Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_078.001 "Eingeschlafen auf der Lauer pst_078.004 Oben ist der alte Ritter; pst_078.005 Drüber gehen Regenschauer, pst_078.006 Und der Wald rauscht durch das Gitter. pst_078.007 Eingewachsen Bart und Haare, pst_078.008 Und versteinert Brust und Krause, pst_078.009 Sitzt er viele hundert Jahre pst_078.010 Oben in der stillen Klause. pst_078.011 Draußen ist es still und friedlich, pst_078.012 Alle sind ins Tal gezogen, pst_078.013 Waldesvögel einsam singen pst_078.014 In den leeren Fensterbogen. pst_078.015 pst_078.019Eine Hochzeit fährt da unten pst_078.016 Auf dem Rhein im Sonnenscheine, pst_078.017 Musikanten spielen munter, pst_078.018 Und die schöne Braut die weinet." Das ist ein ganz beliebiger Ausschnitt aus der Stimmung pst_078.020 Anders "Im Grase" der Annette von Droste. Nach pst_078.027 pst_078.001 «Eingeschlafen auf der Lauer pst_078.004 Oben ist der alte Ritter; pst_078.005 Drüber gehen Regenschauer, pst_078.006 Und der Wald rauscht durch das Gitter. pst_078.007 Eingewachsen Bart und Haare, pst_078.008 Und versteinert Brust und Krause, pst_078.009 Sitzt er viele hundert Jahre pst_078.010 Oben in der stillen Klause. pst_078.011 Draußen ist es still und friedlich, pst_078.012 Alle sind ins Tal gezogen, pst_078.013 Waldesvögel einsam singen pst_078.014 In den leeren Fensterbogen. pst_078.015 pst_078.019Eine Hochzeit fährt da unten pst_078.016 Auf dem Rhein im Sonnenscheine, pst_078.017 Musikanten spielen munter, pst_078.018 Und die schöne Braut die weinet.» Das ist ein ganz beliebiger Ausschnitt aus der Stimmung pst_078.020 Anders «Im Grase» der Annette von Droste. Nach pst_078.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0082" n="78"/><lb n="pst_078.001"/> gewährt vielleicht noch tiefere Einsicht. Wir lesen <lb n="pst_078.002"/> Eichendorffs «Auf einer Burg»:</p> <lb n="pst_078.003"/> <lg> <l>«Eingeschlafen auf der Lauer</l> <lb n="pst_078.004"/> <l>Oben ist der alte Ritter;</l> <lb n="pst_078.005"/> <l>Drüber gehen Regenschauer,</l> <lb n="pst_078.006"/> <l>Und der Wald rauscht durch das Gitter. </l> </lg> <lg> <lb n="pst_078.007"/> <l>Eingewachsen Bart und Haare,</l> <lb n="pst_078.008"/> <l>Und versteinert Brust und Krause,</l> <lb n="pst_078.009"/> <l>Sitzt er viele hundert Jahre</l> <lb n="pst_078.010"/> <l>Oben in der stillen Klause. </l> </lg> <lg> <lb n="pst_078.011"/> <l>Draußen ist es still und friedlich,</l> <lb n="pst_078.012"/> <l>Alle sind ins Tal gezogen,</l> <lb n="pst_078.013"/> <l>Waldesvögel einsam singen</l> <lb n="pst_078.014"/> <l>In den leeren Fensterbogen. </l> </lg> <lg> <lb n="pst_078.015"/> <l>Eine Hochzeit fährt da unten</l> <lb n="pst_078.016"/> <l>Auf dem Rhein im Sonnenscheine,</l> <lb n="pst_078.017"/> <l>Musikanten spielen munter,</l> <lb n="pst_078.018"/> <l>Und die schöne Braut die weinet.»</l> </lg> <lb n="pst_078.019"/> <p> Das ist ein ganz beliebiger Ausschnitt aus der Stimmung <lb n="pst_078.020"/> einer Landschaft. Im letzten Vers zwar scheint <lb n="pst_078.021"/> sich das Gefühl ein wenig zu verdichten. Vielleicht genügte <lb n="pst_078.022"/> das, um den Dichter aufzuwecken und ihn etwa <lb n="pst_078.023"/> an die Geschichte des Mädchens denken zu lassen. <lb n="pst_078.024"/> Doch es könnte noch lange so weitergehen. Dieses Gedicht <lb n="pst_078.025"/> schließt nicht eigentlich ab.</p> <lb n="pst_078.026"/> <p> Anders «Im Grase» der Annette von Droste. Nach <lb n="pst_078.027"/> den ersten beiden Strophen, die zum Wunderbarsten <lb n="pst_078.028"/> der lyrischen Weltliteratur gehören, wo die Dichterin </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0082]
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gewährt vielleicht noch tiefere Einsicht. Wir lesen pst_078.002
Eichendorffs «Auf einer Burg»:
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«Eingeschlafen auf der Lauer pst_078.004
Oben ist der alte Ritter; pst_078.005
Drüber gehen Regenschauer, pst_078.006
Und der Wald rauscht durch das Gitter.
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Eingewachsen Bart und Haare, pst_078.008
Und versteinert Brust und Krause, pst_078.009
Sitzt er viele hundert Jahre pst_078.010
Oben in der stillen Klause.
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Draußen ist es still und friedlich, pst_078.012
Alle sind ins Tal gezogen, pst_078.013
Waldesvögel einsam singen pst_078.014
In den leeren Fensterbogen.
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Eine Hochzeit fährt da unten pst_078.016
Auf dem Rhein im Sonnenscheine, pst_078.017
Musikanten spielen munter, pst_078.018
Und die schöne Braut die weinet.»
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Das ist ein ganz beliebiger Ausschnitt aus der Stimmung pst_078.020
einer Landschaft. Im letzten Vers zwar scheint pst_078.021
sich das Gefühl ein wenig zu verdichten. Vielleicht genügte pst_078.022
das, um den Dichter aufzuwecken und ihn etwa pst_078.023
an die Geschichte des Mädchens denken zu lassen. pst_078.024
Doch es könnte noch lange so weitergehen. Dieses Gedicht pst_078.025
schließt nicht eigentlich ab.
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Anders «Im Grase» der Annette von Droste. Nach pst_078.027
den ersten beiden Strophen, die zum Wunderbarsten pst_078.028
der lyrischen Weltliteratur gehören, wo die Dichterin
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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