ihre bedeutendsten Folgen außerhalb der Sphäre des Einzellebens. Sind aber Bildung und Gesittung auf diese Weise Elemente und Faktoren des Gesammtlebens, so werden sie damit auch Gegenstand der für ihre eigene Entwicklung thätigen Gemeinschaft, die auch hier im Staate und seiner Verwaltung ihren persönlichen Ausdruck findet. In diesem Sinne erscheint der Bildungszustand der Bildung aller Einzelnen als die öffentliche Bildung, und demgemäß nennen wir die organische Gesammtheit der Thätigkeit in Staat und Verwaltung für die Bildung und Gesittung des Volkes als öffentliche Bildung das Bildungswesen.
Das Bildungswesen ist daher die Verwaltung der geistigen Welt; es ist die Arbeit des Geistes für den Geist. Es ist ein mächtiges und unendlich wichtiges Gebiet des Staatslebens, aber es hat große Vor- aussetzungen, um zu seiner vollen Bedeutung zu gelangen. Diese Voraussetzungen liegen theils in der Erkenntniß der Gesetze, nach denen sich der Geist bildet, der Pädagogik und Methodologie, theils in dem Verständniß ihrer richtigen Anwendung durch die für die Bil- dung bestimmten Organe, das durch das Unterrichtswesen geboten wird, theils endlich in der Unterscheidung der organischen Stufen und Gebiete der Bildung, dem Bildungssystem. Das Verhältniß dieser Begriffe zu einander ist, daß in dem Bildungssysteme die praktische Verwendung der Pädagogik und Methode als Unterricht zu Geltung gelangt. Ein Bildungswesen ist daher so lange unorganisch und zum Theil sogar unverständlich, bis es zu den festen Kategorien dieses Sy- stems gelangt ist.
Natürlich hat es nun Jahrtausende gedauert, bis dieser allgemeine Grundgedanke der öffentlichen Bildung eine feste Gestalt, ein klares System und ein bestimmtes öffentliches Recht angenommen hat, und bis die Erkenntniß auch wissenschaftlich feststand, daß alle Gebiete des Bildungswesens eine Einheit sind. Das gegenwärtige System desselben in Europa muß daher als das große Resultat der ganzen Geschichte des menschlichen Geistes erkannt, und daher von dem Standpunkt dieser Geschichte aus behandelt werden.
Bei großem Reichthum der Literatur über die einzelnen Gebiete und da- hinein schlagenden Fragen nur geringe Berücksichtigung der Einheit derselben. Sie wurden erst im vorigen Jahrhundert in das System der Staatswissenschaft aufgenommen. (Justi, Polizeiwissenschaft 10. Bd. S. 38. Sonnenfels, I. 80. Berg, Polizeirecht II. Hauptstück V.) Mit unserem Jahrhundert scheidet sich die Frage in die zwei Gebiete des öffentlichen Rechts des Unterrichtswesens und der Systematik desselben. Das erste s. unten. Die systematische Behand- lung zieht sich durch die Polizei oder Staatswissenschaft ziemlich gleichförmig hindurch (JacobI. 146. Pölitz, staatswissenschaftliche Erziehungspolizei II.[ - 1 Zeichen fehlt] [19]
ihre bedeutendſten Folgen außerhalb der Sphäre des Einzellebens. Sind aber Bildung und Geſittung auf dieſe Weiſe Elemente und Faktoren des Geſammtlebens, ſo werden ſie damit auch Gegenſtand der für ihre eigene Entwicklung thätigen Gemeinſchaft, die auch hier im Staate und ſeiner Verwaltung ihren perſönlichen Ausdruck findet. In dieſem Sinne erſcheint der Bildungszuſtand der Bildung aller Einzelnen als die öffentliche Bildung, und demgemäß nennen wir die organiſche Geſammtheit der Thätigkeit in Staat und Verwaltung für die Bildung und Geſittung des Volkes als öffentliche Bildung das Bildungsweſen.
Das Bildungsweſen iſt daher die Verwaltung der geiſtigen Welt; es iſt die Arbeit des Geiſtes für den Geiſt. Es iſt ein mächtiges und unendlich wichtiges Gebiet des Staatslebens, aber es hat große Vor- ausſetzungen, um zu ſeiner vollen Bedeutung zu gelangen. Dieſe Vorausſetzungen liegen theils in der Erkenntniß der Geſetze, nach denen ſich der Geiſt bildet, der Pädagogik und Methodologie, theils in dem Verſtändniß ihrer richtigen Anwendung durch die für die Bil- dung beſtimmten Organe, das durch das Unterrichtsweſen geboten wird, theils endlich in der Unterſcheidung der organiſchen Stufen und Gebiete der Bildung, dem Bildungsſyſtem. Das Verhältniß dieſer Begriffe zu einander iſt, daß in dem Bildungsſyſteme die praktiſche Verwendung der Pädagogik und Methode als Unterricht zu Geltung gelangt. Ein Bildungsweſen iſt daher ſo lange unorganiſch und zum Theil ſogar unverſtändlich, bis es zu den feſten Kategorien dieſes Sy- ſtems gelangt iſt.
Natürlich hat es nun Jahrtauſende gedauert, bis dieſer allgemeine Grundgedanke der öffentlichen Bildung eine feſte Geſtalt, ein klares Syſtem und ein beſtimmtes öffentliches Recht angenommen hat, und bis die Erkenntniß auch wiſſenſchaftlich feſtſtand, daß alle Gebiete des Bildungsweſens eine Einheit ſind. Das gegenwärtige Syſtem deſſelben in Europa muß daher als das große Reſultat der ganzen Geſchichte des menſchlichen Geiſtes erkannt, und daher von dem Standpunkt dieſer Geſchichte aus behandelt werden.
Bei großem Reichthum der Literatur über die einzelnen Gebiete und da- hinein ſchlagenden Fragen nur geringe Berückſichtigung der Einheit derſelben. Sie wurden erſt im vorigen Jahrhundert in das Syſtem der Staatswiſſenſchaft aufgenommen. (Juſti, Polizeiwiſſenſchaft 10. Bd. S. 38. Sonnenfels, I. 80. Berg, Polizeirecht II. Hauptſtück V.) Mit unſerem Jahrhundert ſcheidet ſich die Frage in die zwei Gebiete des öffentlichen Rechts des Unterrichtsweſens und der Syſtematik deſſelben. Das erſte ſ. unten. Die ſyſtematiſche Behand- lung zieht ſich durch die Polizei oder Staatswiſſenſchaft ziemlich gleichförmig hindurch (JacobI. 146. Pölitz, ſtaatswiſſenſchaftliche Erziehungspolizei II.[ – 1 Zeichen fehlt] [19]
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des Geſammtlebens, ſo werden ſie damit auch Gegenſtand der für
ihre eigene Entwicklung thätigen Gemeinſchaft, die auch hier im Staate
und ſeiner Verwaltung ihren perſönlichen Ausdruck findet. In dieſem
Sinne erſcheint der Bildungszuſtand der Bildung aller Einzelnen als
die öffentliche Bildung, und demgemäß nennen wir die organiſche
Geſammtheit der Thätigkeit in Staat und Verwaltung für die Bildung
und Geſittung des Volkes als öffentliche Bildung das Bildungsweſen.
Das Bildungsweſen iſt daher die Verwaltung der geiſtigen Welt;
es iſt die Arbeit des Geiſtes für den Geiſt. Es iſt ein mächtiges und
unendlich wichtiges Gebiet des Staatslebens, aber es hat große Vor-
ausſetzungen, um zu ſeiner vollen Bedeutung zu gelangen. Dieſe
Vorausſetzungen liegen theils in der Erkenntniß der Geſetze, nach denen
ſich der Geiſt bildet, der Pädagogik und Methodologie, theils
in dem Verſtändniß ihrer richtigen Anwendung durch die für die Bil-
dung beſtimmten Organe, das durch das Unterrichtsweſen geboten
wird, theils endlich in der Unterſcheidung der organiſchen Stufen und
Gebiete der Bildung, dem Bildungsſyſtem. Das Verhältniß dieſer
Begriffe zu einander iſt, daß in dem Bildungsſyſteme die praktiſche
Verwendung der Pädagogik und Methode als Unterricht zu Geltung
gelangt. Ein Bildungsweſen iſt daher ſo lange unorganiſch und zum
Theil ſogar unverſtändlich, bis es zu den feſten Kategorien dieſes Sy-
ſtems gelangt iſt.
Natürlich hat es nun Jahrtauſende gedauert, bis dieſer allgemeine
Grundgedanke der öffentlichen Bildung eine feſte Geſtalt, ein klares
Syſtem und ein beſtimmtes öffentliches Recht angenommen hat, und
bis die Erkenntniß auch wiſſenſchaftlich feſtſtand, daß alle Gebiete des
Bildungsweſens eine Einheit ſind. Das gegenwärtige Syſtem deſſelben
in Europa muß daher als das große Reſultat der ganzen Geſchichte
des menſchlichen Geiſtes erkannt, und daher von dem Standpunkt dieſer
Geſchichte aus behandelt werden.
Bei großem Reichthum der Literatur über die einzelnen Gebiete und da-
hinein ſchlagenden Fragen nur geringe Berückſichtigung der Einheit derſelben.
Sie wurden erſt im vorigen Jahrhundert in das Syſtem der Staatswiſſenſchaft
aufgenommen. (Juſti, Polizeiwiſſenſchaft 10. Bd. S. 38. Sonnenfels,
I. 80. Berg, Polizeirecht II. Hauptſtück V.) Mit unſerem Jahrhundert ſcheidet
ſich die Frage in die zwei Gebiete des öffentlichen Rechts des Unterrichtsweſens
und der Syſtematik deſſelben. Das erſte ſ. unten. Die ſyſtematiſche Behand-
lung zieht ſich durch die Polizei oder Staatswiſſenſchaft ziemlich gleichförmig
hindurch (Jacob I. 146. Pölitz, ſtaatswiſſenſchaftliche Erziehungspolizei II. _ 19
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/132>, abgerufen am 28.11.2024.
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