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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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nicht gewahr. In einem Gedicht Brentanos pst_086.002
heißt es:

pst_086.003
"Nacht ist voller Lug und Trug, pst_086.004
Nimmer sehen wir genug pst_086.005
In den schwarzen Augen; pst_086.006
Heiß ist Liebe, Nacht ist kühl, pst_086.007
Ach! ich seh ihr viel zu viel pst_086.008
In die schwarzen Augen!
pst_086.009
Sonne wollt' nicht untergehn, pst_086.010
Blieb am Berg neugierig stehn; pst_086.011
Kam die Nacht gegangen; pst_086.012
Stille Nacht, in deinem Schoß pst_086.013
Liegt der Menschen höchstes Los pst_086.014
Mütterlich umfangen."
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Die Nacht ist voller Lug und Trug; die Nacht ist mütterlicher pst_086.016
Schoß. Ich sehe nie genug, ich sehe viel zu viel pst_086.017
in ihre Augen. Das steht unvermittelt nebeneinander. pst_086.018
Es stört den Dichter nicht, denn er denkt nicht, und er pst_086.019
setzt nichts voraus.

pst_086.020

Ein einzelnes Lied beweist darum nichts. Ein Epos, pst_086.021
ein Drama beweist zunächst, daß sein Schöpfer eine pst_086.022
dichterische Existenz ist. Ein einzelnes Lied dagegen, pst_086.023
wie es in jeder Hinsicht ein Zufall bleibt, kann auch pst_086.024
einmal Unbegabten gelingen. Es gibt in der deutschen pst_086.025
Dichtung manche Zufälle dieser Art, etwa die wenigen pst_086.026
Lieder Luise Hensels, Marianne von Willemers oder pst_086.027
das "Zu spät" Friedrich Theodor Vischers. - Doch Epen pst_086.028
und Dramen beweisen noch mehr. Ein Epos beweist pst_086.029
eine Einheit des Daseins, weiterhin eine Einheit des pst_086.030
Volks (vergleiche Seite 142). Ein Drama kann beweisen,

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nicht gewahr. In einem Gedicht Brentanos pst_086.002
heißt es:

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«Nacht ist voller Lug und Trug, pst_086.004
Nimmer sehen wir genug pst_086.005
In den schwarzen Augen; pst_086.006
Heiß ist Liebe, Nacht ist kühl, pst_086.007
Ach! ich seh ihr viel zu viel pst_086.008
In die schwarzen Augen!
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Sonne wollt' nicht untergehn, pst_086.010
Blieb am Berg neugierig stehn; pst_086.011
Kam die Nacht gegangen; pst_086.012
Stille Nacht, in deinem Schoß pst_086.013
Liegt der Menschen höchstes Los pst_086.014
Mütterlich umfangen.»
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Die Nacht ist voller Lug und Trug; die Nacht ist mütterlicher pst_086.016
Schoß. Ich sehe nie genug, ich sehe viel zu viel pst_086.017
in ihre Augen. Das steht unvermittelt nebeneinander. pst_086.018
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  Ein einzelnes Lied beweist darum nichts. Ein Epos, pst_086.021
ein Drama beweist zunächst, daß sein Schöpfer eine pst_086.022
dichterische Existenz ist. Ein einzelnes Lied dagegen, pst_086.023
wie es in jeder Hinsicht ein Zufall bleibt, kann auch pst_086.024
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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/90>, abgerufen am 23.11.2024.