nichts als Waffenbildung und die Bildung für die Rechtspflege im Volksrechte, neben völliger Bildungslosigkeit der beherrschten Classe.
Die Ständeordnung ihrerseits ist eben nichts anderes, als die Ordnung der ganzen Gemeinschaft nach den zu herrschenden Stän- den erhobenen Berufen. Naturgemäß stellt sie daher den rein geistigen Beruf in der Geistlichkeit an die Spitze, neben sich durch die Aufnahme der Geschlechterordnung den Waffenberuf und unter sich den gewerb- lichen Beruf in Zunft- und Innungswesen. Sie ist ein unendlicher Fortschritt gegenüber der Geschlechterordnung; mit ihr erwacht das geistige Leben, und im Grundsatz ist wenigstens in Kirche und Zunft auch das Mitglied der beherrschten Classe nicht ausgeschlossen. Allein das körperschaftliche Element, das diese ganze ständische Welt durch- dringt, schließt faktisch diese Körperschaften in geistiger wie zuletzt auch in gesellschaftlicher Beziehung von einander ab, und so entsteht der Charakter des ständischen Bildungswesens, dem bei wenn auch großer, so doch einseitiger wissenschaftlicher Bildung sowohl das sociale als das höhere ethische Element verloren zu gehen droht.
Das ist nun der Punkt, auf welchem sich die welthistorische Er- scheinung der Universitäten entfaltet. Das große Princip der Uni- versitäten ist geistig die Idee der Einheit aller Wissenschaft, die wieder in den Fakultäten als Berufsbildungsanstalten erscheinen, während es die große nie genug gewürdigte Aufgabe der philosophischen Fakultät war und ist, eben die Einheit der Fakultäten zum wissenschaftlichen Ausdruck zu bringen; gesellschaftlich das Princip der freien Zulassung jedes Einzelnen zur Universität, die Negation des ständischen Unter- schiedes in dem "akademischen Bürgerthum." An diese Macht der Uni- versitäten schließt sich ihr zweiter Einfluß. Durch sie scheidet sich die Vorbildung von der Fachbildung. Das "Gymnasium" und die "Schola" werden Vorbildungsanstalten und die wissenschaftliche Bildung empfängt ihre erste Organisation. Das ist der Anfang des eigent- lichen Berufsbildungswesens Europa's.
Allein auch die Universitäten und selbst die Gymnasien und hohen Schulen behalten doch den ständischen Charakter. Nicht allein daß sie ständische Körperschaften bilden, sondern ihr Grundcharakter bleibt der Satz, daß es doch zuletzt keine höhere Bildung außer der Universitäts- bildung und daß es keinen wahren Beruf außer dem auf der "classischen Gelehrsamkeit" beruhenden gebe. Ein großer Fortschritt bleibt daher zu machen; es ist der, die Idee, die Aufgabe und die öffentliche An- erkennung des Berufes auch außerhalb der Universität, im Gesammt- leben des Volkes, zu finden. Und diesen Schritt thut das achtzehnte Jahrhundert.
nichts als Waffenbildung und die Bildung für die Rechtspflege im Volksrechte, neben völliger Bildungsloſigkeit der beherrſchten Claſſe.
Die Ständeordnung ihrerſeits iſt eben nichts anderes, als die Ordnung der ganzen Gemeinſchaft nach den zu herrſchenden Stän- den erhobenen Berufen. Naturgemäß ſtellt ſie daher den rein geiſtigen Beruf in der Geiſtlichkeit an die Spitze, neben ſich durch die Aufnahme der Geſchlechterordnung den Waffenberuf und unter ſich den gewerb- lichen Beruf in Zunft- und Innungsweſen. Sie iſt ein unendlicher Fortſchritt gegenüber der Geſchlechterordnung; mit ihr erwacht das geiſtige Leben, und im Grundſatz iſt wenigſtens in Kirche und Zunft auch das Mitglied der beherrſchten Claſſe nicht ausgeſchloſſen. Allein das körperſchaftliche Element, das dieſe ganze ſtändiſche Welt durch- dringt, ſchließt faktiſch dieſe Körperſchaften in geiſtiger wie zuletzt auch in geſellſchaftlicher Beziehung von einander ab, und ſo entſteht der Charakter des ſtändiſchen Bildungsweſens, dem bei wenn auch großer, ſo doch einſeitiger wiſſenſchaftlicher Bildung ſowohl das ſociale als das höhere ethiſche Element verloren zu gehen droht.
Das iſt nun der Punkt, auf welchem ſich die welthiſtoriſche Er- ſcheinung der Univerſitäten entfaltet. Das große Princip der Uni- verſitäten iſt geiſtig die Idee der Einheit aller Wiſſenſchaft, die wieder in den Fakultäten als Berufsbildungsanſtalten erſcheinen, während es die große nie genug gewürdigte Aufgabe der philoſophiſchen Fakultät war und iſt, eben die Einheit der Fakultäten zum wiſſenſchaftlichen Ausdruck zu bringen; geſellſchaftlich das Princip der freien Zulaſſung jedes Einzelnen zur Univerſität, die Negation des ſtändiſchen Unter- ſchiedes in dem „akademiſchen Bürgerthum.“ An dieſe Macht der Uni- verſitäten ſchließt ſich ihr zweiter Einfluß. Durch ſie ſcheidet ſich die Vorbildung von der Fachbildung. Das „Gymnaſium“ und die „Schola“ werden Vorbildungsanſtalten und die wiſſenſchaftliche Bildung empfängt ihre erſte Organiſation. Das iſt der Anfang des eigent- lichen Berufsbildungsweſens Europa’s.
Allein auch die Univerſitäten und ſelbſt die Gymnaſien und hohen Schulen behalten doch den ſtändiſchen Charakter. Nicht allein daß ſie ſtändiſche Körperſchaften bilden, ſondern ihr Grundcharakter bleibt der Satz, daß es doch zuletzt keine höhere Bildung außer der Univerſitäts- bildung und daß es keinen wahren Beruf außer dem auf der „claſſiſchen Gelehrſamkeit“ beruhenden gebe. Ein großer Fortſchritt bleibt daher zu machen; es iſt der, die Idee, die Aufgabe und die öffentliche An- erkennung des Berufes auch außerhalb der Univerſität, im Geſammt- leben des Volkes, zu finden. Und dieſen Schritt thut das achtzehnte Jahrhundert.
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nichts als Waffenbildung und die Bildung für die Rechtspflege im
Volksrechte, neben völliger Bildungsloſigkeit der beherrſchten Claſſe.
Die Ständeordnung ihrerſeits iſt eben nichts anderes, als die
Ordnung der ganzen Gemeinſchaft nach den zu herrſchenden Stän-
den erhobenen Berufen. Naturgemäß ſtellt ſie daher den rein geiſtigen
Beruf in der Geiſtlichkeit an die Spitze, neben ſich durch die Aufnahme
der Geſchlechterordnung den Waffenberuf und unter ſich den gewerb-
lichen Beruf in Zunft- und Innungsweſen. Sie iſt ein unendlicher
Fortſchritt gegenüber der Geſchlechterordnung; mit ihr erwacht das
geiſtige Leben, und im Grundſatz iſt wenigſtens in Kirche und Zunft
auch das Mitglied der beherrſchten Claſſe nicht ausgeſchloſſen. Allein
das körperſchaftliche Element, das dieſe ganze ſtändiſche Welt durch-
dringt, ſchließt faktiſch dieſe Körperſchaften in geiſtiger wie zuletzt auch
in geſellſchaftlicher Beziehung von einander ab, und ſo entſteht der
Charakter des ſtändiſchen Bildungsweſens, dem bei wenn auch großer,
ſo doch einſeitiger wiſſenſchaftlicher Bildung ſowohl das ſociale als das
höhere ethiſche Element verloren zu gehen droht.
Das iſt nun der Punkt, auf welchem ſich die welthiſtoriſche Er-
ſcheinung der Univerſitäten entfaltet. Das große Princip der Uni-
verſitäten iſt geiſtig die Idee der Einheit aller Wiſſenſchaft, die wieder
in den Fakultäten als Berufsbildungsanſtalten erſcheinen, während es
die große nie genug gewürdigte Aufgabe der philoſophiſchen Fakultät
war und iſt, eben die Einheit der Fakultäten zum wiſſenſchaftlichen
Ausdruck zu bringen; geſellſchaftlich das Princip der freien Zulaſſung
jedes Einzelnen zur Univerſität, die Negation des ſtändiſchen Unter-
ſchiedes in dem „akademiſchen Bürgerthum.“ An dieſe Macht der Uni-
verſitäten ſchließt ſich ihr zweiter Einfluß. Durch ſie ſcheidet ſich die
Vorbildung von der Fachbildung. Das „Gymnaſium“ und die
„Schola“ werden Vorbildungsanſtalten und die wiſſenſchaftliche Bildung
empfängt ihre erſte Organiſation. Das iſt der Anfang des eigent-
lichen Berufsbildungsweſens Europa’s.
Allein auch die Univerſitäten und ſelbſt die Gymnaſien und hohen
Schulen behalten doch den ſtändiſchen Charakter. Nicht allein daß ſie
ſtändiſche Körperſchaften bilden, ſondern ihr Grundcharakter bleibt der
Satz, daß es doch zuletzt keine höhere Bildung außer der Univerſitäts-
bildung und daß es keinen wahren Beruf außer dem auf der „claſſiſchen
Gelehrſamkeit“ beruhenden gebe. Ein großer Fortſchritt bleibt daher
zu machen; es iſt der, die Idee, die Aufgabe und die öffentliche An-
erkennung des Berufes auch außerhalb der Univerſität, im Geſammt-
leben des Volkes, zu finden. Und dieſen Schritt thut das achtzehnte
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/151>, abgerufen am 30.11.2024.
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