Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_023.001 Dennoch ist es falsch, der Einzigartigkeit des metrischen pst_023.009 "Laß, o Welt, o laß mich sein! pst_023.019 pst_023.022Locket nicht mit Liebesgaben, pst_023.020 Laßt dies Herz alleine haben pst_023.021 Seine Wonne, seine Pein!" Dennoch stimmt der Ton vollkommen mit der Aussage pst_023.023 "Laß, o Welt, o laß mich sein!" pst_023.028Es ist, als ob der Dichter dem Liebeswerben der Welt pst_023.029 pst_023.001 Dennoch ist es falsch, der Einzigartigkeit des metrischen pst_023.009 «Laß, o Welt, o laß mich sein! pst_023.019 pst_023.022Locket nicht mit Liebesgaben, pst_023.020 Laßt dies Herz alleine haben pst_023.021 Seine Wonne, seine Pein!» Dennoch stimmt der Ton vollkommen mit der Aussage pst_023.023 «Laß, o Welt, o laß mich sein!» pst_023.028Es ist, als ob der Dichter dem Liebeswerben der Welt pst_023.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0027" n="23"/><lb n="pst_023.001"/> Gedicht nicht nur in jeder Zeile die feinste metrische <lb n="pst_023.002"/> Schmiegsamkeit verrät, sondern überhaupt in keiner <lb n="pst_023.003"/> metrischen Rechnung mehr aufgeht und also vor jeglicher <lb n="pst_023.004"/> Nachahmung geschützt ist. Ferner wären hier <lb n="pst_023.005"/> die kurzen Lieder Mörikes zu nennen: «Er ist's», «In <lb n="pst_023.006"/> der Frühe», «Septembermorgen», «Um Mitternacht», <lb n="pst_023.007"/> «Auf den Tod eines Vogels».</p> <lb n="pst_023.008"/> <p> Dennoch ist es falsch, der Einzigartigkeit des metrischen <lb n="pst_023.009"/> Rahmens zu große Bedeutung beizumessen und <lb n="pst_023.010"/> die ungezählten Gedichte, die sich in gleichgebauten <lb n="pst_023.011"/> jambischen und trochäischen Versen bewegen, von <lb n="pst_023.012"/> vornherein minder lyrisch zu nennen. Auch innerhalb <lb n="pst_023.013"/> desselben metrischen Rahmens sind rhythmische Wandlungen <lb n="pst_023.014"/> möglich, die jeder Individualität der Stimmung <lb n="pst_023.015"/> vollkommen Genüge tun. Mörikes «Verborgenheit» <lb n="pst_023.016"/> zum Beispiel ist in den landesüblichsten trochäischen <lb n="pst_023.017"/> Vierzeilern gehalten:</p> <lb n="pst_023.018"/> <lg> <l>«Laß, o Welt, o laß mich sein!</l> <lb n="pst_023.019"/> <l>Locket nicht mit Liebesgaben,</l> <lb n="pst_023.020"/> <l>Laßt dies Herz alleine haben</l> <lb n="pst_023.021"/> <l>Seine Wonne, seine Pein!»</l> </lg> <lb n="pst_023.022"/> <p>Dennoch stimmt der Ton vollkommen mit der Aussage <lb n="pst_023.023"/> überein! Eine sanft abwehrende Gebärde, ein Zurückweichen <lb n="pst_023.024"/> wird vernehmlich in dem leisen Nachdruck, <lb n="pst_023.025"/> der auf der ersten Silbe liegt, und in der folgenden, <lb n="pst_023.026"/> durch das Komma markierten scheuen Pause:</p> <lb n="pst_023.027"/> <lg> <l>«Laß, o Welt, o laß mich sein!»</l> </lg> <lb n="pst_023.028"/> <p>Es ist, als ob der Dichter dem Liebeswerben der Welt <lb n="pst_023.029"/> zuvorkommen wollte. Der dreimalige Einsatz mit «l» </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [23/0027]
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Gedicht nicht nur in jeder Zeile die feinste metrische pst_023.002
Schmiegsamkeit verrät, sondern überhaupt in keiner pst_023.003
metrischen Rechnung mehr aufgeht und also vor jeglicher pst_023.004
Nachahmung geschützt ist. Ferner wären hier pst_023.005
die kurzen Lieder Mörikes zu nennen: «Er ist's», «In pst_023.006
der Frühe», «Septembermorgen», «Um Mitternacht», pst_023.007
«Auf den Tod eines Vogels».
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Dennoch ist es falsch, der Einzigartigkeit des metrischen pst_023.009
Rahmens zu große Bedeutung beizumessen und pst_023.010
die ungezählten Gedichte, die sich in gleichgebauten pst_023.011
jambischen und trochäischen Versen bewegen, von pst_023.012
vornherein minder lyrisch zu nennen. Auch innerhalb pst_023.013
desselben metrischen Rahmens sind rhythmische Wandlungen pst_023.014
möglich, die jeder Individualität der Stimmung pst_023.015
vollkommen Genüge tun. Mörikes «Verborgenheit» pst_023.016
zum Beispiel ist in den landesüblichsten trochäischen pst_023.017
Vierzeilern gehalten:
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«Laß, o Welt, o laß mich sein! pst_023.019
Locket nicht mit Liebesgaben, pst_023.020
Laßt dies Herz alleine haben pst_023.021
Seine Wonne, seine Pein!»
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Dennoch stimmt der Ton vollkommen mit der Aussage pst_023.023
überein! Eine sanft abwehrende Gebärde, ein Zurückweichen pst_023.024
wird vernehmlich in dem leisen Nachdruck, pst_023.025
der auf der ersten Silbe liegt, und in der folgenden, pst_023.026
durch das Komma markierten scheuen Pause:
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«Laß, o Welt, o laß mich sein!»
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Es ist, als ob der Dichter dem Liebeswerben der Welt pst_023.029
zuvorkommen wollte. Der dreimalige Einsatz mit «l»
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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