pst_084.001 ausgeprägt sind. Und dies besagt, daß jede Dichtung pst_084.002 an allen drei Gattungsideen mehr oder minder beteiligt pst_084.003 ist, da sich keine, als Sprachkunstwerk, dem vollen pst_084.004 Wesen der Sprache ganz zu entziehen vermag.
pst_084.005
8.
pst_084.006
Es bleibt noch übrig, von den Grenzen der lyrischen pst_084.007 Poesie zu sprechen und zu sagen, was sie dem Dichter pst_084.008 und Leser schuldig bleiben muß. Öfter fanden wir uns pst_084.009 genötigt, vom "Wunder" der lyrischen Sprache zu pst_084.010 reden. Sie ist unbegreiflich und kein Verdienst, da niemand pst_084.011 sie zu erzwingen vermag. So gilt auch von ihr Duhamels pst_084.012 Satz: "Miracle n'est pas oeuvre"1. Der lyrische pst_084.013 Dichter leistet nichts (1). Drum, wenn der Epiker fleißig, pst_084.014 der Dramatiker gar verbissen sein muß, darf er so pst_084.015 träge sein wie Mörike oder so willenlos wie Brentano. pst_084.016 Episches nämlich will gesammelt, Dramatisches will erzwungen pst_084.017 sein. Lyrisches aber wird eingegeben. Auf die pst_084.018 Eingebung warten, ist das Einzige, was der Lyriker tun pst_084.019 kann. Wer jedoch stets der Gnade harrt, der darf sich pst_084.020 auch nur auf Gnade verlassen und keiner Wirkung der pst_084.021 Kraft, des Willens und der Geduld gewärtig sein. Selbst pst_084.022 das ängstliche Feilen von Liedern ist davon nicht ausgenommen. pst_084.023 Wo nicht der Kunstverstand ein Lied herstellt pst_084.024 - was freilich auch möglich ist - können auch pst_084.025 neue Nuancen nur aus neuen Eingebungen hervorgehn.
pst_084.026 pst_084.027
"Miracle n'est pas oeuvre" heißt ferner: "Gedichte
1pst_084.028 Eintrag im Gästebuch der Berner Freistudenten.
pst_084.001 ausgeprägt sind. Und dies besagt, daß jede Dichtung pst_084.002 an allen drei Gattungsideen mehr oder minder beteiligt pst_084.003 ist, da sich keine, als Sprachkunstwerk, dem vollen pst_084.004 Wesen der Sprache ganz zu entziehen vermag.
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8.
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Es bleibt noch übrig, von den Grenzen der lyrischen pst_084.007 Poesie zu sprechen und zu sagen, was sie dem Dichter pst_084.008 und Leser schuldig bleiben muß. Öfter fanden wir uns pst_084.009 genötigt, vom «Wunder» der lyrischen Sprache zu pst_084.010 reden. Sie ist unbegreiflich und kein Verdienst, da niemand pst_084.011 sie zu erzwingen vermag. So gilt auch von ihr Duhamels pst_084.012 Satz: «Miracle n'est pas œuvre»1. Der lyrische pst_084.013 Dichter leistet nichts (1). Drum, wenn der Epiker fleißig, pst_084.014 der Dramatiker gar verbissen sein muß, darf er so pst_084.015 träge sein wie Mörike oder so willenlos wie Brentano. pst_084.016 Episches nämlich will gesammelt, Dramatisches will erzwungen pst_084.017 sein. Lyrisches aber wird eingegeben. Auf die pst_084.018 Eingebung warten, ist das Einzige, was der Lyriker tun pst_084.019 kann. Wer jedoch stets der Gnade harrt, der darf sich pst_084.020 auch nur auf Gnade verlassen und keiner Wirkung der pst_084.021 Kraft, des Willens und der Geduld gewärtig sein. Selbst pst_084.022 das ängstliche Feilen von Liedern ist davon nicht ausgenommen. pst_084.023 Wo nicht der Kunstverstand ein Lied herstellt pst_084.024 – was freilich auch möglich ist – können auch pst_084.025 neue Nuancen nur aus neuen Eingebungen hervorgehn.
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auch nur auf Gnade verlassen und keiner Wirkung der pst_084.021
Kraft, des Willens und der Geduld gewärtig sein. Selbst pst_084.022
das ängstliche Feilen von Liedern ist davon nicht ausgenommen. pst_084.023
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– was freilich auch möglich ist – können auch pst_084.025
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«Miracle n'est pas œuvre» heißt ferner: «Gedichte
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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/88>, abgerufen am 17.02.2025.
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