Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_024.001 Ganz anders klingt die dritte Strophe: pst_024.006"Oft bin ich mir kaum bewußt, pst_024.007 pst_024.010Und die helle Freude zücket pst_024.008 Durch die Schwere, so mich drücket, pst_024.009 Wonniglich in meiner Brust." Der metrische Rahmen bleibt sich gleich. Die Melodie pst_024.011 pst_024.023 2. pst_024.024 Gedichte wie "Wanderers Nachtlied", "Er ist's", pst_024.025 1 pst_024.028
Ästhetik, 2. Aufl. München 1923, Bd. VI, S. 208. pst_024.001 Ganz anders klingt die dritte Strophe: pst_024.006«Oft bin ich mir kaum bewußt, pst_024.007 pst_024.010Und die helle Freude zücket pst_024.008 Durch die Schwere, so mich drücket, pst_024.009 Wonniglich in meiner Brust.» Der metrische Rahmen bleibt sich gleich. Die Melodie pst_024.011 pst_024.023 2. pst_024.024 Gedichte wie «Wanderers Nachtlied», «Er ist's», pst_024.025 1 pst_024.028
Ästhetik, 2. Aufl. München 1923, Bd. VI, S. 208. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0028" n="24"/><lb n="pst_024.001"/> mag noch das Seine zu diesem Gefühl beitragen – auch <lb n="pst_024.002"/> hier sind nur Andeutungen möglich; dann geht es gelassener <lb n="pst_024.003"/> weiter; die Abwehr hat genügt; die Welt läßt <lb n="pst_024.004"/> dieses Herz nun sein.</p> <lb n="pst_024.005"/> <p> Ganz anders klingt die dritte Strophe:</p> <lb n="pst_024.006"/> <lg> <l>«Oft bin ich mir kaum bewußt,</l> <lb n="pst_024.007"/> <l>Und die helle Freude zücket</l> <lb n="pst_024.008"/> <l>Durch die Schwere, so mich drücket,</l> <lb n="pst_024.009"/> <l>Wonniglich in meiner Brust.»</l> </lg> <lb n="pst_024.010"/> <p>Der metrische Rahmen bleibt sich gleich. Die Melodie <lb n="pst_024.011"/> ist jetzt aber steigend. Die ersten Silben «oft» und <lb n="pst_024.012"/> «durch» haben jedenfalls nicht den Nachdruck von <lb n="pst_024.013"/> «laßt», «locket», «laßt». Dagegen gewinnt das Ende <lb n="pst_024.014"/> der Verse. «Bewußt», «zücket», «drücket» ist betonter <lb n="pst_024.015"/> als «sein», «haben» und als die beiden letzten Silben <lb n="pst_024.016"/> von «Liebesgaben». Weil der Ton sich gegen das <lb n="pst_024.017"/> Ende steigert, ist diese Strophe zart beschwingt, während <lb n="pst_024.018"/> die erste mit ihrem sinkenden Ton gleichsam zurückweicht. <lb n="pst_024.019"/> Hugo Wolf hat dies gewürdigt und die <lb n="pst_024.020"/> dritte Strophe mit einer besonderen Melodie bedacht. <lb n="pst_024.021"/> Seine Komposition enthüllt den Sinn der Verse so, daß <lb n="pst_024.022"/> auch der empfindlichste Liebhaber nicht verstimmt ist.</p> </div> <div n="2"> <lb n="pst_024.023"/> <head> <hi rendition="#c">2.</hi> </head> <lb n="pst_024.024"/> <p> Gedichte wie «Wanderers Nachtlied», «Er ist's», <lb n="pst_024.025"/> «In der Frühe» geben den reinsten Begriff von dem, <lb n="pst_024.026"/> was Fr. Th. Vischer das «punktuelle Zünden der Welt <lb n="pst_024.027"/> im lyrischen Subjekt» nennt<note xml:id="PST_024_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_024.028"/> Ästhetik, 2. Aufl. München 1923, Bd. VI, S. 208.</note>. Es sind Gedichte von </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0028]
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mag noch das Seine zu diesem Gefühl beitragen – auch pst_024.002
hier sind nur Andeutungen möglich; dann geht es gelassener pst_024.003
weiter; die Abwehr hat genügt; die Welt läßt pst_024.004
dieses Herz nun sein.
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Ganz anders klingt die dritte Strophe:
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«Oft bin ich mir kaum bewußt, pst_024.007
Und die helle Freude zücket pst_024.008
Durch die Schwere, so mich drücket, pst_024.009
Wonniglich in meiner Brust.»
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Der metrische Rahmen bleibt sich gleich. Die Melodie pst_024.011
ist jetzt aber steigend. Die ersten Silben «oft» und pst_024.012
«durch» haben jedenfalls nicht den Nachdruck von pst_024.013
«laßt», «locket», «laßt». Dagegen gewinnt das Ende pst_024.014
der Verse. «Bewußt», «zücket», «drücket» ist betonter pst_024.015
als «sein», «haben» und als die beiden letzten Silben pst_024.016
von «Liebesgaben». Weil der Ton sich gegen das pst_024.017
Ende steigert, ist diese Strophe zart beschwingt, während pst_024.018
die erste mit ihrem sinkenden Ton gleichsam zurückweicht. pst_024.019
Hugo Wolf hat dies gewürdigt und die pst_024.020
dritte Strophe mit einer besonderen Melodie bedacht. pst_024.021
Seine Komposition enthüllt den Sinn der Verse so, daß pst_024.022
auch der empfindlichste Liebhaber nicht verstimmt ist.
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Gedichte wie «Wanderers Nachtlied», «Er ist's», pst_024.025
«In der Frühe» geben den reinsten Begriff von dem, pst_024.026
was Fr. Th. Vischer das «punktuelle Zünden der Welt pst_024.027
im lyrischen Subjekt» nennt 1. Es sind Gedichte von
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Ästhetik, 2. Aufl. München 1923, Bd. VI, S. 208.
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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