Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_067.001 Nicht als ob nun dennoch die "lyrische Innenwelt" pst_067.011 Doch nähert sich in dieser Erklärung das Lyrische pst_067.020 "Sind nicht die Gefühle, die Halbgefühle, alle die geheimsten pst_067.026 1 pst_067.030
Hg. von W. Brecht, Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, 1930. pst_067.001 Nicht als ob nun dennoch die «lyrische Innenwelt» pst_067.011 Doch nähert sich in dieser Erklärung das Lyrische pst_067.020 «Sind nicht die Gefühle, die Halbgefühle, alle die geheimsten pst_067.026 1 pst_067.030
Hg. von W. Brecht, Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, 1930. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0071" n="67"/><lb n="pst_067.001"/> näher als alle Gegenwart. Er geht darin auf, das heißt, <lb n="pst_067.002"/> er «erinnert». «Erinnerung» soll der Name sein für das <lb n="pst_067.003"/> Fehlen des Abstands zwischen Subjekt und Objekt, für <lb n="pst_067.004"/> das lyrische Ineinander. Gegenwärtiges, Vergangenes, <lb n="pst_067.005"/> ja sogar Künftiges kann in lyrischer Dichtung erinnert <lb n="pst_067.006"/> werden. Goethes «Mailied» erinnert, was, von außen <lb n="pst_067.007"/> gesehen, Gegenwart ist; Mörikes «Im Frühling» erinnert <lb n="pst_067.008"/> am Schluß «alte unnennbare Tage»; manche Oden <lb n="pst_067.009"/> Klopstocks erinnern die künftige Geliebte oder das Grab.</p> <lb n="pst_067.010"/> <p> Nicht als ob nun dennoch die «lyrische Innenwelt» <lb n="pst_067.011"/> erneuert würde! «Erinnerung» bedeutet nicht den <lb n="pst_067.012"/> «Eingang der Welt in das Subjekt», sondern stets das <lb n="pst_067.013"/> Ineinander, so daß man ebenso sagen könnte: der Dichter <lb n="pst_067.014"/> erinnert die Natur, wie: die Natur erinnert den <lb n="pst_067.015"/> Dichter. Das Zweite würde vielleicht sogar der Erfahrung <lb n="pst_067.016"/> vieler lyrischer Dichter mehr entsprechen als das <lb n="pst_067.017"/> Erste. Die Gnade oder der Fluch der Stimmung zum <lb n="pst_067.018"/> mindesten wäre besser gewürdigt.</p> <lb n="pst_067.019"/> <p> Doch nähert sich in dieser Erklärung das Lyrische <lb n="pst_067.020"/> nicht dem Mystischen? In Hofmannsthals «Gespräch <lb n="pst_067.021"/> über Gedichte» finden sich Sätze, die dem hier Vorgetragenen <lb n="pst_067.022"/> nahe stehen und ebenso nahe jener Mystik, <lb n="pst_067.023"/> von der im «Traum von großer Magie» und in «Ad me <lb n="pst_067.024"/> ipsum»<note xml:id="PST_067_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_067.030"/> Hg. von W. Brecht, Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, 1930.</note> die Rede ist:</p> <lb n="pst_067.025"/> <p> «Sind nicht die Gefühle, die Halbgefühle, alle die geheimsten <lb n="pst_067.026"/> und tiefsten Zustände unseres Inneren in der <lb n="pst_067.027"/> seltsamsten Weise mit einer Landschaft verflochten, <lb n="pst_067.028"/> mit einer Jahreszeit, mit einer Beschaffenheit der Luft, <lb n="pst_067.029"/> mit einem Hauch? Eine gewisse Bewegung, mit der du </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [67/0071]
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näher als alle Gegenwart. Er geht darin auf, das heißt, pst_067.002
er «erinnert». «Erinnerung» soll der Name sein für das pst_067.003
Fehlen des Abstands zwischen Subjekt und Objekt, für pst_067.004
das lyrische Ineinander. Gegenwärtiges, Vergangenes, pst_067.005
ja sogar Künftiges kann in lyrischer Dichtung erinnert pst_067.006
werden. Goethes «Mailied» erinnert, was, von außen pst_067.007
gesehen, Gegenwart ist; Mörikes «Im Frühling» erinnert pst_067.008
am Schluß «alte unnennbare Tage»; manche Oden pst_067.009
Klopstocks erinnern die künftige Geliebte oder das Grab.
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Nicht als ob nun dennoch die «lyrische Innenwelt» pst_067.011
erneuert würde! «Erinnerung» bedeutet nicht den pst_067.012
«Eingang der Welt in das Subjekt», sondern stets das pst_067.013
Ineinander, so daß man ebenso sagen könnte: der Dichter pst_067.014
erinnert die Natur, wie: die Natur erinnert den pst_067.015
Dichter. Das Zweite würde vielleicht sogar der Erfahrung pst_067.016
vieler lyrischer Dichter mehr entsprechen als das pst_067.017
Erste. Die Gnade oder der Fluch der Stimmung zum pst_067.018
mindesten wäre besser gewürdigt.
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Doch nähert sich in dieser Erklärung das Lyrische pst_067.020
nicht dem Mystischen? In Hofmannsthals «Gespräch pst_067.021
über Gedichte» finden sich Sätze, die dem hier Vorgetragenen pst_067.022
nahe stehen und ebenso nahe jener Mystik, pst_067.023
von der im «Traum von großer Magie» und in «Ad me pst_067.024
ipsum» 1 die Rede ist:
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«Sind nicht die Gefühle, die Halbgefühle, alle die geheimsten pst_067.026
und tiefsten Zustände unseres Inneren in der pst_067.027
seltsamsten Weise mit einer Landschaft verflochten, pst_067.028
mit einer Jahreszeit, mit einer Beschaffenheit der Luft, pst_067.029
mit einem Hauch? Eine gewisse Bewegung, mit der du
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Hg. von W. Brecht, Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, 1930.
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