System derselben ist daher die organische Einheit derjenigen Lebens- verhältnisse, in denen die Bedingungen der wirthschaftlichen Entwicklung nicht mehr durch Kraft und Thätigkeit der Einzelnen erreichbar sind, sondern durch die Gesetzgebung und Vollziehung des Staats gegeben werden müssen. Die Elemente dieses Systems sind der Allgemeine Theil, der die für alle einzelnen Zweige des wirthschaftlichen Lebens gleichmäßig nothwendigen Bedingungen enthält, und der besondere Theil, der sich auf die Arten der Unternehmungen bezieht. Jeder dieser Theile hat wieder sein eigenes reiches System und bildet ein Ganzes für sich, das mit dem Gesammtgebiet nur seine innere wirthschaftliche Ver- bindung gemein hat.
Das Gebiet selbst ist nun so reich in Umfang und Inhalt, daß der für die Volkswirthschaftspflege thätige Organismus nicht etwa bloß die Regierung umfaßt, wo dieselbe theils dem Ministerium des Innern, theils dem des Handels und des Ackerbaues, theils dem der öffentlichen Arbeiten untersteht; im Gegentheil sind fast auf jedem Punkte desselben alle drei Organismen, Regierung, Selbstverwaltung und Vereinswesen gleichmäßig thätig. Während nun im vorigen Jahrhunderte die ganze Volkswirthschaftspflege grundsätzlich und beinahe auch faktisch nur in den Händen der Regierung lag (Volkswirthschaftspflege als Theil der "Polizeiwissenschaft") ist es der Charakter unserer Zeit, mehr und mehr die freie Verwaltung für dieselbe eintreten zu lassen. Namentlich breitet sich das Vereinswesen mit jedem Jahre mehr aus, nicht so sehr da- durch, daß es die Thätigkeit der Regierung übernimmt, sondern dadurch, daß es für die Volkswirthschaftspflege ganz neue Bahnen bricht, und damit Aufgaben der Thätigkeiten der Gesammtheit für die volkswirth- schaftliche Entwicklung eröffnet, von denen die frühere Zeit eben deßhalb gar keine Ahnung hatte, weil eben die Regierung ihrem Wesen nach außer Stand war, für dieselben zu sorgen. In der That ist es das lebendige Vereinswesen, durch welches die Volkswirthschaftspflege unsrer Zeit eine so wesentlich andere Gestalt empfängt, als die der frühern. Und zwar nicht bloß dem Umfang nach. Sondern das Vereinswesen bedeutet vielmehr die Entwicklung der freien Volkswirthschaftspflege, in der vermöge der Vereine das in ihnen lebendige Gesammt- interesse für das Einzelinteresse thätig wird, und umgekehrt; es ist daher die Verwirklichung des großen Princips der Harmonie der wirthschaftlichen Interessen durch das freie Verständniß des Einzelnen selbstthätig geworden. Wir stehen noch in der Kindheit dieser Bewe- gungen. Es fehlt uns sogar das erste positive Element der Beurthei- lung, die rationelle Statistik des wirthschaftlichen Vereinswesens vom Standpunkt der freien wirthschaftlichen Verwaltung. Wir müssen uns
Syſtem derſelben iſt daher die organiſche Einheit derjenigen Lebens- verhältniſſe, in denen die Bedingungen der wirthſchaftlichen Entwicklung nicht mehr durch Kraft und Thätigkeit der Einzelnen erreichbar ſind, ſondern durch die Geſetzgebung und Vollziehung des Staats gegeben werden müſſen. Die Elemente dieſes Syſtems ſind der Allgemeine Theil, der die für alle einzelnen Zweige des wirthſchaftlichen Lebens gleichmäßig nothwendigen Bedingungen enthält, und der beſondere Theil, der ſich auf die Arten der Unternehmungen bezieht. Jeder dieſer Theile hat wieder ſein eigenes reiches Syſtem und bildet ein Ganzes für ſich, das mit dem Geſammtgebiet nur ſeine innere wirthſchaftliche Ver- bindung gemein hat.
Das Gebiet ſelbſt iſt nun ſo reich in Umfang und Inhalt, daß der für die Volkswirthſchaftspflege thätige Organismus nicht etwa bloß die Regierung umfaßt, wo dieſelbe theils dem Miniſterium des Innern, theils dem des Handels und des Ackerbaues, theils dem der öffentlichen Arbeiten unterſteht; im Gegentheil ſind faſt auf jedem Punkte deſſelben alle drei Organismen, Regierung, Selbſtverwaltung und Vereinsweſen gleichmäßig thätig. Während nun im vorigen Jahrhunderte die ganze Volkswirthſchaftspflege grundſätzlich und beinahe auch faktiſch nur in den Händen der Regierung lag (Volkswirthſchaftspflege als Theil der „Polizeiwiſſenſchaft“) iſt es der Charakter unſerer Zeit, mehr und mehr die freie Verwaltung für dieſelbe eintreten zu laſſen. Namentlich breitet ſich das Vereinsweſen mit jedem Jahre mehr aus, nicht ſo ſehr da- durch, daß es die Thätigkeit der Regierung übernimmt, ſondern dadurch, daß es für die Volkswirthſchaftspflege ganz neue Bahnen bricht, und damit Aufgaben der Thätigkeiten der Geſammtheit für die volkswirth- ſchaftliche Entwicklung eröffnet, von denen die frühere Zeit eben deßhalb gar keine Ahnung hatte, weil eben die Regierung ihrem Weſen nach außer Stand war, für dieſelben zu ſorgen. In der That iſt es das lebendige Vereinsweſen, durch welches die Volkswirthſchaftspflege unſrer Zeit eine ſo weſentlich andere Geſtalt empfängt, als die der frühern. Und zwar nicht bloß dem Umfang nach. Sondern das Vereinsweſen bedeutet vielmehr die Entwicklung der freien Volkswirthſchaftspflege, in der vermöge der Vereine das in ihnen lebendige Geſammt- intereſſe für das Einzelintereſſe thätig wird, und umgekehrt; es iſt daher die Verwirklichung des großen Princips der Harmonie der wirthſchaftlichen Intereſſen durch das freie Verſtändniß des Einzelnen ſelbſtthätig geworden. Wir ſtehen noch in der Kindheit dieſer Bewe- gungen. Es fehlt uns ſogar das erſte poſitive Element der Beurthei- lung, die rationelle Statiſtik des wirthſchaftlichen Vereinsweſens vom Standpunkt der freien wirthſchaftlichen Verwaltung. Wir müſſen uns
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Syſtem derſelben iſt daher die organiſche Einheit derjenigen Lebens-
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ſondern durch die Geſetzgebung und Vollziehung des Staats gegeben
werden müſſen. Die Elemente dieſes Syſtems ſind der Allgemeine
Theil, der die für alle einzelnen Zweige des wirthſchaftlichen Lebens
gleichmäßig nothwendigen Bedingungen enthält, und der beſondere
Theil, der ſich auf die Arten der Unternehmungen bezieht. Jeder dieſer
Theile hat wieder ſein eigenes reiches Syſtem und bildet ein Ganzes für
ſich, das mit dem Geſammtgebiet nur ſeine innere wirthſchaftliche Ver-
bindung gemein hat.
Das Gebiet ſelbſt iſt nun ſo reich in Umfang und Inhalt, daß
der für die Volkswirthſchaftspflege thätige Organismus nicht etwa bloß
die Regierung umfaßt, wo dieſelbe theils dem Miniſterium des Innern,
theils dem des Handels und des Ackerbaues, theils dem der öffentlichen
Arbeiten unterſteht; im Gegentheil ſind faſt auf jedem Punkte deſſelben
alle drei Organismen, Regierung, Selbſtverwaltung und Vereinsweſen
gleichmäßig thätig. Während nun im vorigen Jahrhunderte die ganze
Volkswirthſchaftspflege grundſätzlich und beinahe auch faktiſch nur in
den Händen der Regierung lag (Volkswirthſchaftspflege als Theil der
„Polizeiwiſſenſchaft“) iſt es der Charakter unſerer Zeit, mehr und mehr
die freie Verwaltung für dieſelbe eintreten zu laſſen. Namentlich breitet
ſich das Vereinsweſen mit jedem Jahre mehr aus, nicht ſo ſehr da-
durch, daß es die Thätigkeit der Regierung übernimmt, ſondern dadurch,
daß es für die Volkswirthſchaftspflege ganz neue Bahnen bricht, und
damit Aufgaben der Thätigkeiten der Geſammtheit für die volkswirth-
ſchaftliche Entwicklung eröffnet, von denen die frühere Zeit eben deßhalb
gar keine Ahnung hatte, weil eben die Regierung ihrem Weſen nach
außer Stand war, für dieſelben zu ſorgen. In der That iſt es das
lebendige Vereinsweſen, durch welches die Volkswirthſchaftspflege unſrer
Zeit eine ſo weſentlich andere Geſtalt empfängt, als die der frühern.
Und zwar nicht bloß dem Umfang nach. Sondern das Vereinsweſen
bedeutet vielmehr die Entwicklung der freien Volkswirthſchaftspflege,
in der vermöge der Vereine das in ihnen lebendige Geſammt-
intereſſe für das Einzelintereſſe thätig wird, und umgekehrt;
es iſt daher die Verwirklichung des großen Princips der Harmonie der
wirthſchaftlichen Intereſſen durch das freie Verſtändniß des Einzelnen
ſelbſtthätig geworden. Wir ſtehen noch in der Kindheit dieſer Bewe-
gungen. Es fehlt uns ſogar das erſte poſitive Element der Beurthei-
lung, die rationelle Statiſtik des wirthſchaftlichen Vereinsweſens vom
Standpunkt der freien wirthſchaftlichen Verwaltung. Wir müſſen uns
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/167>, abgerufen am 22.12.2024.
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