen für die Verſicherung ihren urſprünglichen Charakter. Sie können gegenüber einer ſolchen, die ganze Welt umfaſſenden und den
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niſation des Verſicherungsweſens geht daher von gleichartigen Unter-
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Aus dem letzteren Grunde kennt die alte Welt kein Verſicherungsweſen,
aus dem erſteren das Mittelalter nicht. Daſſelbe entſteht erſt mit dem
Welthandel im fünfzehnten Jahrhundert und zwar für die Schifffahrt
als Seeverſicherung durch freie Verſicherungsvereine; von da geht
es über auf die Städte als örtliche (ſtädtiſche) Feuer-Aſſecuranzen;
im ſiebzehnten Jahrhundert greifen dann die Regierungen hinein, und
errichten öffentliche Brandſchadenverſicherungen auch für das flache
Land mit Verpflichtung zur Theilnahme und unter amtlicher Verwal-
tung. Frankreich und England halten ſich allerdings davon frei, da-
für aber entſteht die erſte große Seeverſicherungsgeſetzgebung in der
Ordonnance de la marine von 1667, während mit dem engliſchen
Handel das Vereinsweſen aufblüht. Im achtzehnten Jahrhundert geht
das Verſicherungsweſen dann auf die Theorie über; das Verſicherungs-
recht wird Gegenſtand hiſtoriſcher und juriſtiſcher Forſchung, und die
großen Verſicherungsgeſellſchaften, namentlich Englands, beginnen zu
internationalen Inſtituten zu werden. Im neunzehnten Jahrhundert
löst ſich dann auch das Feuerverſicherungsweſen in den übrigen euro-
päiſchen Staaten von der Vormundſchaft der Regierung ab, mit Aus-
nahme Preußens und einiger andern deutſchen Staaten, welche an den
Beſchränkungen des vorigen Jahrhunderts auch jetzt noch feſthalten.
Das Verſicherungsweſen entwickelt ſich nunmehr in gleichem Schritte
mit Verkehr und Credit zu einem integrirenden Element des geſammten
volkswirthſchaftlichen Lebens; es bildet ſich einerſeits das Schadenver-
ſicherungsweſen in ſeinen Hauptzweigen, der See- und der Feuer-
verſicherung, daneben in Hagel- und Viehverſicherung zu einem
großartigen Syſteme aus, an das ſich die Lebensverſicherung als neue
und eigenthümliche Form der Capitalbildung anſchließt; die große Ge-
meinſamkeit des Verkehrs verbindet die Geſellſchaften in der Form der
Rückverſicherungen wieder unter einander, und erzeugt in den Rück-
verſicherungsgeſellſchaften ſelbſtändige Organe dieſer Gegen-
ſeitigkeit, ſo daß jetzt das Verſicherungsweſen, von kleinen Anfängen
ausgehend, zu einem alle Welttheile in Credit und Verkehr gleichmäßig
umfaſſenden, gewaltigen Organismus geworden iſt, eine der großartig-
ſten Erſcheinungen, welche die Weltgeſchichte kennt, und die nunmehr
auf allen Punkten der Erde jeden Einzelnen zwar nicht vor dem ele-
mentaren Verluſt ſeiner Güter, wohl aber ihres Werthes ſchützt.
Auf dieſem hohen Standpunkte nun verlieren offenbar die Verei-
nigungen für die Verſicherung ihren urſprünglichen Charakter. Sie
können gegenüber einer ſolchen, die ganze Welt umfaſſenden und den
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/190>, abgerufen am 22.12.2024.
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