pst_029.001 sondern etwas ist, das nur dem Ich angehört pst_029.002 und von demselben zu seiner Selbstbefriedigung in die pst_029.003 Zeit hineingesetzt ist"1.
pst_029.004
Das gilt für den Blankvers sowohl wie für den Hexameter pst_029.005 oder das Maß eines Lieds, sofern ein solches fixierbar pst_029.006 ist. Wenn Hegel, gemäß den Voraussetzungen seiner pst_029.007 Metaphysik, erklärt, die Gleichförmigkeit gehöre pst_029.008 nicht der Zeit und den Tönen, sondern dem Ich an, so pst_029.009 meint er damit, daß "in Wirklichkeit" ja niemals - es pst_029.010 sei denn in metronomischem Vortrag - gleiche Takte pst_029.011 fallen, sondern die Gleichheit nur als eine über mehr pst_029.012 oder minder großen Schwankungen sich behauptende pst_029.013 regulative Idee vernommen wird. Es ist der Widerstreit pst_029.014 von Takt und Rhythmus, wie ihn auch Heusler pst_029.015 beschreibt2. Ob Takt und Rhythmus bei natürlichem pst_029.016 Vortrag sich einander nähern oder weit auseinandergehen, pst_029.017 ist wesentlich für den Stil eines Dichters. In pst_029.018 Schillers Balladen nähert der Rhythmus sich nicht selten pst_029.019 so sehr dem Takt, daß die Verse abgehackt klingen. pst_029.020 In Mörikes "Verborgenheit" tritt die Gleichheit des pst_029.021 Taktes in den einzelnen Strophen hinter dem Wechsel pst_029.022 des Rhythmus zurück und scheint nur noch wie ein pst_029.023 Auge zu sein, das unauffällig die Verse bewacht und vor pst_029.024 Auflösung behütet. In "Wanderers Nachtlied" aber ist pst_029.025 der Takt überhaupt nicht mehr deutlich erkennbar; pst_029.026 verschiedene Regelungen sind möglich, je nachdem die pst_029.027 Dauer der Silben und der Pausen eingeschätzt wird. pst_029.028 Längere Gedichte in einem so vagen Tonfall würden pst_029.029 zerrinnen.
1pst_029.030 Sämtliche Werke, Jubiläums-Ausgabe Stuttgart 1928, Bd. XIV, S. 161.
2pst_029.031 Deutsche Versgeschichte, Bd. I, Berlin und Leipzig 1925, S. 17 ff.
pst_029.001 sondern etwas ist, das nur dem Ich angehört pst_029.002 und von demselben zu seiner Selbstbefriedigung in die pst_029.003 Zeit hineingesetzt ist»1.
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Das gilt für den Blankvers sowohl wie für den Hexameter pst_029.005 oder das Maß eines Lieds, sofern ein solches fixierbar pst_029.006 ist. Wenn Hegel, gemäß den Voraussetzungen seiner pst_029.007 Metaphysik, erklärt, die Gleichförmigkeit gehöre pst_029.008 nicht der Zeit und den Tönen, sondern dem Ich an, so pst_029.009 meint er damit, daß «in Wirklichkeit» ja niemals – es pst_029.010 sei denn in metronomischem Vortrag – gleiche Takte pst_029.011 fallen, sondern die Gleichheit nur als eine über mehr pst_029.012 oder minder großen Schwankungen sich behauptende pst_029.013 regulative Idee vernommen wird. Es ist der Widerstreit pst_029.014 von Takt und Rhythmus, wie ihn auch Heusler pst_029.015 beschreibt2. Ob Takt und Rhythmus bei natürlichem pst_029.016 Vortrag sich einander nähern oder weit auseinandergehen, pst_029.017 ist wesentlich für den Stil eines Dichters. In pst_029.018 Schillers Balladen nähert der Rhythmus sich nicht selten pst_029.019 so sehr dem Takt, daß die Verse abgehackt klingen. pst_029.020 In Mörikes «Verborgenheit» tritt die Gleichheit des pst_029.021 Taktes in den einzelnen Strophen hinter dem Wechsel pst_029.022 des Rhythmus zurück und scheint nur noch wie ein pst_029.023 Auge zu sein, das unauffällig die Verse bewacht und vor pst_029.024 Auflösung behütet. In «Wanderers Nachtlied» aber ist pst_029.025 der Takt überhaupt nicht mehr deutlich erkennbar; pst_029.026 verschiedene Regelungen sind möglich, je nachdem die pst_029.027 Dauer der Silben und der Pausen eingeschätzt wird. pst_029.028 Längere Gedichte in einem so vagen Tonfall würden pst_029.029 zerrinnen.
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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/33>, abgerufen am 17.02.2025.
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