Auch solche Wiederholungen sind allein in lyrischer pst_037.002 Sprache möglich, oder, anders ausgedrückt: wo immer pst_037.003 wir solchen Wiederholungen begegnen, empfinden wir pst_037.004 die Stelle als lyrisch1. Der Sinn ist derselbe wie beim pst_037.005 Kehrreim. Das "punktuelle Zünden der Welt" wiederholt pst_037.006 sich; der angeschlagenen Saite lauscht der Dichter pst_037.007 noch einmal nach.
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Das leitet uns schließlich über zum Reim. Es kann pst_037.009 sich freilich nicht darum handeln, dem Reim, dessen pst_037.010 Bedeutung sich in der Geschichte der Dichtung immerzu pst_037.011 wandelt, nach allen Seiten gerecht zu werden. Wir pst_037.012 müssen nur wissen, daß seine Vieldeutigkeit die größte pst_037.013 Vorsicht gebietet.
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Der Reim kommt erst in der christlichen Dichtung pst_037.015 auf und scheint bestimmt, die metrische Vielgestaltigkeit pst_037.016 der antiken Lyrik, die allmählich schwindet, zu ersetzen. pst_037.017 Es ist, als würde die Musik aus einer anderen pst_037.018 Quelle geschöpft. Gedichte, die beides verbinden, gereimte pst_037.019 sapphische Strophen zum Beispiel, wirken darum pst_037.020 nicht eben erfreulich, als sei des Guten zuviel getan. pst_037.021 Dennoch kann der Reim, indem er das Ende der Verse pst_037.022 markiert, vorwiegend metrische Qualitäten besitzen. pst_037.023 Humboldt hat gerade dies an Schillers Versen gerühmt2. pst_037.024 Hier aber stehen jetzt nur die Reime mit klangmagischer pst_037.025 Wirkung in Frage, Reime, die also nicht so sehr pst_037.026 gliedern, als vielmehr magnetisch weiterziehen und pst_037.027 über die Unterschiede der Aussage hinwegzutäuschen pst_037.028 geeignet sind. Eine der wunderbarsten Proben sind die
1pst_037.029 Vgl. aber schon hier die ganz anderen Wiederholungen im pathetischen pst_037.030 Stil, Beispiele S. 160.
2pst_037.031 An Schiller, 18. August 1795.
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Auch solche Wiederholungen sind allein in lyrischer pst_037.002 Sprache möglich, oder, anders ausgedrückt: wo immer pst_037.003 wir solchen Wiederholungen begegnen, empfinden wir pst_037.004 die Stelle als lyrisch1. Der Sinn ist derselbe wie beim pst_037.005 Kehrreim. Das «punktuelle Zünden der Welt» wiederholt pst_037.006 sich; der angeschlagenen Saite lauscht der Dichter pst_037.007 noch einmal nach.
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Das leitet uns schließlich über zum Reim. Es kann pst_037.009 sich freilich nicht darum handeln, dem Reim, dessen pst_037.010 Bedeutung sich in der Geschichte der Dichtung immerzu pst_037.011 wandelt, nach allen Seiten gerecht zu werden. Wir pst_037.012 müssen nur wissen, daß seine Vieldeutigkeit die größte pst_037.013 Vorsicht gebietet.
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Der Reim kommt erst in der christlichen Dichtung pst_037.015 auf und scheint bestimmt, die metrische Vielgestaltigkeit pst_037.016 der antiken Lyrik, die allmählich schwindet, zu ersetzen. pst_037.017 Es ist, als würde die Musik aus einer anderen pst_037.018 Quelle geschöpft. Gedichte, die beides verbinden, gereimte pst_037.019 sapphische Strophen zum Beispiel, wirken darum pst_037.020 nicht eben erfreulich, als sei des Guten zuviel getan. pst_037.021 Dennoch kann der Reim, indem er das Ende der Verse pst_037.022 markiert, vorwiegend metrische Qualitäten besitzen. pst_037.023 Humboldt hat gerade dies an Schillers Versen gerühmt2. pst_037.024 Hier aber stehen jetzt nur die Reime mit klangmagischer pst_037.025 Wirkung in Frage, Reime, die also nicht so sehr pst_037.026 gliedern, als vielmehr magnetisch weiterziehen und pst_037.027 über die Unterschiede der Aussage hinwegzutäuschen pst_037.028 geeignet sind. Eine der wunderbarsten Proben sind die
1pst_037.029 Vgl. aber schon hier die ganz anderen Wiederholungen im pathetischen pst_037.030 Stil, Beispiele S. 160.
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wir solchen Wiederholungen begegnen, empfinden wir pst_037.004
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Das leitet uns schließlich über zum Reim. Es kann pst_037.009
sich freilich nicht darum handeln, dem Reim, dessen pst_037.010
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Der Reim kommt erst in der christlichen Dichtung pst_037.015
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Humboldt hat gerade dies an Schillers Versen gerühmt 2. pst_037.024
Hier aber stehen jetzt nur die Reime mit klangmagischer pst_037.025
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An Schiller, 18. August 1795.
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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/41>, abgerufen am 17.02.2025.
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