jedoch sehr verschieden, sowohl für die Vorbildung, als für die einzel- nen Berufe andererseits. Für die ersteren sind sie beide nothwendig und allgemein; für die zweite sind sie nur für die gelehrte Fachbildung ganz durchzuführen, während für die wirthschaftliche Fachbildung die Prüfung nur theilweise nothwendig, theilweise frei, für die künstlerische Bildung dagegen unthunlich ist. Daher haben einerseits die Vorbil- dungsanstalten, andererseits die Fachbildungskörper jede ihr eigenes Rechtssystem, dessen Elemente sehr einfach, dessen Einzelheiten sehr mannichfaltig, und dessen Codifikation in Einem Gesetze weder thunlich noch auch wünschenswerth ist. Die gesetzlichen Bestimmungen beziehen sich daher fast nur -- mit Ausnahme Frankreichs und seiner Univer- site, die wieder das ganze wirthschaftliche und künstlerische Bildungs- wesen nicht kennt -- auf die einzelnen Anstalten. Die Einheit in diesem großen Ganzen liegt daher in der Aufgabe der Regierung; die wahre Bedeutung des Ministeriums des Unterrichts erscheint erst dann, wenn man neben dem Princip der Selbständigkeit jedes Lehr- körpers zugleich die Idee des einheitlichen Berufsbildungswesens festhält. Denn diese in jedem Theile festzuhalten, ist eben die wahre Aufgabe der höchsten Verwaltung des Bildungswesens.
Der wesentliche Inhalt jener beiden großen Gebiete des öffentlichen Rechts der Berufsbildung ist nun folgender.
a) Die Lehrordnung. Das erste Princip der Lehrordnung des neunzehnten Jahrhunderts ist das der Lern- und Lehrfreiheit. Sie ist in der That wesentlich negativ. Sie ist der Grundsatz, daß nachdem die großen Grundlagen aller Berufsbildung feststehen, die in- dividuelle Lehrthätigkeit und die individuelle Selbstbestimmung für die Bildung entscheidend sein sollen. Sie hebt die formelle Ordnung auf, und setzt an ihre Stelle die freie Thätigkeit. Ihre Voraus- setzung aber ist der Gewinn des festen wissenschaftlichen Minimums jeder Berufsbildung; ohne sie wird sie zur Ungründlichkeit. Ihre bei- den praktischen Hauptanwendungen sind einerseits die freie Zulas- sung von Vorbildungsanstalten als Privatunternehmungen, andererseits die Freiheit im Uebergang von einem Berufe zum andern. Auf diesem Gebiete sind freilich sowohl die Grundsätze als ihre organische Ausfüh- rung noch sehr unklar und im Werden begriffen.
Die Studienordnungen enthalten die gleichmäßigen Vorschriften für den Plan und die Disciplin der Studien durch die Schüler, als Gränzen der Lernfreiheit. Sie sind naturgemäß für jeden Zweig der Berufsbildung verschieden, haben für die Vorbildungsanstalten den Charakter von Vorschriften, für die Fachbildungsanstalten den Charakter eines fachmännischen Rathes; ihre Handhabung ist dem Lehrkörper
jedoch ſehr verſchieden, ſowohl für die Vorbildung, als für die einzel- nen Berufe andererſeits. Für die erſteren ſind ſie beide nothwendig und allgemein; für die zweite ſind ſie nur für die gelehrte Fachbildung ganz durchzuführen, während für die wirthſchaftliche Fachbildung die Prüfung nur theilweiſe nothwendig, theilweiſe frei, für die künſtleriſche Bildung dagegen unthunlich iſt. Daher haben einerſeits die Vorbil- dungsanſtalten, andererſeits die Fachbildungskörper jede ihr eigenes Rechtsſyſtem, deſſen Elemente ſehr einfach, deſſen Einzelheiten ſehr mannichfaltig, und deſſen Codifikation in Einem Geſetze weder thunlich noch auch wünſchenswerth iſt. Die geſetzlichen Beſtimmungen beziehen ſich daher faſt nur — mit Ausnahme Frankreichs und ſeiner Univer- sité, die wieder das ganze wirthſchaftliche und künſtleriſche Bildungs- weſen nicht kennt — auf die einzelnen Anſtalten. Die Einheit in dieſem großen Ganzen liegt daher in der Aufgabe der Regierung; die wahre Bedeutung des Miniſteriums des Unterrichts erſcheint erſt dann, wenn man neben dem Princip der Selbſtändigkeit jedes Lehr- körpers zugleich die Idee des einheitlichen Berufsbildungsweſens feſthält. Denn dieſe in jedem Theile feſtzuhalten, iſt eben die wahre Aufgabe der höchſten Verwaltung des Bildungsweſens.
Der weſentliche Inhalt jener beiden großen Gebiete des öffentlichen Rechts der Berufsbildung iſt nun folgender.
a) Die Lehrordnung. Das erſte Princip der Lehrordnung des neunzehnten Jahrhunderts iſt das der Lern- und Lehrfreiheit. Sie iſt in der That weſentlich negativ. Sie iſt der Grundſatz, daß nachdem die großen Grundlagen aller Berufsbildung feſtſtehen, die in- dividuelle Lehrthätigkeit und die individuelle Selbſtbeſtimmung für die Bildung entſcheidend ſein ſollen. Sie hebt die formelle Ordnung auf, und ſetzt an ihre Stelle die freie Thätigkeit. Ihre Voraus- ſetzung aber iſt der Gewinn des feſten wiſſenſchaftlichen Minimums jeder Berufsbildung; ohne ſie wird ſie zur Ungründlichkeit. Ihre bei- den praktiſchen Hauptanwendungen ſind einerſeits die freie Zulaſ- ſung von Vorbildungsanſtalten als Privatunternehmungen, andererſeits die Freiheit im Uebergang von einem Berufe zum andern. Auf dieſem Gebiete ſind freilich ſowohl die Grundſätze als ihre organiſche Ausfüh- rung noch ſehr unklar und im Werden begriffen.
Die Studienordnungen enthalten die gleichmäßigen Vorſchriften für den Plan und die Disciplin der Studien durch die Schüler, als Gränzen der Lernfreiheit. Sie ſind naturgemäß für jeden Zweig der Berufsbildung verſchieden, haben für die Vorbildungsanſtalten den Charakter von Vorſchriften, für die Fachbildungsanſtalten den Charakter eines fachmänniſchen Rathes; ihre Handhabung iſt dem Lehrkörper
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[132/0156]
jedoch ſehr verſchieden, ſowohl für die Vorbildung, als für die einzel-
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und allgemein; für die zweite ſind ſie nur für die gelehrte Fachbildung
ganz durchzuführen, während für die wirthſchaftliche Fachbildung die
Prüfung nur theilweiſe nothwendig, theilweiſe frei, für die künſtleriſche
Bildung dagegen unthunlich iſt. Daher haben einerſeits die Vorbil-
dungsanſtalten, andererſeits die Fachbildungskörper jede ihr eigenes
Rechtsſyſtem, deſſen Elemente ſehr einfach, deſſen Einzelheiten ſehr
mannichfaltig, und deſſen Codifikation in Einem Geſetze weder thunlich
noch auch wünſchenswerth iſt. Die geſetzlichen Beſtimmungen beziehen
ſich daher faſt nur — mit Ausnahme Frankreichs und ſeiner Univer-
sité, die wieder das ganze wirthſchaftliche und künſtleriſche Bildungs-
weſen nicht kennt — auf die einzelnen Anſtalten. Die Einheit
in dieſem großen Ganzen liegt daher in der Aufgabe der Regierung;
die wahre Bedeutung des Miniſteriums des Unterrichts erſcheint erſt
dann, wenn man neben dem Princip der Selbſtändigkeit jedes Lehr-
körpers zugleich die Idee des einheitlichen Berufsbildungsweſens
feſthält. Denn dieſe in jedem Theile feſtzuhalten, iſt eben die wahre
Aufgabe der höchſten Verwaltung des Bildungsweſens.
Der weſentliche Inhalt jener beiden großen Gebiete des öffentlichen
Rechts der Berufsbildung iſt nun folgender.
a) Die Lehrordnung. Das erſte Princip der Lehrordnung
des neunzehnten Jahrhunderts iſt das der Lern- und Lehrfreiheit.
Sie iſt in der That weſentlich negativ. Sie iſt der Grundſatz, daß
nachdem die großen Grundlagen aller Berufsbildung feſtſtehen, die in-
dividuelle Lehrthätigkeit und die individuelle Selbſtbeſtimmung für
die Bildung entſcheidend ſein ſollen. Sie hebt die formelle Ordnung
auf, und ſetzt an ihre Stelle die freie Thätigkeit. Ihre Voraus-
ſetzung aber iſt der Gewinn des feſten wiſſenſchaftlichen Minimums
jeder Berufsbildung; ohne ſie wird ſie zur Ungründlichkeit. Ihre bei-
den praktiſchen Hauptanwendungen ſind einerſeits die freie Zulaſ-
ſung von Vorbildungsanſtalten als Privatunternehmungen, andererſeits
die Freiheit im Uebergang von einem Berufe zum andern. Auf dieſem
Gebiete ſind freilich ſowohl die Grundſätze als ihre organiſche Ausfüh-
rung noch ſehr unklar und im Werden begriffen.
Die Studienordnungen enthalten die gleichmäßigen Vorſchriften
für den Plan und die Disciplin der Studien durch die Schüler, als
Gränzen der Lernfreiheit. Sie ſind naturgemäß für jeden Zweig der
Berufsbildung verſchieden, haben für die Vorbildungsanſtalten den
Charakter von Vorſchriften, für die Fachbildungsanſtalten den Charakter
eines fachmänniſchen Rathes; ihre Handhabung iſt dem Lehrkörper
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/156>, abgerufen am 22.12.2024.
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